Wenn Worte zu Waffen werdenOpfer von Verbalattacken ziehen sich verängstigt zurück

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Subtile Demütigungen oder öffentliche Beschimpfungen: Sie verletzen und hinterlassen tiefe Wunden.

Köln – „Du Versager!", „Du Schlampe!" „Du Nichtsnutz". Solche Worte sitzen. Paff! Wie ein Fausthieb treffen sie das Gegenüber. Manchmal freilich sind die verbalen Attacken subtiler. „Ihre Wissenslücken werden sehr gut durch Ihre Inkompetenz gefüllt", führt etwa ein Chef einen Mitarbeiter vor Kollegen vor. Herrlicher Wortwitz. Alle Umstehenden lachen amüsiert - bevor sie die verletzende Botschaft verstehen; der Betroffene versteht sie sofort und ist gedemütigt.

Subtile Demütigungen oder öffentliche Beschimpfungen: Sie verletzen und hinterlassen tiefe Wunden. Wunden, die oftmals schmerzhafter sind als die Folgen, die ein Tritt oder Schlag hinterlassen würde. Wunden, die nur sehr langsam wieder heilen. Nachweislich: Eine englische Studie aus dem Jahr 2007 hat ergeben, dass Drohungen, Einschüchterung oder auch einfach nur der Entzug der Zuwendung ähnlich verheerende Folgen haben kann wie körperliche Folter.

Viermal so häufig wie körperliche Gewalt

Trotzdem: Wenn wir über Gewalt sprechen, meinen wir fast immer noch ihre körperliche Form. Was umso erstaunlicher erscheint, wenn man auf die nackten Zahlen schaut. 2013 ergab eine Gesundheitsstudie im Auftrag des Robert-Koch-Instituts, dass psychische Gewalt in Deutschland viermal so häufig vorkommt wie körperliche Gewalt. In der Befragung von knapp 6000 Frauen und Männern gab jeder Fünfte an, in den letzten zwölf Monaten gemobbt, bedroht oder schikaniert worden zu sein. Opfer körperlicher Gewalt wurde nur jeder 20.

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Vor allem am Arbeitsplatz, wo sich immerhin neun Prozent der Befragten psychischer Gewalt ausgesetzt sahen, hat die Belastung durch Schikane oder Mobbing oft dramatische Folgen. Depressionen oder Angststörungen sind nicht selten das Ergebnis.

„Das große Problem bei psychischer Gewalt ist, dass sie etwas zusätzlich Beschämendes hat, da sie von den anderen oft nicht bemerkt wird", erklärt Michael Schonnebeck, Leiter der psychosomatischen Tagesklinik in Köln. „Körperliche Schläge merke ich unmittelbar und sie werden von anderen auch gesehen, subtile Kränkungen oft lange nicht." Auf der anderen Seite sei es manchmal genau die vom Täter bewusst gewählte öffentliche Demütigung oder das Zur-Schau-Stellen seiner vermeintlichen Schwächen etwa vor Kollegen, die das Opfer besonders verletzen.

Gewaltausübenden Menschen geht es um Machtdemonstration

Egal ob in körperlicher oder psychischer Form - Menschen, die Gewalt ausüben, gehe es immer um eine Machtdemonstration, ein Starksein, um eigene Impulse gegenüber Schwächeren oder einem Abhängigen durchzusetzen, erklärt Psychiater Schonnebeck. Aus psychologischer Sicht kann Machtausübung sogar bisweilen legitim sein, nämlich dann, wenn es auch im Interesse des Schwächeren erfolgt. Schonnebeck nennt ein Beispiel: „In der Therapie einer Magersucht hat man manchmal keine Alternative als den Patienten unter Zwang eine Nasensonde zur Ernährung anzulegen. Das tut man aber aus Sorge um das Wohlergehen des Patienten."

Subtiler hingegen seien Formen psychischer Gewalt, die mit den Selbstzweifeln des anderen arbeiteten und ganz gezielt dessen Selbstwert angreifen sollen. Sie finden häufig über die Sprache statt, manchmal begleitet von einer herablassenden Gestik, Mimik und Intonation. Bisweilen ist es aber auch eine Verweigerung der Kommunikation, ein bewusstes „Mit dir rede ich nicht", die dem anderen klar machen soll: „Du bist meiner nicht wert." „Das Ziel ist die bewusste Herabsetzung, Demütigung oder ein Lächerlich machen des Gegenüber - manchmal auch vor den Augen der anderen", erklärt die Kölner Familientherapeutin Christiane Jendrich.

Zusammenspiel von Täter und Opfer

Eine perfide Vorgehensweise, denn das zugrunde liegende Muster sei nicht selten, dass die Täter nicht nur aus Boshaftigkeit handeln, sondern ihren eigenen Selbstwert aufbauen wollen - auf Kosten des anderen. „Das Bittere daran ist, dass die Täter oft nichts Eigenes vorzuweisen haben und deshalb die Herabsetzung eines anderen brauchen", so Jendrich. Allerdings funktioniere dies meist nur im Zusammenspiel von Täter und Opfer.

Und nicht jede ablehnende Äußerung oder Beleidigung werde auch als psychische Gewalt empfunden. Stabile, in sich ruhende Menschen können leichter einstecken - aber auch nicht auf Dauer. „Natürlich entscheiden auch Intensität und Häufigkeit, ob ich etwas als übergriffige Gewaltausübung empfinde", erklärt Christiane Jendrich. Wenn aber ein „innerlich unsicherer Täter" und ein „unsicherer Adressat" zusammenkämen, ist Eskalation programmiert. Auf der einen Seite steht dann nämlich der Täter, der für sein Selbstwertgefühl den Applaus, die Aufmerksamkeit und Zustimmung anderer braucht - und sich zur Not mit Gewalt holt. Auf er anderen Seite das Opfer, das keinen hohen Selbstwert hat und oft schon eine lange persönliche Geschichte von Demütigungen hinter sich hat, die viele wunde Punkte hat entstehen lassen, die ihn oder sie anfällig machen.

Betroffene geraten in einen Teufelskreis

Und das kann fatale Folgen haben: „Wenn ich keine Mechanismen mehr zur Verfügung habe, die mich die psychischen Angriffe wegstecken lassen, dann wird mein Selbstwertgefühl dauerhaft untergraben - und das zerstört irgendwann meinen Selbstwirksamkeitsglauben, der mich dazu befähigt, mein Leben in die Bahnen zu bringen, die ich haben möchte", erläutert Christiane Jendrich, die auch Lehrbeauftragte für Systemische Therapie ist.

Zudem geraten Betroffene immer weiter in einen Teufelskreis, aus dem es irgendwann doppelt schwer auszubrechen ist: Denn wer einmal für sich selbst die Opferrolle angenommen hat, verschärft die Wahrnehmung für die kleinen Signale in seiner Umgebung. Unter Umständen ist die Opferrolle sogar bequem: „Derjenige, der gedemütigt wird, ist manchmal auch im Vorteil, weil er nicht über sich nachdenken und sich infrage stellen muss. Als Opfer kann er zudem auf ein gewisses Mitleid hoffen", erklärt Christiane Jendrich.

Wer ein solches festgefahrenes System verlassen will, müsse sich bewegen und sich selbst infrage stellen. Dazu gehöre eben auch, darüber nachzudenken, warum man in die Opferrolle geraten ist und ob man bestimmte Muster der Zurücksetzung und Kränkung vielleicht auch aus der Kindheit schon kennt. Auch wenn es keinen hundertprozentigen Schutz vor psychischer Gewalt gibt: Eine Erziehung, die Kindern ein gutes Selbstwertgefühl vermittelt, ist in jedem Fall eine gute Prävention. 

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