Geschichte der FrauenBikini-Mädchen geben Rätsel auf

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Dieses Mosaik aus der Villa Romana del Casale auf Sizilien ist über 1600 Jahre alt - und zeigt scheinbar aktuelle Bademode. (Foto: Imago)

Dieses Mosaik aus der Villa Romana del Casale auf Sizilien ist über 1600 Jahre alt - und zeigt scheinbar aktuelle Bademode. (Foto: Imago)

Er sieht aus wie das Bikini-Modell, das in diesem Sommer besonders modern ist: Ein knapper Streifen Stoff über der Brust, keine Träger. Doch die Figuren auf dem Mosaik, das den Boden der Villa Romana del Casale auf Sizilien schmückt, sind mehr als 1600 Jahre alt. Man nennt sie die Bikini-Mädchen, doch für Wissenschaftler ist ihr Outfit immer noch ein Rätsel. „Diese Darstellung ist einzigartig“, sagt Karl-Wilhelm Weeber, Professor für Alte Geschichte an der Universität Wuppertal. „Ein solcher Zweiteiler als Sport- oder Badebekleidung ist in der gesamten Antike sonst nirgendwo bezeugt.“

Zum Frauenbild der römischen Oberschicht wollen die knappen Kleidungsstücke jedenfalls nicht so recht passen. In der Öffentlichkeit hatte sich die vornehme Römerin möglichst unauffällig zu benehmen. Keusch und zurückhaltend sollte sie auftreten, um dem Namen ihres Mannes alle Ehre zu machen.

Sport war für Frauen verboten

Ein reicher römischer Aristokrat soll im vierten Jahrhundert auf dem Mosaik gewohnt haben, das eines der zahlreichen Räume seines Anwesens schmückte. Es zeigt zehn junge Frauen in sportlichen Posen. Eine Diskuswerferin, zwei Läuferinnen, zwei Ballspielerinnen, eine Weitspringerin mit Hanteln und die Szene einer Siegerehrung. Am zerstörten linken Oberrand war wohl einmal eine Speerwerferin zu sehen. „In der Öffentlichkeit - zum Beispiel auf dem Marsfeld - durften Frauen keinen Sport treiben“, sagt Weeber. Dort schwitzten vor allem Jünglinge, für die die körperliche Ertüchtigung zur militärischen Ausbildung gehörte.

Frauen waren auch als Zuschauerinnen von sportlichen Wettkämpfen ausgeschlossen, weil der Anblick muskulöser Sportler als unkeusch galt. „Wir haben aber durchaus Quellen, die besagen, dass Frauen im abgeschlossenen Raum trainiert haben“, sagt Geschichtsprofessor Weeber. Ob sie dabei einen Sport-BH trugen, ist nicht überliefert.

Sport wurde auch in den Thermen getrieben. Die großen kaiserlichen Badetempel, in denen mehrere tausend Menschen Platz fanden, waren ausdrücklich auch für die einfache Bevölkerung errichtet worden. Es gehörte zur Kultiviertheit des Menschen, regelmäßig die Thermen zu besuchen. „Es gab keine Plastik-Palmen wie heute in unseren Spaßbädern, sondern erlesene Kunst, die in heutigem Geld Millionen Euro wert wäre“, sagt Weeber.

Der römische Philosoph Seneca wohnte gleich über einer solchen Therme. Er entrüstete sich über den Lärm der Sportler: „Wenn die Kräftigeren ihre Leibesübungen treiben und dabei ihre Hanteln schwingen, wenn sie sich abarbeiten oder auch bloß so tun, dann höre ich ihr Stöhnen und, sobald sie dem angehaltenen Atem wieder seinen Lauf lassen, ihr Zischen und heftiges Keuchen“, berichtet er. Frauen erwähnt Seneca allerdings nicht.

In den Thermen war es außerdem normal, nackt zu baden. Weeber sagt: „Es fiel eher auf, wenn jemand mit einem Lendenschurz herumlief, als wenn er gar nichts an hatte.“ Trotzdem ließen die Römer die Hüllen nicht ganz ungeniert fallen. Nacktheit war durchaus mit Scham verbunden. Der römische Philosoph Cicero schrieb, dass es schändlich sei, seinen Körper vor anderen Bürgern zu entblößen, da dies zum Liebesspiel verführe. Männer sollten nicht nackt vor ihren Söhnen baden, um ihre Autorität zu bewahren. Gewöhnlich badeten Frauen und Männer in den Thermen auch getrennt. Entweder hatte jedes Geschlecht seinen eigenen Bereich oder sie kamen zu unterschiedlichen Zeiten. Die Frauen morgens - die Männer abends. „Nur Ehebrecherinnen baden gemeinsam mit Männern“, schrieb der römische Gelehrte Quintilian. Frauen zahlten auch mehr Eintritt als Männer, um die Hemmschwelle für die weibliche Bevölkerung höher zu legen.

Wabbelige statt durchtrainierte Bäuche

Dennoch muss es auch Bäder gegeben haben, in denen die Geschlechter zusammen planschten, auch wenn mehrere Kaiser - zum Beispiel Hadrian - versuchten, das gemeinsame Baden zu verbieten. „Alle dreißig bis vierzig Jahre wurde das Gesetz erneuert“, sagt Weeber. „Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es nicht eingehalten wurde.“ In den 60er-Jahren vermuteten einige Forscher, dass es sich bei den Bikini-Mädchen gar nicht um echte Sportlerinnen handeln könne. Ihnen fiel auf, dass sie nicht gerade athletisch wirkten, berichtet der Altphilologe Rigobert Fortuin, der an der Universität des Saarlandes den Sport im Augustinischen Rom erforscht hat. Sie warfen einen Blick auf die eher wabbeligen als durchtrainierten Bäuche der halbnackten Römerinnen und kamen zu einer erotischen Interpretation: Es sind Entertainerinnen, die eine Revue aufführen, bei der sie Sportgeräte als Requisiten schwenken, vermuteten sie - eine Art Wasserballett zur Animation der männlichen Zuschauer in der Therme. Tanzen galt für die römische Frau als Vorstufe zur Prostitution. Tänzerinnen waren ebenso wie Schauspielerinnen wenig geachtet. Der Historiker Martin Dolch hatte noch einen anderen Vorschlag. Er glaubte, dass es sich bei dem Mosaik, um eine Art Fitness-Anleitung für die Damen des Hauses handelte. Demnach zeige das Bild verschiedene gymnastische Übungen, die zum diätischen Programm einer jungen Dame gehörten. Die Diätik, die vor allem auf den griechischen Mediziner Galen zurückging, war die Lehre von einer gesunden Lebensweise, die neben ausgewogener Ernährung auch Leibesübungen vorsah.

Auch zum Sonnenbaden sind die Römerinnen sicher nicht im Zweiteiler an den Strand gegangen - zumindest nicht die Angehörigen der Oberschicht. Diese taten im Gegenteil alles, um sich eine vornehme Blässe zu erhalten, die sie vom einfachen Volk unterschied. Da das in Südeuropa bekanntlich gar nicht so einfach ist, nutzten sie ein Puder aus Kreide und weißem Blei.

Auch Kreuzkümmel galt als Mittel für hellen Teint. Der römische Gelehrte Plinius berichtet, dass selbst Männer das Gewürz für diesen Zweck einsetzten: So soll der reiche Römer Julius Vinder so lange Kreuzkümmelwasser getrunken haben, bis er totenbleich ausgesehen habe. Das Sonnenbaden ist nur von Männern in höherem Alter überliefert.

Buchtipp: Karl-Wilhelm Weeber: "Baden, spielen, lachen. Wie die Römer ihre Freizeit verbrachten". Primus, 16,90 Euro

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