FrackingDie Katastrophe nach der Katastrophe

Lesezeit 3 Minuten
Dieser Schaden erscheint noch überschaubar: Das Luftbild aus Milliken in Colorado zeigt einen durch Hochwasser ramponierten Tank, aus dem Flüssigkeit ausgelaufen ist. Wesentlich schwerwiegender erscheinen die Flutfolgen in der Ölindustrie.

Dieser Schaden erscheint noch überschaubar: Das Luftbild aus Milliken in Colorado zeigt einen durch Hochwasser ramponierten Tank, aus dem Flüssigkeit ausgelaufen ist. Wesentlich schwerwiegender erscheinen die Flutfolgen in der Ölindustrie.

Washington – Erst die Naturkatastrophe, jetzt der Industrie-GAU? Umweltbehörden und Aktivisten in den USA fürchten nach der Flut-Tragödie in Colorado gefährliche Folgeschäden durch Fracking. Im US-Bundesstaat in den Rocky Mountains sind mehr als 50 000 Fördertürme für die umstrittene Methode der Öl- und Gasgewinnung in Betrieb. Dabei wird unter hohem Druck ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch ins Erdreich gepresst. Danach können die Rohstoffe aus den Schiefergestein-Schichten abgepumpt werden. Der Jahrhundert-Regen, der am 11. September einsetzte und für immense Zerstörungen sorgte, hat Dutzende Anlagen lahmgelegt. Überirdische Tanks mit giftigen, Krebs erzeugenden Stoffen, die beim Fracking zum Einsatz kommen, treiben nach Augenzeugenberichten im Wasser. Vereinzelt sind Pipelines, in denen kontaminiertes Wasser oder Öl transportiert wird, geborsten.

Die Sorge vor einer langfristigen Trinkwasser-Verseuchung überlagerte vor dem gestrigen Besuch von Vizepräsident Joe Biden in der Krisenregion in etlichen Medien die historische Tragödie im Vordergrund: Mindestens zehn Menschen sind in den Fluten gestorben, rund 60 werden noch vermisst. 20 000 Häuser in 17 Landkreisen, viermal so groß wie Los Angeles, wurden von den Wassermassen mitgerissen. Mehr als 50 Brücken, Hunderte Meilen Landstraße und Dutzende Stromleitungen sind zerstört. Der Schaden wird auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Die Aufräumarbeiten werden Jahre dauern.

Nach ersten Berichten, die katastrophale Zustände an vielen Bohrstellen zwischen den Städten Jamestown und Evans schilderten, versuchte die auf Industrieseite zuständige Colorado Oil and Gas Association die Wogen zu glätten. "Die Flut hat keine Fracking-Anlagen in Mitleidenschaft gezogen", behauptete Präsidentin Tisha Schuller im Lokalfernsehen.

Gefährliche Folgeschäden

Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Fotos und Videoaufnahmen von Cliff Willmeng im Internet zu sehen. Der Umweltschützer aus Boulder war auf eigene Faust in den Landkreis Weld aufgebrochen, wo allein 20 000 Fracking-Stellen registriert sind, und hatte die Schäden dokumentiert.

Zügig korrigierte die Industrie ihre Darstellung, verkündete die vorbeugende Schließung von Hunderten Bohranlagen, sagte intensive Untersuchungen zu und gab Verhaltensmaßnahmen an die Bevölkerung aus: "Wenn Menschen mit Flutwasser in Kontakt kommen, sollten sie sich häufig mit warmem Wasser und Seife die Hände waschen", sagte Verbandssprecher Mark Salley. Die Gesundheitsbehörde des Bundesstaates Colorado schlägt sogar vor, auf der Toilette auf die Wasserspülung zu verzichten.

Im Zuge der Aufräumarbeiten verschaffen sich Experten der Umweltaufsicht EPA mit Hilfe von Hubschrauber-Rundflügen derzeit einen Überblick über das Ausmaß der Schäden. Zusätzlich sollen Fachleute am Boden Proben nehmen. Laut EPA-Sprecher Matthew Allen ist die größte Sorge, dass sich wiederholt, was 2011 ein großes Gebiet um den Yellowstone Fluss in Mitleidenschaft gezogen hatte: Eine unterirdische Ölpipeline war durch Flutwasser geborsten.

Erschwert wird die Schadensaufnahme durch eine lange kritisierte Geheimniskrämerei. Obwohl Colorado strenge Gesetze hat, ist die exakte Zusammensetzung des Chemie-Cocktails, den große Firmen wie Encana beim Fracking einsetzen, der breiten Bevölkerung nicht bekannt.

Rückschlag

Für die boomende Fracking-Industrie, die in den USA in jüngster Zeit verstärkt durch Kritiker unter Rechtfertigungsdruck steht, stellen die Ereignisse im Rocky-Mountains-Bundesstaat einen erneuten Rückschlag dar. Bislang behauptete die Branche kategorisch, dass die Technik durch Flutwasser nicht beeinträchtigt werden könne - von der Wirklichkeit in Colorado widerlegt.

Erst im Sommer hatten Geowissenschaftler der Columbia-Universität in drei Fällen nachgewiesen, dass die beim Fracking ins Erdreich gespritzten Flüssigkeiten Erdbeben-ähnliche Verwerfungen auslösen können. Zuvor hatte Filmemacher Josh Fox in Dokumentationen ("Gasland") anhand von Dutzenden Beispielen gezeigt, wie groß die von der Industrie bestrittenen Unwägbarkeiten der Fracking-Methode für die Umwelt sind. Eine Szene hat sich dem deutschen Kinopublikum ins Gedächtnis gebrannt. Ein Mann hält ein Feuerzeug an seinen Wasserhahn und erzeugt so einen kleinen Feuerball durch ausströmendes Gas. Die Szene spielt in Colorado.

Rundschau abonnieren