Gerst auf der ISSPorzer Bodenteam ist in Echtzeit mit an Bord

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Vom Boden aus begleiten Andreas Orth und seine Eurocoms-Kollegen die Arbeit in der Raumstation.

Vom Boden aus begleiten Andreas Orth und seine Eurocoms-Kollegen die Arbeit in der Raumstation.

Wenn „Astro-Alex“ Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation aufsteht, ist auch sein Porzer „Bodenteam“ schon präsent. Im Kontrollraum am Europäischen Astronauten-Zentrum (EAC) haben die „European Communicators“, kurz „Eurocoms“ genannt, und die „Biomedical Engineers“ (BME), die biomedizinischen Ingenieure, schon die Headsets auf und sind bereit, den Arbeitstag des deutschen Astronauten im All zu begleiten. Der Arbeitstag beginnt früh, auch wenn die ISS-Zeit (Zulu-Zeit) zwei Stunden „Verspätung“ zur europäischen Sommerzeit hat, wenn es im Labor im All sieben Uhr ist, ist es in Porz bereits neun Uhr Uhr morgens.

Zwei Schichten betreuen Alexander Gerst

In zwei Schichten betreuen die BME und die Eurocoms „ihren“ Astronauten – nicht nur für Alexander Gerst, sie sind immer dann im Einsatz, wenn ein Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur ESA auf der ISS lebt und arbeitet. Konzentriert sitzen die Frauen und Männer im abgedunkelten Kontrollraum an ihren Konsolen, vor sich mehrere große Bildschirme, auf denen zum Teil Daten zu sehen sind, aber auch das Innere der ISS – in Echtzeit.

Erst jüngst wurden die beiden Abteilungen am EAC zu einer verschmolzen, um Kapazitäten freizumachen. Eurocom Andreas Orth: „Es gibt ja Pläne für einen Flug zum Mond, eine Station auf der Oberfläche oder in seinem Orbit. Da gilt es, einen ganzen Flickenteppich an Know-how zusammenzuführen, und dafür haben wir nun mehr Möglichkeiten.“ Ein Flug zum Mond ist allerdings noch Zukunftsmusik, während die Arbeit mit den Astronauten auf der Raumstation tägliche Routine ist. Petra Mittler ist „Biomedical engineer“ und erklärt: „Wir waren immer dann gefragt, wenn europäische Astronauten auf dem Flug sind, die Eurocoms immer dann, wenn ESA-Experimente betroffen waren.“ – Im neuen Team geht es nun sowohl um die Betreuung der Astronauten als auch um die der Experimente. Das Tagesprogramm von Alexander Gerst ist wie bei allen Astronauten eng getaktet.

Viele Forschungsversuche müssen betreut werden, nicht nur im europäischen Modul Columbus, sondern auch in den russischen, japanischen oder amerikanischen Modulen der Raumstation in 400 Kilometern Höhe über der Erde. Mittler: „Dann ist da ja noch das Sportprogramm, zweieinhalb Stunden täglich, sieben Tage die Woche, schauen auf das Körpergewicht, die Astronauten müssen ihre Augen untersuchen, es gibt medizinische Versuche, die die Astronauten an sich selbst vornehmen…“ Die Biomedical Engineers sind fit in Telemedizin, kennen aber alle europäischen Astronauten so gut, dass sie erkennen, wenn sich jemand gerade nicht so wohlfühlt. „Alle Astronauten auf der ISS müssen ja beispielsweise mit dem „fluid shift“, der Flüssigkeitsumverteilung, umgehen“, erläutert Petra Mittler. „Es kann vorkommen, dass Mageninhalt in die Speiseröhre gerät, der Geschmackssinn ist beeinträchtigt, die Zunge schwillt an – alles keine sehr angenehmen Begleiterscheinungen der Schwerelosigkeit.“ Die BME sprechen beispielsweise mit Astro-Alex auch über Appetit, Schlaf und das Wohlbefinden allgemein, passen das tägliche Training an und sagen einem ISS-Bewohner auch schon mal, dass er noch ein paar hundert Kalorien mehr zu sich nehmen sollte.

Training gegen Knochenschwund

Den WM-Fußball präsentiert Alexander Gerst im All.

Den WM-Fußball präsentiert Alexander Gerst im All.

Schwerelos im All zu schweben, während die Internationale Raumstation ISS in 400 Kilometern Höhe und mit rund 28 000 Stundenkilometern die Erde umrundet, klingt erst einmal wie eine aufregende Erfahrung. Astronauten, die jeweils mehrere Monate in der Raumstation verbringen, nehmen aber auch eine Reihe von gesundheitliche Beeinträchtigungen im Kauf.

Die Knochendichte nimmt ab während der Mission auf der Raumstation, ebenso muss ständig gegen einen Verlust an Muskelmasse antrainiert werden. Zugleich aber wird die Körperwärme in der Schwerelosigkeit schlechter abgeleitet. Bei den Astronauten steigt die Körpertemperatur im Ruhezustand 38 Grad, bei körperlicher Betätigung wie im täglichen Training auf 40 Grad. Auch das Immunsystem wird geschwächt. Überdies klagen viele Astronauten über Augenprobleme, wenn sie von der ISS zurückkehren. Auch damit dienen die Raumfahrer als menschliche Versuchskaninchen, denn der Verlust an Knochendichte etwa kann auf der Erde zu neuen Erkenntnissen über Osteoporose führen oder die Augenprobleme zu neuem Wissen über die Augenkrankheit Grüner Star.

Alexander Gerst schilderte in seiner ersten Video-Pressekonferenz aus der ISS einen ganz alltäglichen Nachteil der Schwerelosigkeit, so sehr er auch den Aufenthalt in der Raumstation genieße: „Ich vermisse es, mich nach getaner Arbeit aufs Bett zu werfen, dieser Moment der völligen Entspannung fehlt halt, wenn der Schlafsack schwebt.“ (jer)

Die Frauen und Männer an der Konsole im EAC sind also auch mitverantwortlich für das Wohlbefinden von Alexander Gerst, der erst seit wenigen Tagen auf der ISS und damit noch in der Eingewöhnungsphase ist. Außerdem begleiten sie den Astronauten durch seinen Tag, helfen ihm vom Boden aus durch die einzelnen Schritte bei Experimenten und sind jederzeit am Mikrofon, wenn Fragen auftauchen. Orth: „Eurocoms haben da eine hohe Verantwortung, man muss sich das Sprachprotokoll aneignen und schnell reagieren können.“ Sie sind die Schnittstelle zwischen den Astronauten und den Forschern, die ein wissenschaftliches Experiment auf der ISS haben. Gemeinsam mit den Eurocoms entwickelte Gerst bei seinem ISS-Aufenthalt 2014 die Lösung, die ihm den Spitznamen McGyver einbrachte: Einen festsitzenden Bolzen an einem Experimentenschrank durchzusägen und dabei mit Rasierschaum zu verhindern, dass Metallspäne durch die Raumstation flogen.

Orth ergänzt: „Natürlich hat meist der Flight Director bei der Nasa letztlich die absolute Entscheidungsgewalt, aber wir sind ja auch stark in die Missionsvorbereitung eingebunden und gehen mit den europäischen Astronauten Schritt für Schritt durch ihre Aufgaben.“ Astro-Alex hat jahrelang trainiert für seine Mission Horizons, viele Trainingsstunden hat er am EAC absolviert, in dessen Trainingshalle ein Modell des Columbus-Moduls in Originalgröße steht.

Das Team in Porz ist ihm, ebenso wie den anderen europäischen Astronauten, seit Jahren vertraut. Das erleichtert die Zusammenarbeit der Crew an der Konsole mit dem im All schwebenden Astronauten. Petra Mittler: „Wir kennen jeden Einzelnen seit langem, deshalb können wir auch gut einschätzen, wie es dem Astronauten gerade geht, ob er ausgeglichen oder gestresst ist.“

In den nächsten Tagen wird Astro-Alex mit dem Experiment „Myotones“ beginnen, das kleine Gerät misst nicht-invasiv den Tonus des ruhenden Muskels – ist er entspannt, verkrampft, verhärtet. Auf der ISS lässt sich so messen, was das tägliche Fitnessprogramm von Astro-Alex bringt, auf der Erde soll das kleine Gerät in der Rehabilitation Anwendung finden. Auch dabei sind die BME und Eurocoms besonders gefragt, denn für gute Ergebnisse muss auch die Durchführung des Experiments jedes Mal präzise sein.

Überdies ist die Bodencrew von biomedizinischen Ingenieuren und Eurocoms auch für die Betreuung der engsten Angehörigen der europäischen Astronauten zuständig – vor, während und nach dem Flug von Alexander Gerst sind sie auch Ansprechpartner für Fragen und Sorgen der Angehörigen.

Arbeitsreiche sechs Monate

Viele Erkenntnisse aus der Arbeit mit den Astronauten werden am EAC in ganz irdische Projekte umgesetzt. Beispiel Telemedizin: Medizinische- und Ingenieurleistungen fließen dort zusammen. Bei der Bekämpfung einer Ebola-Epidemie in Guinea hat das konkret geholfen. Ein Ziel der Bodencrew am EAC: Die medizinische Technologie aus dem All zur Erde zu bringen.

Es werden arbeitsreiche sechs Monate für Eurocoms und Biomedizinische Ingenieure, bis Astro-Alex Anfang Dezember von der Internationalen Raumstation zurückkehrt zur Erde. Und auch nach seiner Landung ist das Team für den deutschen Astronauten da: Die Rehabilitationsphase nach dem Flug absolviert Gerst im benachbarten Envihab-Labor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) – natürlich betreut vom Team aus dem EAC.

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