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Mehr Sport und besser ernährenDiabetes ist eine Volkskrankheit

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Symbolbild

Eine Frage vorab: was erfährt man, wenn man bei Google das Wort „Diabetes“ eingibt und die „Google-Autovervollständigung“ abwartet? Mit welchen Vorurteilen und Klischees ist die Stoffwechselerkrankung belegt?

„Diabetes ist … kein Zuckerschlecken.“ Nun, das Internet, besser gesagt Menschen, die sich dort bewegen, sind böse und haben bisweilen einen sehr schwarzen Humor. Dieser Vorschlag ist der erste Platz in der Liste. Nummer zwei: „Diabetes ist … meine Sache.“ Und drittens: „Diabetes ist…heilbar.“

Wenn es nach Frank Baer geht, Chefarzt im St. Antonius Krankenhaus Köln und Diabetes-Experte, müsste die letzte Aussage auf Platz eins stehen. „Patienten können durch ihre eigene Lebensweise dafür sorgen, dass sie weniger oder manche sogar keine Diabetes-Medikamente mehr brauchen“, sagt er. Die beiden Hauptmaßnahmen dazu sind Ernährung und Bewegung. Das würden auch fast alle Erkrankten wissen. Es gebe sogar „einen kleinen Teil, vielleicht fünf Prozent der Patienten, die sich sehr intensiv mit Diabetes beschäftigen. Manche von ihnen haben dabei ein besseres Detailwissen als medizinisches Personal.“

Zahlen des Deutschen Gesundheitsberichtes aus dem Jahr 2017 zufolge gibt es mehr als 6,5 Millionen Diabetiker in Deutschland. Das sind 7,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Hauptursache für Erblinden

Die Dunkelziffer wird auf zwei Millionen Menschen geschätzt. „Es ist durchaus üblich, dass Menschen lange Zeit nicht ahnen, dass sie Diabetes haben“, sagt Baer. „Manche verdrängen die Symptome auch.“ Typische Anzeichen sind starker Wasserverlust und Gewichtsabnahme. Die Kosten für Behandlung, Pflege, Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung betragen im Jahr 35 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das ist in etwa so viel wie der Bund im Jahr 2017 für Verteidigung ausgegeben hat – der zweitgrößte Posten im Bundeshalt.

80 Prozent der Diabeteskosten hängen nicht mal direkt mit der Behandlung zusammen, sondern mit den Kosten für Folgeerkrankungen. „Die Hauptursache für Erblinden oder Dialyse in Deutschland ist Diabetes“, sagt Baer.

Um etwas gegen die Krankheit unternehmen zu können, muss man bei der Behandlung unterscheiden zwischen den beiden Diabetes-Typen. Bei Diabetes Typ I produziert der Körper nicht genügend Insulin. Das Hormon ist verantwortlich, dass der Zucker aus dem Blut in die Zellen transportiert und dort für die Energiegewinnung genutzt werden kann. Menschen, die an Diabetes Typ II erkrankt sind, produzieren zwar noch selbst Insulin, das ist aber nicht wirksam genug. Der Vorteil ist allerdings, dass man die Krankheit in den Griff bekommen kann, wenn man seinen Lebensstil anpasst.

Für Typ I-Erkrankte bedeutet das, den Blutzucker regelmäßig zu kontrollieren und die Insulinzufuhren richtig zu dosieren. Betroffene kennen sich meist sehr gut aus mit der Krankheit und wissen genau, was zu tun ist. Typ II-Patienten sollten ihre Lebensweise umkrempeln: bessere Ernährung und mehr Sport. Letztlich sind das genau die zwei Risikofaktoren, die eine Erkrankung wahrscheinlich machen. 

Wichtig ist laut Baer eine ballaststoffreiche Ernährung, also insbesondere Obst und Gemüse. Und Gerichte mit schwer verdaubarem Zucker. Darunter fällt zum Beispiel Schwarzbrot. Leicht verdaubarer Zucker ist zum Beispiel in Süßigkeiten und Süßgetränken zu finden. Die Logik funktioniert kontra-intuitiv: „Leicht“ bedeutet „ungesund“, „schwer“ steht für „gesund“.

Regelmäßig Sport oder 1000 Schritte am Tag

Sportmedizinerin Christine Graf sieht an diesem Punkt die Politik in der Pflicht. „Ich finde es wirklich fatal, wie wenig sich tut. Wir brauchen endlich eine Ampel auf Nahrungsmittel, um den Verbrauchern auf ganz einfache Weise klarzumachen, was gesund und was ungesund ist“, sagt sie. „Es kann nicht sein, dass die Hersteller ihr Produkte mit »Ohne Zuckerzusatz« kennzeichnen und damit suggerieren, es würde sich um ein gesundes Produkt handeln.“

Ebenfalls sehr wichtig, aber zu selten umgesetzt: mehr Sport. „Wenn man schon nicht regelmäßig Sport treibt, sollte man wenigstens 10 000 Schritte am Tag gehen“, sagt Baer, der davon berichtet, dass die meisten seiner Patienten gerade einmal auf 1000 bis 1500 Schritte kommen.

„Das Problem ist auch: Wir müssen uns heute kaum noch bewegen“, ergänzt Christine Graf, Dozentin an der Sporthochschule in Köln. Wenigstens der Weg zur Arbeit solle aber aktiv gestaltet werden. Oder man hole den Sport am Wochenende nach. Diese „Weekend Warriors“ senken ihr Sterberisiko laut einer britischen Studie immerhin um 30 Prozent.

Problematisch ist auch, dass bei vielen Patienten aufgrund des bereits vorhandenen Übergewichts Knie und Hüften geschädigt sind. Dazu kommt, dass das zugeführte Insulin wie ein Masthormon wirkt.

Drei bis vier Kilo Gewichtszunahme sind durchaus normal, sagt Baer. Alternativen gibt es aber auch für übergewichtige Menschen, zum Beispiel Wassergymnastik.

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Diabetes-Experte Baer kommt eigentlich aus der Kardiologie, er beschäftigt sich mit allem rund um Herz und Kreislauf. „Der Großteil der Patienten, die ich dort behandelt habe, hatte Diabetes. Das ist die logische Konsequenz, denn Diabetiker haben ein mindestens doppelt so hohes Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bekommen.“ Er hat sich entschieden, mehr über den Auslöser für die Erkrankungen zu erfahren. „Ich habe in meinem Berufsleben mit immer mehr Diabetikern zu tun.“.

Ein Leben mit Diabetes ist heute wesentlich leichter und auch weniger zeitaufwendig, da sind sich Baer und Graf sicher. „Wer es schafft, seinen Alltag zu regeln, gesund zu essen, sich ausreichend zu bewegen und sein Gewicht zu kontrollieren, kann auch als Diabetiker ein weitgehend unbeschwertes Leben führen“, sagt Baer.

Das zeigt übrigens auch die Auto-Vervollständigung bei Google. Manchmal ist sie eben doch nicht so schlecht: Unter den ersten zehn Vorschlägen zu „Diabetes ist…“ kommen viermal die Wörter „heilbar“ und „Heilung“ vor – und nur einmal „schlimm“.  

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