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Interview mit KüchendesignerVon der offenen Küche zurück zur privaten

Lesezeit 6 Minuten
„Es gibt das Bedürfnis, die Küche wieder zu einem geschützteren Raum zu machen“, sagt Designer Alfredo Häberli.

„Es gibt das Bedürfnis, die Küche wieder zu einem geschützteren Raum zu machen“, sagt Designer Alfredo Häberli.

Köln – Als international renommierter Designer entwirft Alfredo Häberli unter anderem für Unternehmen wie Moroso, Kvadrad und Vitra und erhielt viele Preise. Ina Henrichs hat mit ihm gesprochen.

Herr Häberli, Sie haben eigens für die Messe Living Kitchen die Küche der Zukunft entwerfen dürfen. Dabei haben Sie auch an Kindheitserinnerungen angeknüpft. Welche sind das?

Ich habe die Küche immer noch als einen sehr sozialen Ort in Erinnerung. Wir haben als Kinder dort Hausaufgaben gemacht, Schlagzeug auf den Töpfen gespielt oder beim Anrichten geholfen. Ich sehe die abgenutzten Bretter vor mir, spüre die Wärme, habe die Dämpfe in der Nase. Viele Geräte gab es noch nicht und es hatte etwas Archaisches. Diese Erinnerungen haben mich begleitet bei der Frage, was man heute eigentlich wirklich braucht. Haben wir es in den letzten Jahrzehnten nicht einfach ein bisschen übertrieben? Wachstumsrückgang ist ein Thema, das auf dem Tisch der Gestalter gelandet ist.

Inwiefern? Welche ist für Sie die größte Veränderung in der Küche?

Früher war sie ein geschlossener Raum. Dann haben wir die Küche geöffnet und damit einen ganz anderen Blick auf sie ermöglicht. Sie ist offen zum Wohn- und Speiseraum. Und wenn die Mauern einmal weg sind, wird die Küche unweigerlich zu einem Showroom. Das bedeutet auch irgendwie Stress, weil man es clean haben will. Jetzt sieht man alles und die Leute machen sich Gedanken darüber, was man wirklich zeigen will und was nicht. Ein Beispiel ist das Abwaschen. Das ist den meisten Menschen ja lästig und man will seine Gäste damit nicht behelligen. Freunde von mir haben nun ein extra Nebenräumchen, wo sie alles Dreckige erstmal reinstellen, um es aus dem Blick zu schaffen. Also, da stellt man sich schon die Frage, ob es grundsätzlich Sinn macht, die Küche zu öffnen und ob die Durchreiche nicht Öffnung genug war. Es gibt das Bedürfnis, die Küche wieder zu einem geschützteren Raum zu machen.

Sie haben Ihren Entwurf „Sense & Sensuality“ genannt. Klingt wie ein Jane-Austen-Roman. Sind uns Sinn und Sinnlichkeit in der Küche wirklich abhanden gekommen?

Ich finde, wir sind in vielen Dingen zu weit gegangen und haben uns vom technischen Fortschritt und der Industrie mitreißen lassen. Jetzt ist es an der Zeit innezuhalten und vieles zu hinterfragen. Möchte ich wirklich von der Technik bestimmt werden? Heute gibt es schon kochendes Wasser aus dem Hahn. Will ich das? Ist es nicht ein schöner Teil der Zubereitung, darauf zu warten, bis das Wasser für den Tee heiß genug ist? Muss ich alles schon von unterwegs mit dem Smartphone steuern? In manchen Küchen sind zwei Waschbecken installiert. Warum? Das ist wie mit den SUVs. Brauche wirklich so einen Traktor, um meine Tochter vom Ballett abzuholen? Wir haben alles im Überfluss, das ist aber nicht überall auf der Welt so. Es gibt Hungersnöte, woanders ist Wasser knapp. Wir dürfen nicht stagnieren und nur wollen, dass alles formal, technisch und ästhetisch gut ist. Sich einzuschränken, kann schön sein. Wertschätzung tut gut.

Technischer Fortschritt kann aber doch auch zu einem verantwortungsbewussten Leben beitragen.

Ja, natürlich. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Es gibt unerhörte Entwicklungen. Allein der Kühlschrank ist heute energetisch super. Es gibt gute Materialen, Arbeitsflächen sind kratzfest, Messer sind aus Keramik. Das ist natürlich nachhaltig. Es geht mir aber auch um Abläufe und ums Bewusstwerden. Essen ist wertvoll. Die Zubereitung auch. Für mich ist zum Beispiel das Schälen und Schneiden von Gemüse meditativ. Das sind intensive Momente. Ich muss mich nämlich dabei konzentrieren, sonst schneide ich mich.

Wie wollen Sie das den Messe-Besuchern erklären?

Ich habe mir eine große Freiheit genommen und eben keine fertige Küche montiert. Ich habe darauf verzichtet, zum Beispiel noch einmal Marmor mit Trendfarben oder sonstiges zu kombinieren. Das war für mich zu wenig Zukunft. Ich habe in der Installation lose Ziegelsteine von Petersen Tegl aus Dänemark verlegt. Wenn man darüber läuft, kommt man erstmal runter, der Boden löst Ruhe aus. Ein Großteil der Küche sieht man aber nur als virtuelle Entwürfe. Die kann man sich mit dem Smartdevice dank Augmented Reality ansehen. Ich habe elf Teile entworfen, die in einer Küche der Zukunft stehen könnten. Zum Beispiel das unter dem Patronat von Schott Ceran stehende Kochfeld, das trapezförmig und ganz dünn ist. Steht eine Pfanne oder ein Topf drauf, fängt er an zu heizen. Das Kochfeld kann man überall hinstellen, auf den Tisch, auf der Arbeitsfläche. Man kann es als Herd oder als Rechaud benutzen. Ich habe mich auch gefragt, warum ein Kühlschrank, immer vertikal sein muss. Ich muss mich immer bücken und manche Lebensmittel sehe ich gar nicht. Deshalb habe ich dank der Unterstützung von Samsung einen Kühlschrank entworfen, der wie eine Vitrine aussieht und horizontal auf Augenhöhe angebracht ist. Ich kann sehen, was ich essen will, noch bevor ich die Tür geöffnet habe. Das ist nicht unbedingt meine Wunschküche. Ich möchte mit meinen Ideen gewisse Standards hinterfragen.

Sie beklagen die Entfremdung vom Essen. Könnte sie auch dazu führen, dass Küchen nicht nur technisch total überfrachtet werden, sondern vielleicht auch ganz verschwinden?

In einigen Mega-Cities werden tatsächlich schon Wohnungen ohne Küche gebaut. Es gibt nicht einmal eine Nische mit einer Mikrowelle oder einem Wasserkocher. Der Quadratmeterpreis ist so hoch, dass man auf die Küche verzichtet. Das sind Wohnungen für Menschen, die mal hier und mal dort arbeiten, die in ihrer Wohnung schlafen und mal einen Film sehen. Sie gehen auswärts essen. Es gibt so viele Konzepte, von denen wir hier gar nichts wissen. Wir müssen uns die Frage stellen, was wir wollen.

Den Entwürfen der Nachwuchsdesigner hier in Köln ist abzulesen, dass Nachhaltigkeit und eine gewisse Bodenständigkeit doch schon wieder sehr wichtige Themen sind. Macht Sie das nicht optimistisch?

Ja, ich sehe das. Viele junge Menschen beschäftigen sich mit Ressourcenknappheit. Meine Mitarbeiter zum Beispiel fahren kein Auto mehr. Brauchen sie eines, leihen sie sich eines. Sie essen keine Fertiggerichte, sondern kochen selbst. Vor kurzem habe ich mich mit meinen eigenen Kindern auseinandersetzen müssen, die lieber dort Urlaub machen wollen, wo man nicht hinfliegen muss. In einer solchen Zeit muss ein Designer Haltung zeigen. Design ist Haltung.

Welchen Platz sollten Kinder in der Küche haben?

Sie sollten in der Lage sein, so früh wie möglich beim Zubereiten des Essens helfen zu können. Sie wollen das von sich aus. Lassen wir sie.

Infos zur Messe

Die internationale Küchenmesse Living Kitchen auf der ImmCologne präsentiert Küchenmöbel, Hausgeräte und Zubehör sowie Koch- und Trend-Shows. Die Schau ist während der Publikumstage vom 18. bis 20. Januar täglich von 9 bis 18 Uhr und am Sonntag von 9 bis 17 Uhr zu sehen.

www.livingkitchen- cologne.de

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