Interview mit SchriftstellerJohn le Carré fordert zum Widerstand gegen Trump auf

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David John Moore Cornwell, der als Schriftsteller den Künstlernamen John le Carré annahm

David John Moore Cornwell, der als Schriftsteller den Künstlernamen John le Carré annahm

Köln – Der Altmeister des Agententhrillers John le Carré kehrt in die Zeit des Kalten Krieges zurück: Sein neuer Roman "Das Vermächtnis der Spione" wurde in der "Kölnischen Rundschau" bereits besprochen. Der Autor hat aber noch mehr zu sagen. Mit Andrej Sokolow sprach er über seine Ängste um die Demokratie, seine Enttäuschung über den Brexit - und die Folgen von Trumps Politik.

Sehen Sie Parallelen des Kalten Krieges zur heutigen Zeit mit neuen Konflikten zwischen Russland und dem Westen?

Ich glaube nicht, dass ein Vergleich passt. Die Rolle Amerikas ist eine andere. Amerika ist zwar weiterhin unerbittlich kapitalistisch – zum eigenen Leidwesen –, aber es ist nicht mehr der Beschützer des Westens. Es läuft auch keine Konfrontation zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Ich sehe einen Wettstreit beider Seiten um Europa.

Wo liegt die Motivation der Russen?

Einerseits wollen sie als Europäer angesehen werden und andererseits den Europäern zeigen, dass sie etwas Besseres sind. Aber in Wirklichkeit zahlen wir einen gewaltigen Preis dafür, dass wir Russland nicht aufrichtig die Hand hingestreckt haben, als die Sowjetunion in Trümmern lag. Kein Marshall-Plan, keine umfassende Vision für eine neue Welt. Es regierte die Gier: Sich greifen, was geht, den Kadaver zerfleddern. Wir haben Russland erniedrigt, den Bären entehrt. Und jetzt heizt Putin nationalistische Stimmung an.

Zur Person

David John Moore Cornwell,der als Schriftsteller den Künstlernamen John le Carré annahm, wurde 1931 in Poole im Vereinigten Königreich als Sohn eines „professionellen Schwindlers“ geboren, wie er selbst sagt.

In den Jahren von 1950 bis 1964 arbeitete er für verschiedene britische Geheimdienste. Seit dem Durchbruch mit seinem Roman „Der Spion, der aus

der Kälte kam“ (erschienenim Jahr 1963) ist er freier Schriftsteller.

Geht es in Ihrem neuen Buch also auch um das Vermächtnis einer Generation, die den Kalten Krieg gewann, aber danach westliche Werte nicht zu verteidigen wusste?

Ja. Außergewöhnlich ist heute, dass soziale Demokratie gleichzeitig aus Ost und West angegriffen wird. Trump und Putin vereint dieses Bestreben, die liberale Demokratie zu untergraben. Dabei gibt es nichts, was sie ersetzen kann. Man erschafft nur Anarchie, die Demagogen hervorbringt.

Ist das die größte Gefahr für den Westen?

Das glaube ich, ja. Ich fürchte um die Wahrheit in unserer Gesellschaft. Mich erschreckt die stete Aushöhlung liberaler Grundsätze in der westlichen Welt, das wird von Trump verkörpert und in Europa kopiert. Aus Amerika kommt gerade der Ansporn, alles falsch zu machen. Ermutigung zu Gier, Grausamkeit, irrationalen Racheakten. Trump hat eine giftige Atmosphäre erschaffen, der wir alle ausgesetzt sind. Man kann ihn nicht ignorieren. Er wird nicht über Nacht verschwinden. Er baut ein wirklich schreckliches System auf. Es ist eine Ermunterung für Populisten in Ungarn und Polen – und verschärft in Deutschland die Spaltung zwischen Ost und West.

Sehen Sie eine Lösung?

Ich glaube daran, dass eine vernünftige Gesellschaft ihre Elite demokratisch wählt und sich um ihre Verlierer kümmert. Es geht darum, Mitgefühl in die Politik einzubringen. Das mag abgedroschen klingen – aber die Lösung könnte sein, dass anständige Menschen einander finden.

Wie soll das funktionieren?

Wir sollten Trump und seine Truppe im Moment als Schurkenstaat betrachten. Ich sähe gern, wie amerikanische Überflieger-Anwälte ihre Roben überziehen und auf die Straße gehen. Sie wissen bestens, dass Trump das Gesetz angreift. Wir brauchen eine energische Geste rechtschaffener Menschen. Etwas, was zeigt: Hier ist die Grenze, ab der wir Dinge nicht mehr dulden.

Kann der europäische Traum eine vereinende Kraft sein?

Es ist das einzige, was im Moment bleibt.

Haben wir die Institutionen dafür?

Wir haben schlaffe, inkompetente Regierungen. Die Regierung meines Landes ist eine Katastrophe. Sie ist so voller eigener Interessen, absurder nostalgischer imperialer Visionen, so gespalten, sie kann nichts anführen.

Wie haben Sie die Brexit-Entscheidung aufgenommen?

Für mich war sie außerordentlich schmerzhaft. Ganz schrecklich. Ich bin in der ungewöhnlichen Position, dass ich mir wünsche, dass die Verhandlungen meiner Regierung scheitern. Ich möchte, dass die Inkompetenz unserer Minister deutlich wird. Niemand, der für den Brexit stimmte, stimmte für Armut. Aber wird das weiter so schlecht gemanagt, wird Armut die Folge sein.

Seit dem Ende des Kalten Kriegs haben Sie die Schattenseiten des Westens attackiert – was trieb Sie dabei an?

Ich habe die Globalisierung schon immer so betrachtet, wie wir jetzt das Silicon Valley sehen – als rücksichtslosen Eingriff in soziale Strukturen. Besonders in Afrika wurden die Megacitys und die Zerstörung des ländlichen Lebens als Verbesserung dargestellt. Es war nur Ausbeutung unter anderem Namen. Ich dachte, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges wichtig gewesen wäre, die Welt fairer zu machen. Das Gegenteil war der Fall. Überall, wo ich die Globalisierung am Werk sah, war es eine soziale Katastrophe. Ich glaube, jetzt nähern sich mehr Menschen dieser Idee an, dass wir uns ökologisch und sozial beschränken müssen.

Was brachte Sie dazu, für das neue Buch in die 60er Jahre zurückzukehren?

Meine Söhne als TV-Produzenten dachten über eine sechsteilige Version von „Der Spion, der aus der Kälte kam“ nach. Aber man kann dieses Buch nicht auf sechs Stunden langziehen. Wenn man also den Motiven der Figuren auf den Grund gehen will, muss man sich Gedanken über ihre Vorgeschichte machen. Und in frühen Gedankenspielen, wie man das Buch erweitern könnte, hatte ich das Gefühl, es entsteht etwas, worauf ich aufbauen kann. Es war großartig. Ich musste ein Buch schreiben.

Der Meisterspion George Smiley – was bedeutet er für Sie?

Anstand, Pflichtbewusstsein – all diese bourgeoisen Werte. Aber von Anfang an – das ist die Ironie des Namens – war er jemand, für den von Freude nicht die Rede ist. Jemand, der eine Verantwortung für den Nächsten fühlt. Und jetzt verzweifelt er, weil wir es mit so vielen alten Feinden in neuem Gewand zu tun haben und er sich fragt, ob diese Schlacht es wert war.

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