Neue Doku im KinoDiskussion ums Impfen spaltet die Elternschaft

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Es gibt ernsthafte Impfgegner und viele Familien, denen ein weiterer Arzttermin einfach zu viel ist.

Es gibt ernsthafte Impfgegner und viele Familien, denen ein weiterer Arzttermin einfach zu viel ist.

Gerade ist der Film „Eingeimpft“ in den deutschen Kinos angelaufen. In der Dokumentation wird das Thema Impfen diskutiert. Mit Prof. Cornelia Betsch, die an der  Uni  Erfurt die Heisenberg-Professur für Gesundheitskommunikation inne hat, sprach Ina Henrichs. Betsch kritisiert die  einseitige   Auseinandersetzung mit dem Thema und sieht keine Hilfe für Eltern.

Frau Betsch, Sie forschen zum Thema Impfentscheidungen aus psychologischer Sicht. Sie haben den Dokumentarfilm „Eingeimpft“ gesehen, in der eine Familie redlich versucht, sich zu informieren. Die Eltern wissen nicht, ob sie ihre Töchter impfen lassen sollen. Der Film trägt das Prädikat besonders wertvoll. Sie sind anderer Meinung, warum?

Inhaltlich transportiert er zu viel Falsches und schafft dadurch Verunsicherung beim Zuschauer. Aber der Film ist auf jeden Fall ein wertvolles Zeitzeugnis. Er zeigt, wie eine Informationssuche verläuft, wenn das Vertrauen in die Organisationen, die die Impfempfehlungen aussprechen, fehlt. Die Eltern verlassen den üblichen Weg, schauen links und rechts und taumeln durch ein Wirrwar an kuriosen Anekdoten, die sie aber nicht einordnen können.

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Was ist falsch daran, wenn Eltern anfangen selbst zu recherchieren? Sie wollen ja nur das Beste.

Das stimmt. Das kann aber auch schief gehen, wie der Film zeigt. Er ist oberflächlich gesehen gar nicht impfkritisch, aber der Weg der Eltern ist durch impfkritische Literatur vorgegeben. Vor allem die Mutter ist misstrauisch. Und da Menschen Informationen danach auswählen, was sie ohnehin schon glauben, führt es dazu, dass sie auch nach Verschwörungen suchen. So werden im Film potenzielle Verschwörungen angesprochen, aber nicht aufgeklärt. Der Vater trifft immer wieder auf sogenannte Experten, die dem wissenschaftlichen Konsens widersprechen. Dieser Widerspruch erhält mehr Gewicht als die tatsächliche Beweislage. Das funktioniert filmisch, aber überfordert den Laien. Wie soll er das bewerten? Diese filmische Technik fördert Misstrauen.

Es kommen doch durchaus seriöse Autoritäten zu Wort.

Der Filmautor interviewt tatsächlich in der ersten Hälfte des Films Dr. Jan Leidel, damals noch Vorsitzender der Ständigen Impfkommission. Der sagt etwas Wichtiges: „Tatsächlich bin ich überzeugt davon, dass die STIKO ihre Empfehlungen wirklich auf der Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse ausspricht. Und die Vorstellung, dass man das dann doch lieber selber macht mit einem guten Buch von irgendeinem impfkritischen Kinderarzt – das ist mutig.“ Damit ist eigentlich alles gesagt.

Aber die Antwort ist zu einfach?

Wenn Sie solchen Autoritäten nicht vertrauen schon. Es wird also weiter recherchiert. Das führt aber zu mehr Verunsicherung und der Protagonist ist an einer Stelle sogar froh, dass er sein Kind bislang nicht geimpft hat. Dabei stützt er sich auf Aussagen von Impfkritikern, sagt aber nicht, um welche Wissenschaftler es sich handelt, welche Interessenskonflikte es gibt und von wem sie möglicherweise bezahlt werden. Es wird eine Auswahl von Meinungen präsentiert, die das Vertrauen am Ende unterminieren.

Wie erklären Sie sich den Vertrauensverlust in der Bevölkerung?

Wir sprechen von zwei bis fünf Prozent Impfgegnern in der Bevölkerung. Warum einige von ihnen das Vertrauen verloren haben, weiß ich nicht. Es wird in der medialen Berichterstattung häufig auf Grundlage einzelner Fälle ein Meinungsstreit vom Zaun gebrochen. Es geht aber um wissenschaftliche Evidenz. Nicht um ein Dafür oder Dagegen. Man kann es natürlich wichtiger oder unwichtiger finden, sein Kind vor schwerwiegenden Krankheiten zu schützen. Aber letztlich geht es in der Debatte um wissenschaftliche Erkenntnisse. Darum haben sich die STIKO und andere Gremien schon gekümmert und besser, als es ein Laie kann. Es werden monatelang tausende Studien ausgewertet und am Ende in Empfehlungen gegossen. Und bei dem, was empfohlen ist, sind die Risiken des Wirkstoffs immer geringer als die Risiken der Krankheit.

Diejenigen, die besonders viel recherchieren, sind am Ende nicht schlauer?

Es kommt darauf an, was die Menschen finden. Über verschiedene Studien hinweg haben wir aber festgestellt, dass, wer sich mehr informiert, sich auch mehr Falschwissen aneignet. Er glaubt mehr an die Mythen und ist am Ende weniger impfbereit. Viele Menschen sind außerdem nicht unbedingt in der Lage, zum Beispiel Statistiken korrekt auszuwerten, was aber Voraussetzung wäre, um seriös Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwägen.

Warum tun sich Menschen gerade in diesem Falle mit der Risikoabwägung so schwer?

Die Risiken, gegen die wir uns mit den Impfungen geschützt haben, sehen und erleben wir nicht mehr. Wir sehen im Alltag keine Fälle von Tetanus oder Diphterie mehr. Gut, ab und zu haben wir einen Masernausbruch. Aber wenn wir uns heute mit Impfungen beschäftigen, dann fallen uns mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen schneller ein und dann denken wir, dass sie auch häufiger vorkommen. Es handelt sich also um ein Ungleichgewicht. Wir sind ja tagtäglich ganz anderen Risiken ausgesetzt, auf die wir aber nicht reagieren, weil sie eben insgesamt sehr gering sind. Das Kind mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu lassen ist sehr viel gefährlicher als eine Impfung. Trotzdem gehen wir jeden Tag dieses Risiko ein, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass das Kind jeden Tag heile wieder nach Hause kommt.

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Ist der Film in Ihren Augen gut ausgegangen?

Für die Filmkinder ist er gut ausgegangen, weil sie letztlich doch zumindest gegen Masern geimpft wurden. Aber es gibt am Ende diese Szene, in der gezeigt wird, dass die Frau ungewollt schwanger geworden ist. „Du hast doch gesagt, du hast aufgepasst.“ Das ist natürlich lustig, zeigt aber auch den Zugang der Familie zur Prävention. Er ist irgendwie erratisch und Marke Eigenbau. Ich würde mich nicht von einer Familie beraten lassen, die auf diese Weise an so wichtige Themen herangeht. Der Film ist kein wissenschaftliches Werk und kein Ratgeber.

Unter welchem Gesichtspunkt ist der Film doch empfehlenswert?

Empfehlenswert finde ich ihn nicht, dazu ist er zu tendenziös. Aber er ist wertvoll, weil er zeigt, dass Eltern allein gelassen werden, wenn es um die Auseinandersetzung mit Gesundheitsthemen geht. Ich glaube, dass er nachzeichnet, wie es vielen Eltern geht und wenn wir es schaffen, die Geschichte als Hilfeschrei zu verstehen, dann hat er trotz allem etwas Gutes. Es ist einfach schlecht, wenn Eltern nur ein paar Flyer in die Hand gedrückt bekommen und dann sofort entscheiden müssen. Es wäre ideal, wenn wir eine Anlaufstelle für Familien hätten, die in vielen Punkten, nicht nur zur Impfung, auch zur Ernährung, Bewegung und so weiter berät.

Wer könnte die Rolle übernehmen?

Diese Stelle könnte die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung sein, die belastbare, neutrale und aktuelle Informationen bereithält. Auf der Seite impfen-info.de haben wir gemeinsam mit der BZgA beispielsweise eine Entscheidungshilfe für Impfungen erarbeitet. Die Seite zeigt auch, was es bedeutet, wenn man sich dagegen entscheidet. Die BZgA ist den meisten aber unbekannt. In anderen Ländern ist das anders, da geht man aktiv auf die Eltern zu. Hier können wir noch vieles besser machen!

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