FleischschmeckerKölner Koch Steffen Kimmig über eine Wende in der Küche

Lesezeit 8 Minuten
Steffen Kimmig widmet sich seinem Buch mit handfesten Rezepten dem ganzen Tier.

Steffen Kimmig widmet sich seinem Buch mit handfesten Rezepten dem ganzen Tier.

Der Koch Steffen Kimmig betrieb zehn Jahre das Kölner Restaurant Kap am Südkai. Bald eröffnet er Stivie Cuisine, eine Eventlocation in Köln . In seinem Buch widmet er sich mit handfesten Rezepten dem ganzen Tier. Eva Reik hat mit ihm gesprochen.

Herr Kimmig, Ihr Interesse gilt der ganzen Kuh. Das ist ja keine neue Entwicklung, sondern wurde schon in den 1990er Jahren als Nose-to-Tail-Bewegung gefeiert. Weitläufig bekannt machte sie kein Geringerer als Ihr ehemaliger Chef Eckart Witzigmann. Warum widmen Sie sich denn jetzt besonders Niere, Bries und Co.?

Nose to Tail, also ein Tier vom Kopf bis zum Schwanz zu verarbeiten, ist tatsächlich ein ganz alter Hut. Denn früher, in ärmeren Zeiten, als noch kein Überfluss herrschte und man sich im Supermarkt noch nicht zwischen Zehnerlei Butter entscheiden konnte, da wurde alles gegessen, alle Teile vom Tier eben. Ich meine also jene Zeit, in der die Nouvelle Cuisine noch nicht mal angedacht war.

Wenn ich heute beim Metzger einkaufe, denke ich manchmal, ein Tier, egal ob Schwein oder Kuh, besteht nur aus Filet, Rücken und Keule. Woran liegt das?

Früher war es so, dass das Filet in wohlsituierten Küchen landete, der Ochsenschwanz bei den ärmeren Leuten. Dann entwickelte sich die Viehzucht immer mehr zur Massentierhaltung, so dass sich viele die Filetstücke leisten konnten und der Rest wurde zu günstigem Hackfleisch, Wurst oder Tierfutter verarbeitet.

Gerade gibt es allerdings eine Gegenbewegung: Einkaufen beim Bio-Produzenten, der das Tier erst schlachtet, wenn alle Teile verkauft sind. Also erleben wir eine Küchenwende zurück zum Bries?

Ja, genau. Jeder Käufer bekommt dann sein Paket mit Rücken und Filet, aber auch Schulter und Bauch. Und weil eben vor Jahrzehnten die Sterneküche damit anfing und sich der Trend über die gehobene Gastronomie auch in der bürgerlichen Küche etabliert hat, kann man sich heute wieder auf so hervorragende Gerichte wie Saure Nierchen zurück besinnen.

Roastbeef mit Quinoa, Gurke und Ingwer

Zubereiten 60 Min.

Für 4 Personen

Zutaten

400 g Roastbeef

(vom Metzger parieren lassen)

100 g Quinoa

8 EL Olivenöl

1 Salatgurke

1 rote Paprika, 3 Tomaten

2 Frühlingszwiebeln

1 rote Zwiebel

10 g frischer Ingwer

1 Bio-Limette

2 EL brauner Zucker

2 EL Ponzu (alternativ Sojasoße)

4 EL geröstetes Sesamöl

½ Bund Koriander

½ Bund glatte Petersilie

250 g griechischer Joghurt

1 Spritzer Zitronensaft

Zubereitung

Das Roastbeef in zwei gleich große Steaks schneiden, salzen, pfeffern und in einer Pfanne mit Öl von beiden Seiten kräftig anbraten. Die Steaks auf einem Backrost in den Ofen legen, ein Backblech zum Auffangen der Flüssigkeit unterschieben und die Steaks 12 Minuten bei 150 Grad backen. Den Ofen ausschalten, die Steaks mit Aluminiumfolie abgedeckt darin ruhen lassen.

In der Zwischenzeit die Quinoa in einem Sieb unter kaltem Wasser abspülen und mit 300 ml Wasser in einem Topf zum Kochen bringen. Die Hitze verringern und 15 bis 20 Minuten köcheln lassen, bis die Quinoa das Wasser vollständig aufgesogen hat. Mit 2 EL Olivenöl und Salz vermischen und den Topf beiseitestellen. Gurke von den Kernen befreien und 1 cm breit würfeln. Die Paprika in Streifen, die Tomaten in feine Würfel und die Frühlingszwiebeln in schmale Ringe schneiden. Die Zwiebel in Streifen schneiden und leicht salzen. Ingwer fein hacken. Alles in einer Schüssel mischen. Die Schale der Limette abreiben, den Saft auspressen. Beides mit braunem Zucker, Ponzu, Sesamöl und 6 EL Olivenöl zu einer Marinade verrühren. Koriander und Petersilie in Streifen schneiden und dazugeben. Die lauwarme Quinoa mit dem Gemüse und der Marinade mischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Den Joghurt mit etwas Salz, Pfeffer und 1 Spritzer Zitronensaft verrühren. Das Roastbeef in dünne Scheiben schneiden und mit dem Quinoa-Salat und dem Joghurt anrichten.

Durch Zugabe von etwas Chili und frischer Minze erhält der Salat einen pikant-frischen Geschmack. Zur Dekoration eigenen sich gerollte Gurkenscheiben. Hierzu eine Gurke mit einem Sparschäler in lange breite Streifen hobeln, in Salzwasser blanchieren, mit kaltem Wasser abschrecken und in Form von Röllchen anrichten.

Buchtipp:

Die ganze Kuh, 90 Rezepte für Fleischschmecker. Steffen Kimmig. Olivia Verlag, 224 Seiten, 27,90 Euro

Innereien, ernsthaft?

Ja, klar. Aber wenn einem das suspekt ist, kann man sich natürlich mit anderen aus der Mode gekommenen Stücken den Innereien langsam annähern. Es zum Beispiel mit dem Schweinebauch versuchen, oder, wenn wir bei der Kuh bleiben, beim Kalb sich für die Brust entscheiden und beim Rind Rippen oder Beinscheiben wählen.

In Ihrem Kochbuch widmen Sie den Innereien das letzte Kapitel, warum?

Ich hätte mit den Innereien angefangen, aber es war dann eine gemeinsame Entscheidung, dass wir uns besser mit insgesamt 90 Rezepten in zehn Kapiteln von Hals und Nacken, über Hüfte, Bauch und Rippen, Schulter und Hachse uns dem Schwanz und den Innereien annähern.

Sind die Menschen denn so Innereien-scheu? Ich komme aus dem Schwäbischen, da wurde alles verkocht, arm oder reich, das war ganz egal. Zu hohen Feiertagen kochte meine Oma Zunge, dienstags gab es immer frische Leber, weil montags geschlachtet wurde, meine Mutter bereitete für sich und meinen Bruder sogar Kutteln zu. Ich konnte das alles nicht essen, habe mich auf die gebratenen Apfelscheiben und Zwiebel gestürzt und Leber Leber sein lassen. Bis heute.

Es gibt und gab schon immer einen großen regionalen Unter-schied. Während wir uns hier im Rheinland gerade aufs ganze Tier zurück besinnen, wurde im süddeutschen Raum Kalbskopf und Bries selbstverständlich verspeist, ja als Spezialität angeboten. Die Küche im Süden ist auf jeden Fall offener im Vergleich zur mitteldeutschen oder norddeutschen Küche.

Vor 15 Jahren habe ich in einem Restaurant in München geschmorte Ochsenbäckchen entdeckt. Eine Wucht. Hier sind sie mittlerweile auch wieder populär. Setzen sich die Spezialitäten der südlichen, ländlichen Küche durch?

Das ist so, ja. Es gab immer das Nord-Südgefälle und den Un-terschied zwischen Stadt und Land. Wenn man in der Eifel ins Gasthaus geht, sieht man andere Gerichte als in der Großstadt auf der Speisekarte. Tatsächlich gibt es generell eine Differenz zwischen Stadt und Land, deutschlandweit würde ich sagen. Weil die Landbevölkerung ursprünglicher und näher am Tier wohnt. Aber es kommen unterschiedliche Dinge zusammen, etwa dass das Kochen heute wieder einen anderen Stellenwert hat, dem man sich mehr widmet als vor 20 Jahren noch.

Was spielt noch eine Rolle?

Die Zeit. In vielen deutschen Familien wird heute fürs Kochen wieder mehr Zeit aufgewendet. Die ganzen Niedrig-Temperatur-Verfahren, das langsame Garen von Fisch, Fleisch oder Gemüse, eingeschweißt im Kunststoffbeutel und im Wasserbad gegart, braucht lange. Genauso das langsame Schmoren im Backofen. Auch diese Entwicklung geht auf die gehobene Gastronomie zurück, weil sich dort die Zeit für die Zubereitung genommen wurde. Rücken, Filet oder Geschnetzeltes sind schnell gemacht, aber ein Stück aus der Schulter oder die Bäckchen, das dauert einfach.

Jetzt ein bisschen Warenkunde: Woran liegt das?

Die Bäckchen zum Beispiel sind ein unglaublich kollagenhaltiges Fleisch ist. Das ist ein wahnsinniger Muskel, der durchzogen ist, aber durch das langsame Schmoren wird der butterweich und unglaublich saftig, weil einfach soviel Fettgewebe drin ist. Eine große Spezialität. Ich sage immer, es gibt kein einfacheres Essen als ein Schmorgericht aus dem Ofen. Früher bei der Landbevölkerung war das Gang und Gäbe. Der Ofen war ohnehin an, während das Fleisch schmorte, konnte die Familie aufs Feld oder anderer Arbeit nachgehen.

Sie glauben, dass der Convenient-Trend in der deutschen Küche verblasst?

Wir haben über die regionalen Unterschiede gesprochen. Darüberhinaus spielen auch unterschiedliche Bildungsniveaus eine erhebliche Rolle beim Kochen. Will ich mich bewusst ernähren? Brauche ich jeden Tag Fleisch, egal wo es her kommt? Ist es mir wichtig, am Wochenende ordentlich zu kochen? Das sind die relevanten Fragen. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass die Trendwende in der heutigen Gesellschaft mit den Gemüsekisten anfing und sich immer weiter in allen Bevölkerungsschichten etabliert. Und dann sind wir wieder bei den Nierchen: Die Zubereitung ist sicherlich nicht einkommensabhängig, es ist eine Frage des Ver-ständnisses.

Aber in der Großstadt muss es doch immer besonders schnell gehen…

Ich bin davon überzeugt, dass die Städter zwischen 35 und 50 heute viel offener sind als früher. Das Verständnis ist da, fürs ganze Tier, für die Qualität. Der Spaß am Kochen und Essen und das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung sind weiter im Kommen.

Bei den wenigen, die in dieser Zeit überhaupt noch Fleisch essen.

Vegetarisch ist etabliert, vegan ist tatsächlich ein Trend. Grundsätzlich geht der Trend zur nachhhaltigen Ernährung. Nicht mehr jeden Tag Fleisch zu essen, sondern nur noch einmal die Woche, dafür aber dann auf die Qualität zu achten. Man kauft heute bewusster ein und genießt.

Und zum Genuss und dem guten Gefühl gehört das Bio-Siegel automatisch dazu?

Ich würde sagen, regional ist das neue Bio. Denn das weit verbreitete EU-Bio-Siegel zertifiziert zwar gewisse Rahmenbedingungen, aber der Weg vom Schlachthof zur Metzgerei beträgt oft Hunderte Kilometer. Ich glaube, in der Nähe einzukaufen ist weiter im Kommen.

Rundschau abonnieren