Interview mit Prof. BeuthBei Nahrungsergänzungs-Mitteln „wird viel getäuscht“

Lesezeit 6 Minuten

Mit Vitaminpräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln wird viel Geld verdient. Über IGel-Leistungen beim Arzt, die Sehnsucht der Menschen nach bequemer Gesundheit und das, was wir  wirklich brauchen, um fit zu bleiben, sprach Angela Horstmann mit Professor Josef Beuth.

Herr Professor Beuth, Untersuchungen zur vermeintlichen Vorsorge, die ich extra bezahlen muss, teure Spezialtherapien für eine schnellere Genesung und ein schier unüberschaubares Angebot an Pülverchen und Pillen, die ich angeblich für mein Wohlbefinden einnehmen sollte. Es scheint so, als lasse sich mit Gesundheit richtig gut Geld verdienen. Sind wir denn wirklich so krank, dass wir all das nötig haben?

Definitiv nein. Aber es stimmt, dass man mit Gesundheit derzeit leicht Geld verdienen kann. Mein Eindruck ist, dass Pharmaindustrie, Heilpraktiker sowie manche Ärzte und Kliniken gemerkt haben, dass es mehr Gesunde als Kranke gibt. Also macht man sich Gedanken, wie man mit den Gesunden Geld verdienen kann – nämlich indem man bestimmte Defizite oder Befindlichkeitsstörungen herbeiredet oder auch einfach nur verspricht, dass man für alle vielleicht auch real existierenden Beschwerden das passende Mittel hat, das heilen kann. So werden wir kranker gemacht als wir sind.

Vor allem Nahrungsergänzungsmittel scheinen zu boomen. Da hat man schnell den Eindruck, dass einem etwas Essenzielles fehlt. Ist dem so?

Nein, die meisten Nahrungsergänzungsmittel, vor allem Multivitamin- und Spurenelementpräparate, sind absolut überflüssig, solange man normal essen kann. Wer regelmäßig Obst, Getreide und Gemüse auf dem Speiseplan hat, der führt dem Körper alles zu, was er braucht. Es gibt sicherlich Situationen, etwa wenn man infolge einer Krebstherapie die im Obst und Gemüse enthaltenen Säuren schlecht vertragen kann, wo eine Extra-Zufuhr Vitamine wichtig ist. Trotzdem wird vor allem aber bei Gesunden viel Geld mit Nahrungsergänzungsmitteln verdient – und das obwohl manche eher krank machen als gesund.

Wie bitte?

Ja, nehmen Sie zum Beispiel die vielen Vitamin- und Spurenelementpräparate. Das sind in der Regel Sammelsurien aus Vitaminen und Spurenelementen, die meist falsch zusammengesetzt sind. Nimmt man solche Präparate während einer Krebsstandardtherapie, dann besteht die Gefahr, dass die Wirkung dieser Therapie gemindert wird. Da sollte man sehr vorsichtig sein. Multivitamin- und Spurenelementpräparate sind nach meiner Einschätzung teuer, meist nicht richtig zusammengesetzt und enthalten zuweilen Substanzen, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein.

Zur Person

Professor Josef Beuth leitet das Institut zur Evaluation naturheilkundlicher Verfahren an der Universität Köln. Er ist Experte für Komplementärmedizin.

Was genau macht diese Präparate denn so gefährlich?

Viele Nahrungsergänzungsmittel enthalten Palmölanteile oder Vanillin. Beide Substanzen können krebserregend sein. In vielen Multivitamin- und Spurenelementpräparaten ist Eisen enthalten. Eisen im Überschuss kann Wachstumsfaktor für Krebszellen im Magen-Darm-Trakt sein.

Und wie sieht es mit den vielen Pflanzenextrakten aus, die aktuell als Wunderwaffe gegen Krebs angepriesen werden?

Ja, da gibt es im Moment eine ganze Palette, die für teures Geld verkauft werden. Zum Beispiel Granatapfel- und Curcumin-Extrakte oder Sulforaphan, eine Brokkoli-Komponente. Tatsächlich ist die krebshemmende Wirkung dieser Wirkstoffe experimentell im Reagenzglas nachgewiesen. Aber im Prinzip ist das Augenwischerei. Zwar sterben die Krebszellen ab, wenn man eine gewisse Menge dieser Wirkstoffe auf sie gibt. Aber die Menge ist genau das Problem. Die Wirkstoffmenge, die im Reagenzglas die Krebszellen abtötet, kriegen wir in Pillenform gar nicht in unseren Körper hinein. Die angepriesenen Laborexperimente der Hersteller betrachte ich als ausschließliche Werbestrategie. Krebs kann mit derartigen Präparaten nicht verhindert oder therapiert werden. Ähnliche vermeintliche Wundermittel gibt es auch für Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch die sind mit Vorsicht zu genießen.

Gibt es Therapien, vor denen Sie ausdrücklich warnen?

Oh ja. Es gibt im Moment unzählige Bücher und Therapeuten, die Krebspatienten eine Vitamin B17-Therapie empfehlen. Enthalten ist ein Blausäureabkömmling, der Zellen in den Erstickungstod führt – aber eben nicht nur Krebszellen. Eine solche Therapie ist genauso fahrlässig, wie das Vertrauen auf Kaffee-Einläufe, die von einigen Privatkliniken in der alternativen Krebstherapie angeboten werden. Krebspatienten, die derartige Heilversuche anstelle von Standardtherapien anwenden, setzen ihr Leben aufs Spiel. Sehr skeptisch bin ich auch bei den vielen naturheilkundlichen Immuntherapien, die angeboten werden. Die meisten sind unspezifisch, also nicht kalkulierbar. Schließlich hat unser Immunsystem eine gute und eine schlechte Seite. Die gute Seite bekämpft und tötet Viren, Bakterien und Krebszellen, die erkennbar sind. Die schlechte Seite setzt Wachstumsfaktoren frei, die auch das Wachstum bösartiger Zellen aktiviert. Das Problem bei den unspezifischen Therapien: Ich weiß nicht, welche Seite des Immunsystems aktiviert wird.

Wie kann ich in dem Riesenangebot an Extra-Pillen und Zusatz-Therapien erkennen, welche seriös sind und welche eben nicht?

Das ist zugegebenermaßen selbst für Ärzte manchmal gar nicht so einfach. Wir empfehlen den Patienten immer, sich die Behandlungsleitlinien bzw. die Patientenleitlinien anzuschauen. Die sind von Fachgesellschaften erstellt und seriös. Außerdem kann man schauen, ob es Studien zu einer bestimmten Therapie oder einem bestimmten Präparat gibt. Aber ich gebe zu, auch das ist schwierig. Oft wird etwas Studie genannt, was gar nicht den Anforderungen einer wissenschaftlichen Studie entspricht. Da wird viel getäuscht, und das ist ein Riesenproblem. Letztlich glaube ich, dass es am besten ist, mit dem Arzt des Vertrauens darüber zu sprechen, was individuell das Richtige ist.

Na ja, auch manche Ärzte versuchen mit der Gesundheit Geschäfte zu machen. Sie wollen mit individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) oder dem Verkauf von Vitaminpräparaten Extra-Geld machen…

Wenn in einer Arztpraxis Vitamin- oder Wellness-Produkte verkauft werden, finde ich das fast verwerflich. Auch die meisten der IGeL-Leistungen halte ich für nicht notwendig. Ich bin der festen Überzeugung, dass krankenversicherte Patienten in Deutschland in der Regel gut versorgt werden. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern haben wir in Deutschland ein sehr gutes Gesundheitssystem.

Gibt es IGeL, bei denen Sie das anders sehen?

Zum Beispiel bei der Bestimmung des Vitamin D-Gehaltes im Blut. Wir wissen, dass Vitamin D für die Knochengesundheit sehr wichtig ist. Da würde ich mir wünschen, dass das großzügiger gehandhabt würde und die Blutuntersuchung von den gesetzlichen Kassen nicht erst bezahlt würde, wenn es ein Defizit gibt. Würde der Wert vorher ermittelt, könnte eine sinnvolle Prophylaxe betrieben werden. Die Verabreichung einer Vitamin D Medikation würde dann verhindern, dass Knochen bruchgefährdet werden.

Wir verzichten also auf Pillen, Pülverchen und Zusatztherapien. Was kann ich stattdessen tun, um einigermaßen gesund alt zu werden?

Auch wenn es kein Patentrezept für ein gesundes und langes Leben gibt, so senkt ein angemessener Lebensstil das Risiko für Zivilisationskrankheiten wie z. B. Krebs, Herz-Kreislauf- sowie Stoffwechselerkrankungen. Konkret bedeutet das: Eine ausgewogene Ernährung, das Vermeiden von Übergewicht, ausreichendes Trinken, ausreichend Schlaf, Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum, körperliche Aktivität und eine ausgeglichene seelische Balance. All das sind wesentliche Voraussetzungen, um gesund zu bleiben oder gesund zu werden. Und selbst mit dem Alter einhergehende Befindlichkeitsstörungen wie Gelenkbeschwerden lassen sich oft durch ein gezieltes Muskeltraining vorbeugen.

Das klingt nicht so, als sei es ein Teufelswerk, so zu leben. Warum greifen trotzdem viele von uns zu Pillen?

All diese Maßnahmen erfordern zuweilen Disziplin und Motivation, die nicht von allen Menschen aufgebracht wird. Zudem ist Deutschland ein wohlhabendes Land, in dem viele Menschen offenbar genug Geld haben, um für eine „scheinbare“ Gesundheit zu zahlen. Manchmal herrscht auch eine Mentalität vor, dass nur gut und hochklassig ist, was auch viel kostet. Zudem suggeriert die Werbemaschinerie geschickt, dass es uns mit den Zusatzprodukten eben noch besser geht – was wie gesagt aber gar nicht stimmt.

Rundschau abonnieren