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Interview mit Lars Eidinger„Michael Jackson war immer mein Idol“

Lesezeit 9 Minuten

Lars Eidinger hat sich als Schauspieler in Theater, Film und Fernsehen einen Namen gemacht.   Jetzt hat er sein erstes Album veröffentlicht. Über Musik,  Bravo-Poster, das Spiel mit Geschlechterrollen und seinen Haarausfall sprach er mit  Christian Seidl.

Herr Eidinger, Ihr Album heißt „I'll Break Ya Legg“. Ist das Slang?

Ehrlich gesagt habe ich mich da verschrieben. Ich wusste gar nicht, das man „Leg“ nur mit einem „g“ schreibt. Ich wusste auch nicht, dass „to break a leg“ eine englische Redensart ist und soviel heißt wie „Hals und Beinbruch“. Auch wenn man das den Hörern nur wünschen kann – zumindest, wenn sie zu der Platte tanzen wollen. Es ist keine Tanzplatte.

Das Cover zeigt, wie Sie in einem weißen Kleid ins Wasser gehen. Was sagt das über Sie aus?

Das Foto hat Juergen Teller gemacht, den ich schon lange kenne, und dem ich auch ganz viel zu verdanken habe. Ich habe ihn kennengelernt, ich glaube es war 2010, das Zeit-Magazin wollte ein Porträt bringen und hatte ihn als Fotografen angefragt. Damals kannte mich noch keine Sau, ich dachte, das wird nie passieren, und dann hat er mich aber tatsächlich angerufen...

... und machte das berühmte Bild, auf dem Sie dreckbeschmiert in Unterhose und mit Krone auf dem Kopf im Türrahmen stehen. Und das Coverfoto jetzt?

Das ist im Zusammenhang mit einer Schaubühnen-Kampagne entstanden. Ich wollte das Motiv nachstellen von Ophelia, die im Wasser treibt. Das Foto zeigt sozusagen den Weg dahin. Das trifft die Stimmung der Platte ganz gut. Es hat sowas Morbides, was Suizidales offensichtlich. Dann spielt es mit den Geschlechtern, das ist etwas, was mir sehr nahe ist – also dass da ein Mann ein Frauenkleid anhat. Dann hat es auch was Romantisches. Und schließlich ist Juergen Teller ja einer, der offensiv mit den Makeln der Leute umgeht.

Ihr Haarproblem.

Jeder andere würde da kurz mit Fotoshop drüber gehen und das zumachen. Dass man in der Hochglanzästhetik so offensiv damit umgeht und das auch zeigt: Das ist auch ein Kommentar zur Popkultur. So etwas kommt eigentlich in der Popkultur nicht vor: Leute, denen die Haare ausfallen.

Sie gehen erstaunlich cool damit um.

Das ist erblich bedingt. Mein Vater hatte in meinem Alter gar keine Haare mehr. Ich glaube, das ist für keinen Mann einfach. Es ist aber interessant, wie einfach es sich die Leute machen, sich darüber zu erheben.

Erleben Sie das so?

Ich war neulich auf einer Preisverleihung. Anneke Kim Sarnau und Bjarne Mädel waren auf der Bühne und haben gescherzt, es ging darum, dass Bjarne Mädel nie für einen Preis nominiert wird, ich war aber nominiert – und dann meinte Anneke Kim Sarnau, dem Lars Eidinger fallen doch auch schon die Haare aus und der bekommt trotzdem Nominierungen. Da dacht ich nur: Wenn ich jetzt über eine Kollegin sagen würde, die hat doch auch Hängebrüste – was wäre da wohl los! Wir müssen einen Weg finden, wie man da großzügiger wird miteinander. Wir sollten Lady Gaga beherzigen, die sagt: „Lasst uns unsere Makel zu etwas Besonderem erheben.“

Zur Person

Lars Eidinger (41) ist Schauspieler. Er stammt aus Berlin, absolvierte dort die renommierte Ernst-Busch-Schauspielschule, wo er zusammen mit Nina Hoss, Fritzi Haberlandt , Devid Striesow und Marc Waschke sein Handwerk lernte. Es folgte ein Engagement an der Schaubühne.

Im Jahr 2009 trat er in Maren Ades Drama „Alle anderen“ auch als Filmschauspieler in Erscheinung. Seitdem ist er regelmäßig auch in deutschen Film- und TV-Produktionen zu sehen. Derzeit läuft sein Film „Matilda“ im Kino. Im Fernsehen ist er in der Sky-Serie „Babylon Berlin“ zu sehen. Jüngst veröffentlichte er das Album „I'll Break Ya Legg“, eine Zusammenstellung instrumentaler HipHop-Tracks, die er vor zwanzig Jahren im Keller seiner Eltern aufgenommen hat.

Mögen Sie sich auf Fotos?

Als Schauspieler habe ich naturgemäß einen gewissen Geltungsdrang, deshalb bin ich's ja geworden. Ich habe immer davon geträumt, auf einem Bravo-Poster zu landen. Das hat leider nicht geklappt.

Sie haben die Bravo gelesen?

Damit bin ich aufgewachsen. Mit diesen Postern, die wie Ikonen in meinem Zimmer hingen. A-ha waren ganz wichtig, Morten Harket war für mich wie so eine Jesus-Figur. Es war mir aber irgendwann nicht mehr genug, die nur anzubeten – ich wollte auch selber einer von denen sein. Das war immer mein Ziel, auch zu so einer Ikone aufzusteigen. Juergen Teller hat mir das Foto aus dem Zeit-Magazin übrigens hinterher geschenkt, so auf zwei Meter mal einsfünfzig, das hängt jetzt bei mir zu Hause, für mich hat das den Stellenwert von einem Bravo-Poster.

Findet Ihre Frau das in Ordnung?

Also am Anfang gab's eine Diskussion. Darüber, was das so zu bedeuten hat, wenn man sich selber da in Unterhose im Wohnzimmer hängen hat. Und was, wenn Freundinnen meiner Tochter zu Besuch sind? Wollen wir, dass unsere Tochter eine Freundin besucht, und der Vater hängt da in Unterhose? Aber letztlich denke ich mir, das bin ja nicht ich. Das ist ja eine Stilisierung, mit der umgedrehten Krone, dem Schmutz, das ist mehr Hamlet als Lars Eidinger. Irgendein selbstverliebtes Schauspielerporträt, wo man da mit einem Arm aufgestützt in die Kamera blickt, fände ich fast aufdringlicher.

Kevin Rowland, der frühere Sänger der Dexys Midnight Runners, posierte für sein Soloalbum „My Beauty“ in einem Spitzenkleid. Das war das Ende seiner Karriere.

Bei mir ist es der Anfang ... Nahezu jeder Popkünstler, auf den ich was gebe, hat schon mit so etwas gespielt: Es gibt Bilder von Tricky im Hochzeitskleid, es gibt Bilder von Kurt Cobain in einem Frauenkleid.

Sie sagten, dass Ihnen das Spiel mit den Geschlechtern nahe ist.

Das Spiel mit der Androgynität hat wirklich eine lange Geschichte. Ich finde das immer kurios, dass es gleich der Aufmacher diverser Zeitungen ist, wenn ich mir nur die Fingernägel anmale. Ich habe neulich eine Dokumentation über Mick Rock gesehen, der in den 70ern diese ganzen Cover gemacht hat, von David Bowie, Lou Reed – die Jungs haben sich alle die Fingernägel lackiert.

Braucht die Welt nun auch eine Platte von Lars Eidinger?

Ich weiß schon, dass der eine oder andere jetzt denkt: Was muss'n der jetzt auch noch Musik machen? Und wenn ich ehrlich zu mir bin, denke ich genau so schlecht über die Kollegen, die jetzt alle Musik machen. Aber ich fühle mich da auf der sicheren Seite, weil die Musik ja schon ein bisschen älter ist, späte 90er, aus einer Zeit also, als ich noch studiert habe. Ich mach ja schon ganz lange Musik.

Immerhin singen Sie nicht.

Ich finde, die Musik ist sowieso auf eine Weise sperrig und nicht gefällig, sodass gar kein Verdacht aufkommt, dass ich da irgendwen oder irgendwas melken will. Ein paar Leute wird es interessieren, die anderen wird's eher verstören. Wenn ich jetzt deutsche Singer-Songwriter-Musik machen würde, wäre die Situation schon eine andere.

„I'll Break Ya Legg“ ist düsterer, instrumentaler HipHop. Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, wie ich meine, dass Lars Eidinger klingt, hätte ich auf Schubert-Lieder getippt oder auf harten Techno.

Na, das ist wahrscheinlich genau die Mischung.

Wer soll es hören? Wo passt es hin?

Ich finde schon, dass es den Kern dessen anspricht, was mich so ausmacht. Ich meine, heute verbindet man vielleicht eher etwas Expressives mit mir, aber eigentlich bin ich von der Veranlagung her total phlegmatisch. Die Expressivität hat ja ihren Ursprung darin, gegen dieses Phlegma anzukämpfen. Ich würde mich eher als melancholischen bis depressiven Charakter beschreiben. Ich versuche halt, dem nicht so zu erliegen. So wie diese Musik sieht es in mir aus, und das spür ich auch immer noch, zwanzig Jahre nachdem ich sie gemacht habe. Deshalb hat sie bis heute eine Gültigkeit. Ich würde sie zwar heute wohl nicht mehr so machen, aber ich war total froh darüber, dass die Leute von K7 das Ganze wieder ausgegraben und mich gefragt haben, ob sie das nicht noch mal rausbringen dürfen.

Es ist eine Wiederveröffentlichung?

Vor zwanzig Jahren sind sechs Tracks davon erschienen, zusammen mit zwei anderen Platten, eine von Transporter, eine von Lamé Gold, in einer kleinen 10-Inch-Vinyl-Reihe. Die hatten alle das gleiche Cover. Und es hat mich wahnsinnig gereizt, die Möglichkeit zu haben, mein eigenes Cover zu gestalten. So wie jeder von uns als Kind davon träumt, wie er seine Band nennen könnte, habe ich mir immer vorgestellt, wie mein Cover aussehen würde, wenn ich eine Platte mache.

Gibt man mit einer Platte mehr von sich preis als mit einer Theater- oder einer Filmrolle?

Ich glaube, das funktioniert ähnlich. Wenn ich auf der Bühne stehe und mich selber zur Disposition stelle, wenn ich ehrlich bin zu mir und zum Publikum, dann erfahre ich etwas über mich. Das Publikum lernt aber im Umkehrschluss auch etwas über sich. Wenn ich das Publikum als Spiegel benutze, benutzen die mich auch als Spiegel, das heißt, den Leuten geht es, wenn sie mich betrachten, um sich selbst – sie projizieren sich in mich und leiden dann, weil sie sich vorstellen, sie würden das gleiche durchleben wie die Figur. Und so funktioniert ja Popmusik auch. Man projiziert sich hinein, und es geht um die eigenen Gefühle.

Sie haben eigentlich gar keinen Grund für düstere Gedanken. Trotzdem bringen Sie jetzt diese düstere Platte raus.

Na ja, eine gewisse Melancholie zeugt ja auch von einer gewissen Intelligenz. Selbst wenn man in der absoluten Euphorie ist, weiß man, wenn man über einen gewissen Horizont verfügt, dass das wieder endet, und das kann einen schon melancholisch stimmen. Michael Jackson war immer mein Idol: der König des Pop und der einsamste Mensch der Welt zugleich. Und es gibt eine ganz tolle Aufnahme von Robbie Williams: Da steht er vor einer nicht endenden Menschenmenge, die geht bis zum Horizont, und auf einmal hält er kurz inne, und es kommen ihm die Tränen. Ich kann das sowas von nachvollziehen: Dass man begreift, dass diese Liebe, die einem da widerfährt, dass die nicht greifbar ist, dass die nichts ist, was man festhalten kann. Und damit muss man erst einmal klarkommen. Ich habe irgendwann für mich verstanden, dass das auch den Reiz des Lebens ausmacht: dass es endlich ist; dass das Leben überhaupt erst durch den Tod definiert ist, dass das eine das andere bedingt.

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