Interview mit dem „Telefon-Talker“Jürgen Domian über seinen Roman und seine Lesereise

Lesezeit 7 Minuten

Über 20 Jahre lang redete er im Radio mit Menschen über ihre intimsten Geheimnisse. Nun geht der Telefon-Talker Jürgen Domian, 59, auf eine Lesereise. Im Mittelpunkt steht der neue Roman "Dämonen", der sich um Domians Lebensthemen Stille und Tod dreht. Die Zuhörer sollen auch Gelegenheit bekommen, mit ihm zu reden - über persönliche Krisen, schwere Sünden oder die Abgründe der menschlichen Seele. Mit Domian sprach Olaf Neumann.

Sie haben sich Zeit Ihres Lebens mit den Dämonen anderer auseinandergesetzt. Kommen in Ihrem Buch jetzt die eigenen Dämonen zum Vorschein?

Ich habe mich auch Zeit meines Lebens mit meinen eigenen Dämonen beschäftigt. In das Buch fließen die eigenen Erfahrungen ebenso ein, wie die vielen Berichte meiner Gesprächspartner aus der Sendung Domian.

Kann man seinen Dämonen überhaupt entfliehen, indem man wie Ihr Held die Zivilisation verlässt?

Nein, entfliehen kann man den Dämonen dort eben nicht. Im Gegenteil: Erst in der Stille und Abgeschiedenheit kann man sich ihnen wirklich stellen und den Kampf aufnehmen. Das Bild des Dämonenkampfes in der Stille ist uralt. Jesus geht in die Wüste und Satan versucht ihn zu verführen.

Was bedeutet Stille für Sie? Machen Sie noch Schweige–Einkehr?

Ja, ich gehe jedes Jahr nach Nordskandinavien, in die Einsamkeit, in die Stille. Wir leben in einer furchtbar lauten Zeit. Davor fliehe ich. Die Stille ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen.

Ihr Protagonist will sich in Lappland nackt in den Schnee legen und sterben. Warum?

Er ist des Lebens satt. Ihn reizt und interessiert gar nichts mehr. „Ich habe ausgelebt“, könnte er sagen. Dabei ist er mit sich im Reinen. Er stellt sich die Frage: Muss man leben, nur weil man lebt? Und verneint diese Frage.

Zur Person

Geboren 1957 in Gummersbach.

Ab 1993 moderierte er im WDR 1 die jugendfreie Radio-Talk-Sendung „Heiße Nummer“ für junge Menschen.

Von 1995 bis 2016 moderierte er die bimediale Telefon-Talkshow „Domian“.

Sein 2012 erschienenes Buch „Interview mit dem Tod“ wurde zum Bestseller.

2003 wurde er für „Domian“ mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, 2015 mit dem Robert Geisendörfer Preis und 2016 mit der 1 Live Krone.

Buchtipp

„Dämonen. Hansens Geschichte“

Gütersloher Verlagshaus

192 Seiten, 17,99 Euro

Auf Lesereise

Dienstag, 16. Januar 2018, tritt er

in Düsseldorf im Savoy Theater auf

Donnerstag, 22. Februar 2018, ist er in Köln im Theater am Tanzbrunnen zu sehen und zu hören.

Wovon soll ihn der Tod befreien?

Von der Langeweile, von der ewigen Wiederholung der Lebensabläufe, vom, wie er es sieht, sinnlosen Streben und sich Bemühen. Er will frei sein von der Last des Lebens.

Halten Sie mit dem Schreiben Ihre eigenen Dämonen in Schach?

Schreiben ist immer auch ein Versuch der Lebensbewältigung. Man formuliert Dinge aus und befreit sich so von ihnen. Das kennt jeder Tagebuchschreiber. Nur schaffe ich es nicht allein mit Schreiben, meine Dämonen zu bändigen. Dazu gehören noch andere Anstrengungen.

Was ist das Wichtigste im Umgang mit den eigenen Dämonen?

Sie zunächst klar zu sehen. Dann muss man ihnen entgegentreten – und eben kämpfen. Und selbst dann, wenn eine Schlacht zehn Mal verloren gegangen ist, muss man sich aufraffen für den elften Kampf. Überall lauert die Versuchung, Verführung, Verblendung. Aber jeder Tag ist ein kleines neues Leben. Das ist tröstlich. Man kann immer wieder neu beginnen.

Sind in das Buch auch Erfahrungen aus Ihrer Talk-Zeit mit eingeflossen? Welche genau?

Mit Sicherheit, ja! Im Detail kann ich es gar nicht so sagen. Ich wurde immer wieder mit den grundlegenden Fragen des Lebens in meiner Sendung konfrontiert. Und viele Anrufer haben mir bewegende Geschichten erzählt, wie sie zu einem stimmigen Leben gekommen sind. Zudem hatte ich einige Talk-Gäste, die genau wie mein Protagonist Hansen des Lebens satt waren, unter keiner Erkrankung litten und dennoch sterben wollten.

Sie haben sich in einem anderen Buch bereits ausführlich mit dem Thema Tod auseinandergesetzt. Hat der Tod einen Sinn?

Ja, das irdische Leben zu beenden. Der Tod ist das größte Geheimnis unserer Existenz. Und zugleich die größte Erschütterung. Aber unser Leben ist auch nicht denkbar ohne den Tod. Sollte es einen übergeordneten Sinn geben, so übersteigt dieser die menschliche Vorstellungskraft. Wir sollten dafür keine Begrifflichkeiten suchen. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein sagt: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Der Tod ist radikal. Versuchen Sie deswegen auch, für ein glückliches Leben radikal zu sein?

Ich strebe kein glückliches Leben an. Glück ist wie ein Feuerwerk: Schön, beeindruckend – und schnell wieder vergangen. Mein Ziel ist ein stimmiges Leben. Ja, und dafür braucht man, so glaube ich, klare Grundsätze und Leitlinien.

Worum geht es nach Ihrer Meinung eigentlich wirklich im Leben?

Ich kann es nur für mich beantworten. Wenn man niemandem schadet, ist schon viel gewonnen. Geht man zudem in Demut und mit Rückgrat durchs Leben, ist sicher viel erreicht.

Hat Ihre Beschäftigung mit dem Tod auch etwas mit dem Älterwerden zu tun?

Ja, je älter man wird, desto greifbarer ist der Tod. Aber im Grunde habe ich mich mein ganzes Leben mit dem Tod beschäftigt. Schon als Jugendlicher.

Ziele, Erfolg, Familie, Abenteuer, etwas Aufbauen... hätte das alles nur dann Sinn, wenn wir unsterblich wären?

Vielleicht hat es nur Sinn, weil wir sterblich sind. Weil wir die uns gegebene Zeit optimal nutzen möchten. Unsterblichkeit könnte Stillstand, unendliche Langeweile und Ödnis bedeuten.

Im Fernsehen haben wir uns daran gewöhnt, täglich Menschen sterben zu sehen. Und in Kriegen und in Hungersnöten sterben täglich Tausende. Wie sehr berührt Sie das?

Das Fernsehen erzeugt eine schreckliche Distanz zu den Dingen. Erlebe ich Leid und Not direkt vor meiner Tür, in meiner Stadt, in meinem Land, betrifft es mich emotional viel intensiver. Je älter ich allerdings werde, desto dünnhäutiger werde ich bei den Schreckensbildern im Fernsehen.

Was hat Sie bewogen, sich Ihre Lesung von dem renommierten Regisseur und Autor John von Düffel inszenieren zu lassen?

Ich gehe auf große Lese-Tour durch ganz Deutschland und auch in der Schweiz werde ich auftreten. Meine Agentur hat mich mit John von Düffel zusammengebracht, worüber ich sehr glücklich bin. Ich schätze John von Düffel schon sehr lange und begleite sein künstlerisches Schaffen seit ich auf Arte vor vielen Jahren eine Dokumentation über das Thema „Wie entsteht ein Roman“ gesehen habe. Dort wurde John von Düffels Zusammenarbeit mit seinem damaligen Lektor dokumentiert. Ich empfinde es als große Ehre, dass er die Inszenierung meiner Lesetour übernommen hat.

Ihre Lesungen sollen interaktiv werden. Auf welche Weise wollen Sie mit dem Publikum ins Gespräch kommen?

Mitten in der Veranstaltung gibt es einen großen Publikumsblock. Ich weiß überhaupt nicht, was auf mich zukommt. Sehr spannend. Das Publikum soll der Star sein. Die Leute können sprechen, fragen, agieren, was auch immer. Ich lasse mich überraschen.

Angeblich planen Sie auch eine neue Talkshow, bei der Sie Gäste von der Straße besuchen und sich von ihnen deren Geschichte erzählen lassen. Warum wollen Sie zurück ins Fernsehen?

Das ist noch völlig ungewiss. Wir konzipieren und überlegen gerade. Der Talk mit völlig unbekannten Menschen aber interessiert mich sehr. Nach 23 000 geführten Telefoninterviews würde ich meine Gesprächspartner gerne einmal sehen.

Wie sehr nehmen Sie in Ihrem neuen Lebensabschnitt jetzt am Geschehen am Tag teil. Und – vermissen Sie nicht manchmal die Nacht und ihre besondere Qualität?

Ich vermisse die intensiven nächtlichen Gespräche mit meinen Anrufern, die vielen Kontakte mit so unterschiedlichen Menschen. Aber ich genieße es sehr, wieder am Tage leben zu können. Fast 22 Jahre Nachtarbeiten waren genug.

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