Gamescom 2018Die Trends und Neuheiten der Spielemesse

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Hunderttausende Gamer werden nächsten Woche zur zehnten Auflage der Gamescom in Köln erwartet.

Hunderttausende Gamer werden nächsten Woche zur zehnten Auflage der Gamescom in Köln erwartet.

Köln – „Ideen sind das Rohmaterial der Kreativität“, sagte einmal der Videospielpionier Chris Crawford. Spielentwickler sollten sich daher „so vielen Ideen und so viel Wissen wie nur möglich aussetzen“, mit Leuten aus unterschiedlichen Disziplinen sprechen, Bücher zu allen erdenklichen Themenbereichen lesen, um den kreativen Prozess anzuregen.

Rund 20 Jahre danach kann man feststellen: Die Branche hat sich das Statement zu Herzen genommen. Videospiele erwecken das historische Erbe der Menschheit zum Leben und nehmen uns mit in utopische Welten. Sie erzählen fantastische Geschichten und spiegeln die Probleme und Ängste der Gegenwart wider. Sie berufen sich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse und greifen Motive aus Kunst, Literatur und allen erdenklichen Kulturkreisen auf. Das offenkundige Vorbild von Blockbustern wie „Die Tribute von Panem“ ist zu einem Synonym für ein Spielprinzip geworden, das einen regelrechten Boom ausgelöst hat. Im Battle-Royale-Modus des Megahits „Fortnite“ werden 100 Spielerinnen und Spieler ohne Ausrüstung auf einer Insel abgesetzt. Am Ort des Geschehens muss jeder für sich Waffen, Munition, Heilmittel und Schutzkleidung zusammensuchen.

Dann beginnt der Kampf, den der oder die letzte Überlebende gewinnt. Dabei kann man auch Teams bilden, die sich zum Ziel setzen, einem ihrer Mitglieder zum Überleben damit zum Sieg zu verhelfen. 125 Millionen Spieler machen bislang mit, dabei feierte „Fortnite“ gerade erst sein einjähriges Jubiläum. Kein Wunder, dass immer mehr Entwickler einen Jeder-gegen-jeden-Modus in ihre Produkte integrieren. Dazu gehören das kommende „Battlefield V“ ebenso wie das nächste „Call of Duty“. Der koreanische „Battle-Royale“-Shooter „PlayerUnknown’s Battlegrounds“ verkaufte sich weltweit bereits 50 Millionen Mal – obwohl es erst eine Vorabversion gibt.

Du bist, was du spielst

Der Battle-Royale-Hype ist nur der jüngste Ausschlag eines schon länger anhaltenden Trends: Spielen ist zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis geworden. Mehr noch: Games sind ein Medium, über das immer mehr Menschen miteinander kommunizieren und mit dem sie ihrer Persönlichkeit Ausdruck verleihen, ganz nach dem Motto „Du bist, was du spielst“. Laut Jiri Kupiainen von der Marketingagentur Matchmake gibt es auf Youtube derzeit rund 2,5 Millionen Kanäle, die sich primär mit Games befassen. 215 Millionen Nutzer haben deren Inhalte abonniert. Im März und April dieses Jahres wurden „Fortnite“-Videos 9,7 Milliarden Mal angeklickt. Das Klötzchenbauspiel „Minecraft“wurde auf den zweiten Platz verwiesen. Agenturen wie Matchmake analysieren die Zahl der „Views“ weil diese Informationen für Werbetreibende im Internet von entscheidender Bedeutung sind.

Erfolg oder Misserfolg einzelner Titel lassen sich auch von Experten kaum vorhersehen. So wurde das Action-Adventure „God of War“ von Sony innerhalb kürzester Zeit zum Spiel mit der am schnellsten anwachsenden Fangemeinde auf Youtube. Da es sich weder um ein Mehrspieler–, noch um ein Open-World-Game handelt, ist das durchaus eine Überraschung. „Für uns ist „God of War„ ein Beleg dafür, dass man auch abseits offener Multiplayer-Welten erfolgreich sein kann“, erklärt Playstation-Sprecher Jochen Färber. „Das Spiel ist sehr umfangreich, komplex und nicht leicht zu meistern. Darüber hinaus bietet es jede Menge Schauwerte. Als Zuschauer kann man das Ganze wie einen Spielfilm erleben. Da man die einzelnen Spielsituationen aber unterschiedlich angehen kann, gibt es auch nach dem Anschauen von „Let’s Play“-Videos noch genügend Motivation, es selbst zu versuchen.“

Laut dem Branchenverband Bitkom schauen knapp 30 Prozent der Spieler regelmäßig anderen zu – per Livestream oder als aufgezeichnetes Let’s-Play-Video. „Let’s Play“ bedeutet, Spielsessions aufzuzeichnen oder direkt zu übertragen, während sich andere mit der Zuschauerrolle begnügen. Nicht selten ist die Moderation dabei wichtiger als das gezeigte Spiel. Szenestars wie Gronkh, mit bürgerlichem Namen Erik Range, erreichen ein Millionenpublikum. „Die Live-Streams oder Videos anderer Gamer sind mittlerweile fester Bestandteil der Gaming-Kultur. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit und tragen zur Bekanntheit erfolgreicher Gamer bei, die ihre Spiel-Sessions streamen oder aufnehmen und veröffentlichen“, so Bitkom-Präsidiumsmitglied Martin Börner. Streaming-Portale wie YouTube Gaming, Twitch oder Smashcast bieten auch die Möglichkeit, sich per Chat miteinander auszutauschen. Der virtuelle Spielplatz wird zu einem Treffpunkt, dem zunehmend auch kommunikative Funktionen zukommen.

Das Angebot wird immer größer

„Früher habe ich meinem großen Bruder beim Spielen zugeschaut“, sagt die zwölfjährige Meret. Heute folgt sie Kanälen wie „GermanLetsPlay“ oder „Zombey“ auf Youtube. Zwar spielt sie auch selbst, „aber bei Spielen, die mir zu schwer sind, schaue ich gern anderen zu. Das ist total entspannend und man erfährt, für was sich andere Leute so interessieren.“ Und das Angebot wird immer größer. So startete Microsoft kürzlich den Streaming-Dienst Mixer, um seine Xbox-Konsole zu unterstützen. Ehemalige Apple-Mitarbeitern gründeten kürzlich die Plattform Caffeine.tv für den „Austausch über Live Gaming, Entertainment und bildende Künste“. Der Messenger Discord, erhältlich für Windows, Mac, Linux sowie die mobilen Betriebssysteme Android und iOS, wurde eigens geschaffen, damit sich Spieler während ihrer Gaming-Sessions untereinander austauschen können. Nach den jüngsten Facebook-Skandalen benutzen viele Discord als Standard-Messenger. Gerade gab Discord bekannt, dass man künftig auch als Verkaufsplattform für digitale Spiele fungieren wolle – eine Kampfansage an den bislang fast unangreifbaren Download-Dienst Steam.

Wie schnell sich die mediale Landschaft derzeit verändert, zeigt auch das Beispiel Twitch. Das Streaming-Portal brachte bislang vor allem von Mitgliedern selbst erstellte Inhalte unters Gamervolk. Inzwischen ist das Unternehmen auf den immer schneller fahrenden E-Sport-Zug aufgesprungen und überträgt Events großer Veranstalter. Beim E-Sport treten professionell organisierte Teams, gesponsert von großen Unternehmen, in unterschiedlichen Disziplinen gegeneinander an. Aus dem nebenbei Zuschauen werden mediale Großereignisse, bei denen es um sehr viel Geld geht. Das Marktforschungsunternehmen Deloitte prognostiziert der Szene bis 2020 einen weltweiten Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar. Die Fangemeinde soll auf 600 Millionen wachsen.

Aufbruch- und Endzeitstimmung

Die Branche ist also mal wieder in Aufbruchstimmung. Fast paradox, dass sich eine große Anzahl von aktuellen Spielen dem Thema Endzeit widmet. Die immer größeren offenen Spielwelten sind durchweg postapokalyptisch und bevölkert von Untoten und Aliens. „Days Gone“, das im Februar 2019 exklusiv für Sonys Playstation 4 erscheinen soll, simuliert den Überlebenskampf in einer durch eine globale Pandemie verwüstete USA. In „Dying Light 2“, einer Produktion des polnischen Studios Techland, kämpfen Überlebende um die letzten verbliebenen Ressourcen der Erde. Ältere Gamer fühlen sich unwillkürlich an die 80er-Jahre erinnert, wo die atomare Bedrohung popkulturelle Ikonen wie Mad Max und Filme wie „The Day After“ provozierte.

Heute heißen die Bedrohungen eben Klimawandel, Überbevölkerung oder Cyberkrieg. In „Cyberpunk 2077“ sind es nicht Zombies oder Außerirdische, die zur Geißel der Menschheit werden. Der aufwendig inszenierte SciFi-Thriller beschwört einmal mehr die Vision eines totalen Überwachungsstaates herauf, in dem die technischen Fähigkeiten über den sozialen Status und das Schicksal des Einzelnen entscheiden. Das Rollenspiel erntete auf der diesjährigen E3 in Los Angeles Kritikerlob. In Köln wird „Cyberpunk 2077“, dessen Veröffentlichungsdatum noch offen ist, nur dem Fachpublikum gezeigt.

Wer nicht zu diesem Kreis zählt, kann sich in Halle 8 am Stand des US-Publishers Bethesda schadlos halten. Der Shooter „Rage 2“ lässt den Spieler laut Entwickler „kopfüber in eine dystopische Welt ohne Struktur, Recht und Ordnung“ stürzen. Noch direkter ins endzeitliche Geschehen eintauchen kann man mit „Wolfenstein: Cyberpilot“, das die Survival-Adventure-Reihe mittels VR-Brille HTC Vive Pro in die virtuelle Welt überführt.

Apropos Klimawandel. Galten Sonnenschein und mediterrane Temperaturen früher als Erzfeinde des passionierten Gamers, lockte der Rekordsommer 2018 Massen von Spielerinnen und Spielern auf die Straßen. Beim „Pokémon Safari-Zonen-Event“ in Dortmund machten Tausende Fans Jagd auf die digitalen Fantasiewesen. Der riesige Ansturm sorgte für zusammengebrochene Mobilfunknetze, abgestürzte Pokémon-GO-Apps und enttäuschte Spieler. Nicht nur die digitale Infrastruktur war der ungewohnten Belastung nicht gewachsen.

Mobile Games wie Pokémon GO werden naturgemäß primär auf dem Smartphone gespielt. Laut Bitkom sind mobile Plattformen wie Laptops und Smartphones, mit denen rund drei Viertel der Spieler in virtuelle Welten reisen, aktuell am beliebtesten. Auch das ist ein Hinweis auf die enge Verbindung von Gaming und kommunikativen Funktionen. „Die Effekte der mobilen Geräte werden dank Top-Grafikkarten, sehr guter Displays sowie exzellenter Prozessoren und Arbeitsspeicher immer beeindruckender. So kann heute oft auch unterwegs ohne Qualitätsverlust gespielt werden“, kommentiert der Verband.

Zeichen stehen auf Vielfalt

Von dem Trend hat offenbar vor allem Nintendo mit seiner Hybrid-Konsole Switch profitiert. Laut Nintendos Finanzbericht wurden bis Ende März 2018 weltweit 17,79 Millionen Geräte und fast 70 Millionen Spiele verkauft. Dem Statistik-Portal VGChartz.com zufolge sind fünf der zehn meistverkauften Titel dieses Jahres für die Nintendo-Konsole. Im laufenden Geschäftsjahr sollen noch einmal 20 Millionen Switchs verkauft werden. Das Erfolgsrezept der Japaner: Statt auf technische Superlative setzt man lieber auf Originalität und Understatement. Jüngstes Beispiel ist die Switch-Erweiterung „Labo“, mit dem sich die Konsole zum Klavier oder Roboterrucksack umfunktionieren lässt. Nintendo macht eben alles etwas anders als der Rest.

Statt des oft beschworenen Verdrängungskampfes scheint jeder Hersteller, jede Plattform und jedes Genre seine Nische gefunden zu haben. Für die Spieler ist das eine gute Nachricht. Denn in einer Branche, in der Ideen das wichtigste Rohmaterial sind, ist Vielfalt schließlich der entscheidende Motor für die künftige Entwicklung. Das wird auch auf der diesjährigen Gamescom zu spüren sein.

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