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„Im Notfall darf man alles“Wie die Arbeit in einem Trauma-Zentrum abläuft

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Traumazentrum Bonn Screen

  • Nur wenigere NRW-Kliniken haben überregionale Traumazentren. Ein Besuch im Bonner Zentrum: Vom Hubschrauberlandeplatz aus gelangen die Patienten in 30 Sekunden in den sogenannten Schockraum

Bonn – Es ist eine Situation, in die niemand geraten will. Und wenn es dann passiert, ist es gut, dass es Hilfe gibt. Und zwar schnell. So wie jüngst an jenem Donnerstagabend im Oktober: Der junge Mann aus dem Westerwald ist mit dem Bau seines Hauses beschäftigt, als ihm die Kreissäge abrutscht und sie einen Finger der rechten Hand komplett und drei andere nahezu vollständig abtrennt. Er verliert viel Blut, ein Rettungswagen bringt ihn ins nahegelegene Krankenhaus in Altenkirchen. Dort entscheiden die Ärzte, dass es besser sei, den Patienten zu verlegen. Die Verletzungen sind einfach zu gravierend, und woanders hätte der junge Mann die Chance auf eine Replantation seiner Finger.

„Woanders“ ist in diesem Fall das Uniklinikum Bonn (UKB), genauer gesagt das dortige überregionale Traumazentrum. Es bildet die höchste Versorgungsstufe des sogenannten Rettungsrings Bonn/Rhein-Sieg, zu dem sich die Krankenhäuser aus der Region zusammengeschlossen haben. Das Traumazentrum übernimmt die Behandlung und Versorgung der Schwer- und Schwerstverletzten. Diese kommen entweder direkt – nach Unfall/Verletzung – mit dem Rettungswagen auf den Venusberg oder werden aus kleineren Kliniken dorthin gebracht.

Hunderte Patienten aus dem Ausland stationär behandelt

Traumazentren in Köln

In Köln gibt es zwei überregionale Traumazentren, die sich um die Versorgung von Schwerverletzten und Patienten mit Polytrauma kümmern, also mit einer Verletzung verschiedener Körperregionen, die einzeln oder in Kombination lebensbedrohlich sind.

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Im Traumazentrum im Merheim werden jährlich mehr als 300 Patientinnen und Patienten in zwei Schockräumen behandelt. Zudem werden im  Krankenhaus Merheim in einem speziellen Verbrennungszentrum Opfer von Bränden behandelt.

Pro Jahr werden etwa 400 bis 450 Patienten im Schockraum der Uniklinik Köln versorgt. Bei einem Polytrauma-Notruf kommen Fachärzte aller relevanter Fachrichtungen in der Notfallambulanz zusammen, um zu entscheiden, welche Verletzung als erstes behandelt wird. Spezialisiert ist die Uniklinik unter anderem auf schwere Wirbelsäulenverletzungen. (hes)

Das Traumazentrum am UKB existiert seit zwölf Jahren. Alle drei Jahre steht eine aufwendige (Re-)Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie an. Dazu müssen unter anderem alle denkbaren medizinischen Fachrichtungen hauptamtlich im Haus vertreten sein und jederzeit alle notfallmäßigen Behandlungen durchgeführt werden können.

Wie im Fall des jungen Mannes mit der schwerverletzten rechten Hand: Ein Krankenwagen bringt ihn gegen 22 Uhr von Altenkirchen nach Bonn. Eine knappe halbe Stunde nach Ankunft beginnt für Dr. Kristian Welle (40) und sein Team aus fünf Ärzten und drei Pflegekräften eine gut fünfstündige Operation.

Inzwischen ist es Freitagvormittag. Der Operateur, Oberarzt und Leiter der Handchirurgie, sitzt bei seinem Chef, Professor Christof Burger (60), im Büro in Gebäude 23 auf dem Venusberg und berichtet von der Nacht. Nein, so richtig außergewöhnlich war die Replantation der Finger eigentlich nicht für ihn. Richtig außergewöhnlich wäre es, wenn er während der Nachtschicht in Bereitschaft mal nicht hätte operieren müssen. Manchmal sind sogar zwei Notfallteams parallel in zwei Sälen beschäftigt. Auch darauf sind die Mediziner und Pfleger im Traumazentrum vorbereitet. An der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie arbeiten 60 Ärzte, 50 von ihnen kümmern sich in Schichten um die Versorgung von Verletzten.

Während die gut 24-stündige Schicht Welles langsam endet, hat der Arbeitstag seines Chefs seit einigen Stunden begonnen. Professor Christof Burger, Leitender Arzt an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am UKB, ist bereit, an diesem Vormittag ein paar Einblicke ins Traumazentrum zu geben. Neulich geriet es in die Schlagzeilen, weil dort (wie berichtet) zu Beginn des Jahres ein mutmaßlicher libyscher Kriegsverbrecher behandelt worden sein soll. Ob das wirklich so war (und die genauen Umstände), blieben unklar, da Visum und Pass des betreffenden Patienten auf einen anderen Namen ausgestellt gewesen seien, so Burger. Grundsätzlich aber sei der Fall nicht außergewöhnlich gewesen, da am Uniklinikum Bonn jährlich (zumindest in Nicht-Corona-Zeiten) Hunderte Patienten aus dem Ausland stationär behandelt würden.

Professor Burger stellt klar: „Wir behandeln jeden Notfall.“ Das gehöre zum Wesen und zu den Pflichten eines überregionalen Traumazentrums. Es behandelt jährlich etwa 33 000 Patienten, 23 000 ambulant und 10 000 stationär. Rund 450 Notfallpatienten haben – häufig nach schweren Verkehrsunfällen – bei ihrer Einlieferung lebensgefährliche Verletzungen. Und an die 500 Patienten kommen nicht mit dem Krankenwagen auf den Venusberg, sondern im Rettungshubschrauber. Die Helikopter können seit dem Sommer 2019 direkt auf dem Dach des Notfallzentrums landen. Im Regelbetrieb ist die Landeplattform für einen Hubschrauber zugelassen. Es sind aber auch schon mal zwei dort gelandet – es ging damals einfach nicht anders. Theoretisch reiche der Platz sogar für drei, erklärt Dr. Monika Kogej (37), Oberärztin am Notfallzentrum. Sie ist sich einig mit Professor Burger: „Im Notfall darf man alles.“

Die 750 Quadratmeter große, tellerrunde Hubschrauber-Landeplattform hatte sich die NRW-Landesregierung etwa 5,9 Millionen Euro kosten lassen. Für den Chef der Unfall-, Hand- und Plastisch-Rekonstruktiven Chirurgie war das eine völlig unumgängliche Investition: „Um das Leben von Schwerverletzten zu retten, zählt jede Minute“, sagt Burger.

Die per Hubschrauber eingelieferten Patienten können nun nach der Landung binnen 30 Sekunden durch reservierte Fahrstühle hinunter in den Notfallbereich gebracht werden. Und das heißt für Schwerst- und lebensgefährlich Verletzte: in den sogenannten Schockraum. Davon gibt es im Traumazentrum drei für Erwachsene und einen speziell für Kinder.

Aber auch das gibt es bei den Notfallmedizinern: dass sie einigen Verletzten nicht mehr helfen können. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bei Balkonstürzen aus dem fünften Stock eine Rettung noch möglich ist, aus der sechsten Etage leider meistens nicht mehr. Wir versuchen es trotzdem immer mit allem, was wir haben“, sagt Burger. Nach Angaben des Professors sterben etwa acht bis zehn schwerstverletzte Menschen pro Jahr nach ihrer Einlieferung ins Bonner Traumazentrum.

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