Interview zu Bernd Alois ZimmermannDirigent Wendeberg „Es hat mich umgehauen“

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Michael Wendeberg bei der Probe

Michael Wendeberg bei der Probe

Mit dem Dirigenten Michael Wendeberg sprach Markus Schwering über die Bedeutung des Werkes des mit Köln eng verbundenen Komponisten Bernd Alois Zimmermann, dem das diesjährige Acht-Brücken-Festival einen Schwerpunkt widmet. Wendeberg tritt am 10. Mai  im Rahmen des Festivals auf. Herr Wendeberg, können Sie sich erinnern, wann und wie Sie zum ersten Mal mit Musik von Bernd Alois Zimmermann in Berührung kamen?

O ja, das war wohl 1986. Da war ich auf einem Kompositionskurs für Kinder, habe harmlose Sachen gemacht – ein Sonätchen, ein Trio. Bei dem Kurs wurde auch Musik analysiert, darunter Zimmermanns „Photoptosis“. Das hat mich umgehauen, ich hatte so etwas noch nicht gehört – da habe ich dann meine eigenen Komponierversuche schnell aufgegeben.

Dann hat Zimmermann Ihnen also die Komponistenkarriere versalzen?

Zur Person

Michael Wendeberg, geboren 1974 in Ebingen/Schwäbische Alb, startete seine Karriere als Pianist – als welcher er von 2000 bis 2005 dem Ensemble Intercontemporain angehörte. 2005 nahm er ein Dirigierstudium in Saarbrücken auf. Nach mehreren Laufbahnstationen ist er aktuell Leiter des Ensembles Contrechamps in Genf und Erster Kapellmeister an der Oper Halle.

Am Donnerstag, 10. Mai, 20 Uhr, dirigiert er in der Philharmonie ein Konzert mit dem Chor des Bachvereins und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Auf dem Programm stehen Werke von Zimmermann, Bach und Mahler.

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Ach, da ist der Welt nicht viel verloren gegangen – und Dirigieren ist ein sehr schöner Beruf.

Was elektrisiert und fasziniert Sie an Zimmermann?

Er ist eigentlich gar nicht festzulegen, orientiert sich in unglaublich viele Richtungen – was auch mit seiner Vorstellung einer „Kugelgestalt der Zeit“ zu tun hat. In seiner Musik kann irgendwie immer alles passieren, und zugleich ist eine große Notwendigkeit da. Heute würde man vielleicht von Postmoderne sprechen, aber das trifft Zimmermann eigentlich gar nicht. Er ist radikale, aber zugleich auch plurale, in alle Richtungen offene Moderne.

Es ist also richtig und wichtig, Zimmermann ein komplettes Festival zu widmen – in dessen Rahmen ja auch Sie auftreten?

Das ist genauso legitim, wie es Mozart- und Wagner-Festivals gibt. Zimmermann ist eine zentrale Figur der Musikgeschichte. Diese Oeuvres sind jeweils so reich, dass man sich daran sehr fruchtbar abarbeiten kann – man wird nicht fertig damit.

Sie führen mit dem Sinfonie-Orchester Berlin in Köln Zimmermanns Chorwerk „Ekklesiastische Aktion“ auf – sein letztes Werk, auf dessen Vollendung wenige Tage später der Selbstmord folgte.

Es ist in der Tat ein sehr dunkles Werk – nicht im Sinne von „unverständlich“, sondern eben von „düster“. Es spuckt unglaublich viel Leid aus, hat an vielen Stellen suizidale Komponenten. Selbstredend ist da auch die Geschichte anwesend, die Zimmermann erleben musste, also die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Folgen. Da bohrt die Frage: Was ist da in uns, dass das passieren konnte? Grundlage sind Texte der Bibel – der Prediger Salomo – und des 19. Jahrhunderts – Dostojewskis „Großinquisitor“, aber es geht ganz grundsätzlich um das Leiden am Menschsein.

Und was ist mit der christlichen Dimension?

Das ist keine orthodoxe Glaubenszuversicht mehr, aber sicher hat noch das Nichtglauben bei Zimmermann christliche Züge.

Sie spielen ein sehr sorgfältig komponiertes Programm, konfrontieren die „Ekklesiastische Aktion“ mit Bachs Kreuzstabkantate, deren Schlusschoral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“ Zimmermann zitiert, und dem Adagio aus Mahlers unvollendeter zehnter Sinfonie – dies ebenfalls ein „letztes Werk“, welcher Begriff ja stark ideologisiert ist.

Nun ja, der dissonante Neuntonakkord in Mahlers Adagio wäre auch dann ein Schock, wenn wir nicht um die Todesnähe des Werkes wüssten. Das geht über das Finale der Neunten noch einmal hinaus, hier greift Mahler, der sonst immer tonal komponiert hat, kompromisslos ins Atonale – nachdem übrigens auch hier als Hauptthema ein Choral erklungen ist.

Und am Anfang steht eben die besagte Kreuzstabkantate von Bach...

..deren Schlusschoral, wie Sie feststellten, Zimmermann aufgreift. Die Anregung für die Werkzusammenstellung ging vom Philharmoniechef Louwrens Langevoort aus, und ich bin ihm außerordentlich dankbar dafür. Es bleibt aber eine sehr spezielle Aufgabe, solch extrem unterschiedliche Stücke mit ein und demselben Orchester zu proben. Ich bin da jedenfalls sehr gespannt. Ich werde Bach übrigens vom Cembalo aus dirigieren.

Nun ist das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin, mit dem Sie zusammen auftreten werden, nicht gerade als Bach-Spezialist bekannt...

Ja, aber es wäre schade, wenn sich die Traditionsorchester diese Agenda von den historischen Ensembles einfach abjagen ließen. Sie wären dann mittlerweile dazu verdammt, nur noch Musik ab Strawinsky zu spielen. Selbstredend können die großen Orchester das Barockrepertoire nicht mehr wie weiland Mengelberg und Karl Richter machen, sie müssen schon die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis annehmen und beherzigen. Wenn man nicht entsprechend artikuliert und relativ kleingliedrig phrasiert, wird die ganze Syntax von Bach nicht verständlich.

Trotz der unbestritten starken Bezüge: Die Spreizung zwischen Bach und Zimmermann ist doch enorm.

Ja, aber ich finde, dass es solche erhellenden Programme noch viel zu selten gibt. Und den Gewinn fahren Ausführende und Publikum gleichermaßen ein. Da werden einfach musikalische Zusammenhänge deutlich – von Dingen, die zusammengehören.

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