Abo

Tückisches Papillom-VirusImpfung vor dem ersten Geschlechtsverkehr – auch für Jungen

Lesezeit 7 Minuten
Impfen gegen Papillomviren soll Standard werden – vor dem ersten Geschlechtsverkehr.

Impfen gegen Papillomviren soll Standard werden – vor dem ersten Geschlechtsverkehr.

Bislang konnten nur Mädchen gegen die Gebärmutterhalskrebs verursachenden Papillomviren geimpft werden. Dann stellte sich heraus, dass sie auch an männlichen Geschlechtsorgane Tumore auslösen können. Aber die Impfmöglichkeit für Jungen ließ auf sich warten. Mit dem Entdecker der Viren, Professor Harald zur Hausen, sprach Marie-Anne Schlolaut.

Herr Prof. zur Hausen, warum hat es so lange gedauert, bis nun auch Jungen gegen HPV geimpft werden können?

Das müsste man eigentlich die Ständige Impfkommission fragen. Dass auch Jungen geimpft werden sollen, habe ich schon 2008 veröffentlicht und immer wieder betont, warum das notwendig ist. Die Entscheidung, es nun zu tun, ist gut, aber zehn Jahre zu spät.

Alles zum Thema Impfung

Sie haben Enkelkinder, lassen Sie die auch impfen?

Ja, natürlich. Aber nicht ich, sondern deren Eltern.

Ist der Impfstoff für Jungen und Mädchen identisch?

Ja, ist er.

Was macht der Impfstoff mit den gefährlichen Papillomviren?

Die Impfung

Wer wird geimpft?

Nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen sollen nun vor dem ersten Geschlechtsverkehr gegen die hochgefährlichen krebserregenden humanen Papillomviren geimpft werden. Das beschloss die Ständige Impfkommission (Stiko). Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet in spätestens drei Monaten über die Aufnahme in die Schutzimpfungsrichtlinie.

Hochgefährliche Viren

Humane Papillomviren brauchen einen „Wirt“, also einen lebenden Organismus, um sich zu vermehren. Die bösartigen Mitglieder der weit verzweigten Papillomviren-Familie, vor allem HPV 16 und 18, können nicht nur Tumore am Gebärmutterhals verursachen, sondern an Schamlippen, Scheide, Penis, im After sowie durch Oral-Sex in Mund, Rachen und Kehlkopf.

Laut Studien der Internationalen Agentur für Krebsforschung liegt bei vier von 100 Mundhöhlen-Tumoren und bei 18 von 100 Rachentumoren eine HPV-Infektion vor. Je mehr Sexualpartner jemand hat, desto höher das Risiko einer HPV-Infektion.

Schutz vor Infektion

Die Impfung wirkt nur, wenn noch keine Infektion vorliegt. Schützen kann man sich zudem durch Kondome, was aber als nicht absolut zuverlässig gilt. Studien haben ergeben, dass HPV-Infektionen bei beschnittenen Männern schneller abheilen, und dass Frauen seltener mit HPV infiziert werden, wenn der Sexualpartner beschnitten ist. Risiken sind unter anderem Genitalherpes und Genital-Entzündungen durch Chlamydien-Bakterien und eine langjährige Einnahme der Pille. Frauen, die eine Spirale tragen, erkranken seltener.

Er erzeugt Abwehrstoffe und verhindert somit, dass die Zelle das Virus aufnehmen kann. Anders ausgedrückt: Der Organismus wird immunisiert und produziert Antikörper gegen die Viren.

Was war die Schwierigkeit bei der Entwicklung des Impfstoffs?

Für die wissenschaftliche Öffentlichkeit war es längst überzeugend, dass Papillomviren Gebärmutterhalskrebs verursachen. Wir sind mit Unternehmen der deutschen Pharmaindustrie in Kontakt getreten. Das damalige pharmazeutische Unternehmen der Behringwerke in Marburg wollte den Impfstoff herstellen. Aber dann fiel von Seiten der Unternehmensleitung die Entscheidung, das zu lassen, weil man damit kein Geschäft machen könne.

Wie ging es nach diesem Rückschlag weiter?

Schließlich hat ein Pharmakonzern in den USA das Impfstoffprogramm aufgenommen. Heute wird der Impfstoff teils in den USA, teils in England hergestellt. Für die europäische Länder existiert zum Glück eine Vertriebserlaubnis.

Jungen und Mädchen im Alter von acht bis 13 Jahren sollten sich vor dem ersten Geschlechtsverkehr impfen lassen. Kann ich auch später geimpft werden?

Wenn trotz Geschlechtsverkehrs keine Übertragung der Viren stattgefunden hat, ist das möglich, und das Risiko einer Infektion kann gesenkt werden. Der neue Impfstoff wirkt gegen neun krebserregende humane Papillomviren. Bei 50 Prozent aller Infektionen ist der HPV 16-Virustyp als Hochrisikotyp der Erreger von Gebärmutterhalskrebs. Es gibt über 400 weitere Virustypen. 15 sind für den Genitalbereich gefährlich.

Imfpschutz hält wohl länger als zehn Jahre

Wie lange besteht ein Impfschutz?

Wir gehen davon aus, dass er deutlich länger als zehn Jahre besteht.

Sollte man sich nachimpfen lassen und wann?

Nach zehn bis 20 Jahren nach der ersten Impfung kann eine Einzelimpfung erfolgen, die den Antikörperspiegel anhebt.

Gibt es Nebenwirkungen und welche?

Sehr selten treten bei der Impfung Nebenwirkungen auf. Bei einigen wenigen traten Allergien gegen die Eiweißproteine auf. Aber das war nur bei einem von 100 000 der Fall. Mögliche Ausschläge und Fieber sind aber gut behandelbar.

Hat jeder die krebserregenden humanen Papillomviren in sich?

Nobelpreisträger

Prof. Dr. Harald zur Hausen (82) ist einer der weltweit renommiertesten Krebsforscher und hat Medizingeschichte geschrieben. 2008 erhielt er den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung der humanen Papillomviren (HPV), die Gebärmutterhalskrebs auslösen können. 30 Ehrendoktortitel sind ihm von internationalen Universitäten verliehen worden.

Der Virologe ist verheiratet mit der Wissenschaftlerin Ethel-Michele de Villiers. Beide forschen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Zur Hausen kämpfte unermüdlich für einen Impfstoff gegen die HPV-Hochrisiko-Typen, den es seit 2006 gibt.

Die Infektion ist weit verbreitet, aber verursacht nicht immer Krebs. In Europa und der Bundesrepublik sind 70 bis 80 Prozent aller Erwachsenen von einer Virusinfektion betroffen, aber bei den meisten wird sie durch das Abwehrsystem des Organismus eliminiert. Dass sich nach einer Infektion Krebs entwickelt, trifft auf 1,1 Prozent der infizierten Frauen zu. Das ist relativ niedrig.

Ist jeder gleich anfällig?

Ja, aber viele werden mit dem Infekt gut fertig dank ihres Immunsystems.

Kann man selber etwas tun, um sich vor den gefährlichen humanen Papillomviren zu schützen?

Impfen lassen oder auf sexuelle Kontakte verzichten. Letzteres ist eher unrealistisch.

Gab es das Virus schon immer?

Ja, schon so lange wie wir auf der Erde leben. Schätzungsweise viele Millionen Jahre. Verwandte Viren wurden bereits bei Menschenaffen gefunden.

Virus in monogamen Gesellschaften seltener

Ist das Virus weltweit in allen Gesellschaften verbreitet?

Das Virus gibt es weltweit, in monogamen Gesellschaften allerdings seltener.

Hat sich die Ausbreitung des Papillomvirus verstärkt?

Eindeutig durch die ständig zunehmenden Sexualkontakte. Vor allem durch orale Sexualkontakte stieg die Zahl der Tumore im Mundbereich. In den vergangenen zwei Jahrzehnten vorrangig in New York, San Francisco und Stockholm.

Warum ist diese Krebsform so aggressiv?

Sie ist genauso aggressiv wie andere Krebsformen auch. Vor hundert Jahren war der Gebärmutterhalskrebs die häufigste Krebsart bei Frauen. Das ist zurückgegangen weil man seit 1928 die Vorstufe des Gebärmutterhalskrebses operativ entfernen konnte. Durch die Impfung kann die Vorstufe dieser Krebsart verhindert werden.

Warum übertragen hauptsächlich Männer das Papillomvirus?

Im Alter von 15 bis 50 haben Männer deutlich mehr Sexualkontakte mit unterschiedlichen Partnern als Frauen – und zwar überall auf der Welt. Dadurch steigt auch die Zahl der Mundhöhlentumore und der Tumore im After, vor allem bei homosexuellen Männern.

40 bis 60 Prozent der Männer sollen von Papillomviren befallen sein..

Nicht nur Männer, Frauen auch. In der sexuell aktiven Phase sind 80 Prozent der gesamten Gesellschaft infiziert.

Kann man sich auf Papillomviren testen lassen?

Indem Abstriche gemacht werden und das Erbgut untersucht wird. Das kann von Fachlaboren gemacht werden. Diese Testverfahren sind zuverlässig, geben aber keine hundertprozentige Sicherheit.

Warum nisten sich die Viren bei Frauen im Gebärmutterhals ein?

Durch die Sexualhormone der Frau werden die Viren stimuliert. An der Oberfläche des Gebärmutterhalses liegen Zellen frei, sogenannte Treffzellen, die sich teilen können. Männer haben deutlich weniger Treffzellen.

Deutschland von Herdenimmunität weit entfernt

Papillomviren sind Warzen-Erreger. Hat jeder, der eine Warze hat, auch einen Anteil aggressiver Erreger?

Die üblichen Warzenerreger spielen keine Rolle. Nur Genitalwarzen können bösartig werden, aber relativ selten.

Sie und Ihr Team haben die beiden wichtigsten krebserregenden HPV-Typen entdeckt – welche?

HPV 16 und 18, die beiden Hauptverursacher von Gebärmutterhalskrebs.

Warum entarten HPV-infizierte Zellen zu Krebs?

Das ist ein sehr komplexes Geschehen. Die gefährlichen Papillomviren brauchen das Erbgut der Zelle. Das Virus verändert die Gene. Von der Infektion bis zum Tumor können 15 bis 30 Jahre vergehen.

85 Prozent aller Jungen und Mädchen müssen geimpft sein, um eine Herdenimmunität zu erreichen.

Hundert Prozent wäre allemal besser, aber 80Prozent wäre schon sehr gut.

Davon sind wir in Deutschland weit entfernt?

In der Tat. Wir haben nur in zwei Bundesländern, nämlich in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, eine Impfrate über 40 und 50 Prozent. Anders in Australien, Norwegen und Großbritannien. Da liegt die Impfrate bei 80 Prozent der Mädchen..

Rundschau abonnieren