„Keineswegs geschwiegen“Bischof über die evangelische Kirche in der Corona-Krise

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Heinrich Bedford-Strohm bei einem ökumenischen Gottesdienst.

  • Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm über die Kirche in der Corona-Krise, Singen im Gottesdienst und die Digitalisierung
  • Mit dem EKD-Ratsvorsitzenden sprach Benjamin Lassiwe.

In der Corona-Krise hat sich die Evangelische Kirche digitalisiert. Entsprechende Formate sollen nun weiterentwickelt werden, sagt Heinrich Bedford-Strohm. Mit dem EKD-Ratsvorsitzenden sprach Benjamin Lassiwe. Bischof Bedford-Strohm, das Pfingstfest wurde erstmals unter Corona-Bedingungen gefeiert.

Viele Christen bedauern, dass in Gottesdiensten nicht mehr gesungen werden darf. Wie sehen Sie das?

Heinrich Bedford-Strohm: Bestimmte Formen des Gesangs sind auch heute möglich – aber das ist von Bundesland zu Bundesland und von Landeskirche zu Landeskirche verschieden. Es ist unbefriedigend, dass die Bedingungen da nicht überall gleich sind. Als Kirche setzen wir uns dafür ein, dass auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen Lockerungen erreicht werden. Das ist kontinuierlich in vielen Hintergrundgesprächen ein Thema. Aber die Lockerungen dürfen nicht zu Lasten des Gesundheitsschutzes erreicht werden. Das ist ein Gebot der Nächstenliebe. Aber wenn wir Dinge guten Gewissens verantworten können, wollen wir auch erreichen, dass sie wieder möglich werden.

Zur Person

Heinrich Bedford-Strohm ist seit 2014 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zudem ist der 60-Jährige seit 2011 Landesbischof in Bayern und Honorarprofessor für Systematische Theologie und Theologische Gegenwartsfragen an der Universität Bamberg. ga

Was heißt das konkret?

Bedford-Strohm: Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass dort, wo Masken getragen werden, die Übertragung von Viren über Aerosole sehr stark begrenzt wird. Deswegen gibt es berechtigte Hoffnung, dass das Singen unter den Masken und bei strikter Einhaltung von Abständen in den nächsten Monaten wieder möglich werden könnte. Darüber sind wir jedenfalls im Gespräch mit denen, die Verantwortung tragen. Wir wollen Sicherheit haben, welche Informationen verlässlich sind und dann handeln.

In den vergangenen Wochen gab es Vorwürfe, die Kirche hätte in der Corona-Krise zu sehr geschwiegen.

Bedford-Strohm: Wir haben keineswegs geschwiegen. Wir haben uns von Anfang an in vielen Botschaften geäußert. Vieles gut hörbar öffentlich und anderes in unzähligen Hintergrundgesprächen, dort, wo das geboten war. Und gerade an Ostern ist die Kraft der christlichen Botschaft doch besonders deutlich zum Ausdruck gekommen. Gerade in den Karfreitagserfahrungen der Menschen war die dann folgende Osterbotschaft sehr aussagestark, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, und wir rufen können: „Der Herr ist auferstanden!“ Dazu beigetragen haben auch die digitalen Formate: Dass wir mehr als zehn Millionen Menschen mit TV- und Radiogottesdiensten sowie mit Internetstreams erreicht haben, hat uns gefreut – das ist mehr als sonst.

Wie geht es jetzt damit weiter?

Bedford-Strohm: Wir haben erste Untersuchungen gestartet, um die Erfahrungen, die die Gemeinden mit solchen Gottesdienstformaten gemacht haben, auszuwerten, Schon jetzt kann man sagen, dass wir diese Formate auf jeden Fall beibehalten und weiterentwickeln wollen. Das eine ist besser gelungen, das andere schlechter. Und natürlich muss das Streaming oder die Kurzandacht auf Facebook auch in das Zeitbudget all derer integriert werden, die es machen.

Auch bei einem Livestream liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf dem eigentlichen Inhalt, also zum Beispiel der Vorbereitung einer guten Predigt. Aber es gibt auch andere Formate, die mehr Aufwand erfordern. Ein Beispiel ist der Zoom-Gospelgottesdienst, den ich mit über 300 Menschen gefeiert habe. Das war mit viel Aufwand verbunden. Aber nicht für mich als Pfarrer, denn die Technik haben andere übernommen. Und am Ende hatten wir ein wunderbares Gottesdiensterlebnis und eine Kollekte von über 10 000 Euro für Menschen in Rwanda, die nicht nur von der Covid-Pandemie, sondern auch von schweren Überschwemmungen betroffen sind.

Wird die Kirche durch all das Digitale nicht auch steriler?

Bedford-Strohm: Das Digitale kann die Begegnung auch in einem Gottesdienst nie ersetzen. Es darf nicht an die Stelle von physischem Kontakt treten. Aber es kann eine Form der Teilhabe für Menschen sein, die sonst eher nicht den Schritt in eine Kirche wagen. Es ist eine interessante, komplementäre Form. Manches fehlt, anderes ist digital aber auch möglich. Bei dem Zoom-Gottesdienst mit dem Chor haben die Menschen ihre Gebete für andere sichtbar zum Ausdruck bringen können – in der Chatfunktion. Das empfand ich als sehr berührend. Eine derartige Beteiligung aller haben wir in traditionellen Gottesdiensten eher nicht.

Wie sollte denn die evangelische Kirche nach Corona aussehen?

Bedford-Strohm: Die Kirche soll vor allem eine einladende Kirche sein. Sie soll das, was wir im Hinblick auf die digitalen Medien erlebt haben, wo Menschen neu in Kontakt zur Kirche gekommen sind, aufgreifen und fortsetzen. Die Menschen haben während der Corona-Krise die Frage nach dem wirklich Wichtigen in ihrem Leben neu gestellt. Darauf müssen wir Antworten geben. Für das Nachdenken darüber muss es einen Ort geben. Das muss aus meiner Sicht die Hauptaufgabe der Kirche nach der Corona-Krise sein.

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