Rezepte gegen die KälteWarum Starkoch Nigel Slater den Winter liebt

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Slaters

Nigel Slater

Über Kindheitserinnerungen und Zukunftspläne sowie die vielfältigen Reaktionen auf seine Kochkunst sprach Schayan Riaz mit Nigel Slater.

Herr Slater, deutsche Leser können endlich Ihr Buch „The Christmas Chronicles“ auf Deutsch lesen. Sie heißt „Das Wintertagebuch“. Wie finden Sie die Übersetzung des Titels?

Ich finde sie perfekt. Ich liebe zwar Weihnachten, aber in meinem Buch geht es eigentlich um den Winter. Für mich ist es die beste Zeit im Jahr. Von dem Moment an, an dem ich aufwache und denke, jetzt müsste ich mal die Heizung anschalten, bis hin zum Frühling. Ich freue mich sehr darauf, dass sich der deutsche Titel nicht nur auf Weihnachten bezieht.

Woher stammt Ihre Liebe für den Winter?

Wissen Sie, es gibt bestimmte Pflanzen, die zum Überleben Kälte brauchen. Und ich schätze mal, dass ich auch so eine Pflanze bin. Im Sommer funktioniere ich einfach nicht gut genug. Mir ist ständig heiß, ich habe kaum Energie und ich hasse es, zu schwitzen. Im Winter werde ich umso lebendiger. Da komme ich so richtig in den Schwung.

Sie schreiben: „Das eisige Prickeln im Gesicht, wenn man hinaustritt in die frostige Luft. Das durchdringende Brennen in den Nebenhöhlen, wie Wasabi.“ Was ist daran positiv?

Ich vermute die meisten Menschen können weder was mit Winter, noch mit Wasabi anfangen. Aber ich liebe beides! Und ich verwende solche Vergleiche aufgrund meiner großen Fantasie. Ständig versuche ich, zwei Sachen zusammenzubringen, die auf dem ersten Blick etwas merkwürdig erscheinen. Als Autor habe ich ja die Lizenz dafür.

Warum schreibt man oder führt man eigentlich ein Wintertagebuch?

Mir war es ein echtes Anliegen, meinen Leserinnen und Lesern zu zeigen, dass man den Winter auch genießen kann. Vor allem weil die Winter in Großbritannien sehr lang, sehr nass uns sehr grau sind.

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Und der Sommer dauert nur einen Tag lang.

Genau, wenn man Glück hat. Ich finde, wir verschwenden zu viel Zeit damit, zu sagen, „Ich wünschte, es wäre warm.“ Ich möchte nicht, dass Menschen dieses Gefühl mit sich herumtragen. Und dass sie für so eine lange Zeit traurig sind. „Das Wintertagebuch“ ist eine Wertschätzung des Winters. Es kann doch so schön gemütlich sein. Ich empfinde es als etwas sehr Positives, in einer Decke eingewickelt zu sein. Oder zwei.

Sie bezeichnen sich als literarischen Koch. „Das Wintertagebuch“ hat sowohl Elemente eines klassischen Kochbuchs als auch einer Autobiografie. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

In meinen Büchern ist das „Ich“ sehr präsent. Insofern ist alles sehr autobiografisch. Mit „Toast“ habe ich bereits meine Memoiren geschrieben und im „Wintertagebuch“ bin ich ähnlich vorgegangen. Die autobiografischen Elemente kamen an erster Stelle, bis ich irgendwann bemerkt habe, dass ich auch ein paar traditionelle Weihnachtsrezepte hinzufügen muss sowie ein paar von meinen eigenen.

Ist es schwierig, sich an etwas zu erinnern, was in der Kindheit passiert ist? Ihre Erinnerungen lesen sich immer so, als ob sie alles gestern erlebt hätten.

Also mit dem Alter stelle ich fest, dass ich mich sogar sehr gut an Sachen erinnern kann, die vor einer langen Zeit passiert sind. Meine Erinnerungen werden immer stärker. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass ich oft sehr glücklich in meiner Kindheit war. Schon bei „Toast“ habe ich festgestellt, dass ich glückliche Momente nicht vergessen habe. Aber fragen Sie mich bitte nicht, was ich gestern gegessen habe oder wie meine Handynummer lautet.

Sie führen Ihre Leser im „Wintertagebuch“ durch mehrere deutsche Städte. Sie waren zum Beispiel auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt.

Ja, das war toll. Ganz ehrlich, die Deutschen haben Weihnachten einfach drauf. Im Gegensatz zu uns in Großbritannien, da muss alles glänzen, es geht nur noch um elektronisches Zeugs. In Deutschland weiß man noch, worauf es bei Weihnachten ankommt.

Worauf kommt es denn an?

Dass wir uns während Weihnachten nach unserer Kindheit sehnen! Auf deutschen Weihnachtsmärkten bekommt man immer noch handgemachte Dekorationen, so wie ich sie aus meiner Kindheit kenne. Überall spüre ich eine Liebe zum Detail. Die Sachen werden auf einer traditionellen Art angefertigt.

Das müssen Sie mir noch einmal genauer erklären.

Nehmen wir mal traditionelle Adventskalender. In Großbritannien gibt es sie einfach nicht mehr. Ich meine nicht die moderne Schokoladenvariante. Die will ich nicht. Ich möchte eine Tür öffnen und kleine Bilder sehen, wie etwa von einer Kerze. Oder eine Krippenspielszene. Oder ein Bibelzitat. Das habe ich auf deutschen Weihnachtsmärkten gesehen. Oder in Wien, da gibt es die besten.

Führen Sie mich durch einen typischen Nigel-Slater-Tag.

Ich habe einen kreativen Partner, James Thompson, mit dem ich immer die sechs Rezepte für meine wöchentliche Kolumne im „Observer“ kreiere. Wir tauschen uns immer aus, mal hat er gute Ideen, mal ich. Nachdem wir uns ausgetauscht haben und die Woche feststeht, gehen wir die Zutaten kaufen. Die nächsten paar Tage verbringen wir mit dem Kochen, und auch hier tauschen wir uns aus. Am dritten oder vierten Tag kommt der Fotograf und macht Bilder. Im Anschluss essen wir alles auf.

Geht vieles daneben?

Nicht so oft, da ich schon so lange koche und seit 20 Jahren für die Zeitung schreibe. Ich bin schon sehr erfahren. Klar gibt es noch die eine oder andere Katastrophe. Erst letzte Woche musste ich etwas wegschmeißen, weil es einfach nicht gepasst hat.

Sie haben nie Ihr eigenes Restaurant geführt, richtig?

Nein! Es ist lustig, weil viele Menschen das Gegenteil denken. Mit Mitte 20 hatte ich mal die Idee gehabt, ein Restaurant zu eröffnen. Aber dafür hätte ich ein richtiger Küchenmeister sein müssen. Ich bin doch bloß ein einfacher Koch, der es liebt, daheim zu kochen.

Wenn ich Sie im Fernsehen sehe oder Ihre Texte lese, dann fühle ich mich nie bevormundet, vielmehr denke ich, dass ich das auch schaffen könnte. Denken Sie viel über Ihr Image nach?

Auf gar keinen Fall. Ich vergesse immer, dass die Kamera läuft. Ich denke nie darüber nach, wie ich aussehe. Sollte ich vielleicht, weil ich ständig Kommentare bekommen wie „Was war mit deinen Haaren los?“ oder „Hast du dieses Hemd ausgewählt?“ Und dann denke ich, um Gottes Willen, die Person hatte Recht. Aber eigentlich ist mir das egal. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo es mir wirklich egal ist, was andere denken. Oder ob sie mich mögen oder nicht.

Sie bekommen aber viele Kommentare, auf Twitter oder Instagram. Und Sie nehmen sich die Zeit, vielen Fans zu antworten.

Am Anfang tat ich es nur für meine Verleger. Sie meinten, dass müsste man als Autor einfach tun. Ich war voreingenommen, dachte, dass ich Twitter hassen werde. Aber habe dann angefangen um alle im Verlag glücklich zu machen. Und dann passierte etwas Wunderschönes. Alle waren so nett zu mir! Es war pure Freude. Diese unmittelbare Nähe zu den Menschen, die deine Kolumne lesen und die Rezepte kochen.

Einen Tweet Ihres Kollegen Hugh Fearnley-Whittingstall, der sich gegen Fettleibigkeit stark macht, fanden Sie nicht so gut. Ihre Antwort ging viral.

Es ging darum, dass Hugh eine Initiative der Regierung begrüßt hat, bei der man zukünftig in britischen Restaurants auf der Menükarte Kalorien für jedes Gericht aufzeigen muss. Das hat mir das Herz gebrochen. Ich gehe doch nicht in ein Restaurant um zu sagen, „Ich nehme heute dieses oder jenes, weil es nur 300 oder 400 Kalorien hat.“ Ein Restaurantbesuch hat etwas Beglückendes und es muss so bleiben. Die meisten haben mich dabei unterstützt. Ich denke mal, Hugh, dass diese Runde an mich geht.

Gibt es ein Gericht, das Sie schon immer probieren wollten?

Das ist eine gute Frage. René Redzepi, der Besitzer des Restaurants „Noma“ in Kopenhagen, hat diese frittierten Backwaren in Tokyo entdeckt. Sie haben eine Fischform und sind mit Vanillepudding gefüllt. Eigentlich ist das Street Food. Mit zu viel Fett und zu viel Zucker. Aber sie sehen so lecker aus. Und wenn René sagt, dass sie gut sind, dann müssen sie wirklich gut sein. Ich muss die irgendwann probieren.

Und ein Gericht, dass Sie noch irgendwann kochen möchten?

Ich würde sehr gerne besser backen können. Das steht noch auf meiner Wunschliste. Ich möchte die Kunst des Brotbackens meistern. Nichts riecht so gut wie frischgebackenes Brot. Wenn ich das hinbekommen könnte, wäre ich ein glücklicher Mensch.

Das Buch

Nigel Slater: „Das Wintertagebuch“, Dumont Verlag, 480 Seiten, 102 farbige Abbildungen,, ISBN 978-3-8321-9935-7, 38 Euro

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