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MöbelRecycling vorerst noch ein Nischenthema

Lesezeit 7 Minuten
Jan Schönborn

Jan Schönborn

Das Bauernhaus in Balve war nach 300 Jahren nicht mehr zu gebrauchen. Nicht mehr, um darin zu wohnen. Wohl aber, um daran zu essen: Die Balken des alten Anwesens eigneten sich hervorragend für das "Experiment Eiche". So nennt die bergische Firma "Supergrau" die Fertigung eines Tisches mit einer Holzplatte, die Geschichten erzählen könnte. Zum Beispiel von Balve. Möbel mit Biografie verkaufen sich derzeit gut und dürfen auch ein bisschen mehr kosten. Das Stück wird jetzt auf der Kölner Möbelmesse (13. bis 19. Januar) präsentiert und hat nichts von dem spillrigen Flohmarktcharme, den der Begriff Recycling pauschal verströmt. Dennoch: Recycling betreibt die Firma nicht systematisch. Die Materialbeschaffung ist zu aufwendig.

In der Möbelbranche ist vor allem aus diesem Grund das Recycling immer noch ein Nischen-Thema, dem sich Einzelne widmen. Designer, weil sie den witzigen Einfall haben, aus Handschuhfächern Nachttische zu bauen. Oder Unternehmen, die eben mit alten Bauernhausbalken marketingtechnisch zu punkten wissen. Recycling schwankt zwischen Situationskomik und antiquarischer Luxusproduktion. Dabei werden jährlich rund sieben Millionen Tonnen Altmöbel in Deutschland entsorgt. Die Frage ist: Könnte davon nicht mehr für die Möbelherstellung wiederverwendet werden? Und zwar im größeren Stil ?

24 Millionen Tonnen Sperrmüll

"Es steckt für den Möbelhandel und für die Möbelhersteller viel Musik in der Recyclingbranche", glaubt Ursula Geismann, Sprecherin vom Verband der deutschen Möbelindustrie. Sie geht davon aus, dass eine Vorgabe der Europäischen Union mehr Bewegung in die Sache bringen könnte. Ab 2020 müssen 50 Prozent aller Haus- und ähnlicher Abfälle sowie 70 Prozent aller Bau- und Abbruchabfälle recycelt werden. Das berührt auch die Möbelbranche.

Einige Länder bringt dies in Zugzwang. Frankreich berechnet nun neben dem Preis für Möbel eine Umweltabgabe und hat damit für Unruhe gesorgt. Deutschland ist da weiter, hat höhere Standards und höhere Quoten festgelegt, die nach Angaben des Bundesumweltministeriums auch fast erreicht sind. Anlässlich des EU-Vorstoßes wurde 2012 das Kreislaufwirtschaftsgesetz verabschiedet. Von Abfall ist keine Rede mehr. Demnach gilt es, folgende Hierarchie einzuhalten: Müllvermeidung, Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling, Verwertung und Beseitigung.

Gerade bei der Verwertung von Glas, Papier, Metallen und Plastik hat sich in Deutschland viel getan. Und weil das Deponieren unbehandelter Abfälle verboten ist, konnte die private Recycling-Wirtschaft wachsen. Dem Bundesverband der Deutschen Entsorgungs- Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), der die privaten Entsorgungsunternehmen vertritt, geht die deutsche Gesetzgebung aber noch nicht weit genug. Sprecher Ronald Philipp sieht "vielmehr Potenzial auf dem Sekundärrohstoffmarkt, vor allem was Holz betrifft". Hierzulande fallen jedes Jahr 2,4 Millionen Tonnen Sperrmüll an. Der besteht zu vierzig bis sechzig Prozent aus Holz - und das landet nach Angaben des Bundesamtes für Statistik beinahe zur Hälfte in der Müllverbrennungsanlage - zur energetischen Verwertung. Noch mehr, nämlich 8,1 Millionen Tonnen Holz, sind Bau- und Bruchabfälle. Und auch davon geht ein Großteil in Flammen auf.

Ein zweites Leben für Matratzen

Die Botschaft ist in der Politik angekommen. Strom aus Altholz wird schon nicht mehr vergütet. Das Bundesumweltministerium sieht auch das Verbrennen von Holz zu Heizzwecken äußerst kritisch. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass durch die vielen Heizungen ein Holzbedarf erzeugt wird, dem eine nachhaltige Forstwirtschaft national, europäisch und global kaum noch gerecht werden kann", wird das Ministeriums im aktuellen Leitfaden des Bundesverbandes der Altholzaufbereiter und -verwerter (BAV) zitiert. Dessen Geschäftsführer Gerd Lampel findet auch: "Es wird immer noch viel zu viel Holz unnötig verfeuert."

Der BAV fordert deshalb ein separates Recyclingziel für Abfallholz, die Pflicht, es getrennt zu erfassen. Das Potenzial von Altholz liege deutlich über dem von Glas, Kunststoffen und Textilien. Voraussetzung wäre unter anderem, dass der gesamte Sortier-, Aufbereitungs- und Produktionsprozess auf diesen Verwertungsweg abgestimmt werde. Dabei gebe es viele Hindernisse, nicht zuletzt monetäre: "Die Spottpreise für Sperrmüll in der direkten Verbrennung machen die hochwertige Sortierung oder getrennte Erfassung von Altholz unwirtschaftlich", sagt Lampel.

Nicht nur Holz, auch Schaumstoff aus der Branche könnte ein zweites Leben eingehaucht werden. Die Matratzenhersteller gehen nun in einem Pilotprojekt voran. Abgeschreckt von den französischen Verhältnissen will der Fachverband der Matratzenindustrie möglichen Entscheidungen der Politik zuvorkommen. Geschäftsführer Ulrich Leifeld kündigt deshalb an, den Weg der Matratzen inNordrhein-Westfalen erst einmal konsequent nachzuvollziehen. Wie viele Matratzen landen wo, in welchem Zustand, was könnte man daraus machen? Wahrscheinlich nicht wieder Matratzen: "Nach zehn Jahren sind sie ungefähr vier Kilo schwerer - voller Schweiß und Milben-Kot. Unter anderem."

Federkernze zu Basketballfeldern

Schließlich wären nur solche Matratzen brauchbar, die trocken sind. Dann aber ließe sich der Schaumstoff schreddern und aus ihm etwa Basketballböden für die USA produzieren. "Aber wie viele Basketballböden braucht Amerika?" Auch andere Bestandteile wie Erdöl, so es gesäubert werden kann, wäre wieder verwendbar. Ebenso die Federkerne.

Das Problem bei allen Verbandsforderungen ist die Logistik. Wie soll sie organisiert werden, national, regional? Kommunal, privat? "Es sind einfach noch viel zu viele Fragen offen", sagt Leifeld. Nicht zuletzt müsse man sich fragen, welche ökonomischen und ökologischen Konsequenzen es hätte, wenn Holz und Matratzen aus dem bisherigen Kreislauf genommen würden. Beides ist als Brennmaterial in Müllverbrennungsanlagen (MVA) begehrt. Von denen gibt es in Deutschland immer noch Überkapazitäten. Die meisten Anlagen sind in der Hand der Kommunen. "Kommunale Entsorgungsunternehmen setzen dennoch den Vorrang des Recyclings um", heißt es auf Anfrage beim Verband kommunaler Unternehmen, der mit einem klaren Bekenntnis überrascht: 60 Kilogramm pro Einwohner und Jahr sollen an Wertstoffen zusätzlich recycelt werden. Speziell bei Holz sieht der Verband noch Einsparmöglichkeiten von zehn Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Die MVA, das geht deutlich daraus hervor, hat irgendwann ausgedient.

Oliver Schübbe ist freier Designer und war Teil eines Forschungsprojektes, das systematisch Abfall fürs Recycling abzugreifen versuchte. Er sitzt heute mit seiner Firma "OS2-Designgroup" in Herford zwischen Sozialkaufhaus und Müllverbrennungsanlage. Und kann sich an dem frei bedienen, was sonst verbrannt würde. Zwar hat er keinen Mangel an Nachschub, doch das Aussortieren und Demontieren von vernageltem, verschraubtem und schiefem Holz sei mühsame Handarbeit. "Die Qualität des Materials eignet sich kaum für die industrielle Fertigung." Sein Appell geht an die Hersteller, die recycelfreundlich fertigen sollten. Gleichwohl - fürs Recycling und die Wiederverwendung im Low-Tech-Bereich sei das jetzige Ausgangsmaterial ausreichend, das Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Irgendwo wähnt er qualitätvolle Abfälle. Bei großen Konzernen und kleinen Betrieben. Aber - wie finden? Indes steigt die Nachfrage nach Recyclingmöbeln. Neue Möglichkeiten, die Produkte jenseits der Guerilla-Vermarktung an den Mann zu bringen, kommen hinzu. Über Plattformen wie "Dawanda" und "Zweitsinn" finden immer mehr Designer immer mehr Abnehmer, sagt Schübbe.

Alt heißt nicht immer gebraucht

Das Unternehmen "Zweitsinn" ist das Label der ecomoebel GmbH, die aus dem Forschungsprojekt "Wiederverwendung von Möbeln als Beispiel der regionalen Kreislaufwirtschaft" am Institut für Umweltforschung (INFU) der TU Dortmund heraus gegründet wurde. In diesem Portal werden nach eigenen Angaben ausschließlich Produkte angeboten, die aus Altmaterialien hergestellt wurden. Bei Möbeln, so heißt es dort, seien das in der Regel Holz, Vollholz oder Spanplatten, es würden aber auch andere Stoffe wie Stahl, Textilien oder Schaumstoffe wiederverwendet. Dahinter steckt ein Netzwerk aus Entsorgern, Handwerkern, Designern, Mitarbeitern in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Beschäftigungsgesellschaften und Sozialkaufhäusern. Das Portal rechnet außerdem vor: Für jedes Kilogramm wiederverwendetes Altholz kann die entsprechende Menge an Neuprodukten eingespart werden. "So werden bei der Produktion von einem Kilogramm Spanplatte fast 350 Gramm CO2 erzeugt."

Die aktuelle Liebe zum "Vintage-Look" oder "Shabby-Chic" erklärt sich unter anderem auch mit dem Wunsch der Kunden nach Ressourcenschonung. Aber nicht jede Gebrauchsspur ist echt. "Viele Produkte sind neu und nur auf alt getrimmt", warnt Geisman vom Verband der deutschen Möbelindustrie. "Mich persönlich ärgert insbesondere, dass viele Menschen tatsächlich glauben, sie hätten ein Regal aus einem alten Einbaum-Boot gekauft, das in Kambodscha beim romantischen Fischfang im Einsatz war."

Björn Berger, Geschäftsführer von "Supergrau" spricht dem Kunden etwas anders ins Gewissen. Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liege nicht nur im Material. "Wichtiger ist es, zu einem neuen Konsumverständnis zu gelangen, das auf bewusste Entscheidung und so auch auf eine engere Bindung an das Produkt baut."

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