30 Jahre EinheitDorit und Martin Richter führen seit 20 Jahren Ost-West-Ehe

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Doris und Martin Richter

Dorit hat Martin Richter gleich gefallen, aber gefunkt hat es einige Zeit später. Gemeinsame Sommerabende in Dresdner Biergärten brachten das Glück zwischen der Dresdnerin und dem Kieler.

  • Das Ehepaar Dorit und Martin führen eine spezielle Ehe.
  • Die Architekten aus Dresden sind nämlich in einer Ost-West-Beziehung: Vor 20 Jahren kam sie aus dem Westen und wählte ihn aus dem Osten zum Partner.
  • Im Portrait erzählen sie ihre Geschichte.

Dresden/Köln – Sie strahlt, plaudert charmant, sie ist die perfekte Gastgeberin. Dorit Richter zeigt gern ihr schönes Haus am Loschwitzer Elbhang mit Traumblick über Dresden. Etwas später kommt ihr Mann hinzu, ruhig, sachlich, nachdenklich, er lässt seiner Frau gern das Wort. Da scheint ja wieder mal alles klar. Die Westfrau hat sich einen Ossi geangelt. Und wieder zerbröselt ein liebgewordenes Klischee.

Dorit Richter (47) ist in Dresden geboren und aufgewachsen, die Mutter Architektin, der Opa Bauingenieur. Die aufregende Wendezeit erlebte sie auf der Kreuzschule, der große Wandel kam für die damals 16-Jährige zur richtigen Zeit. Sie hat nach dem Abitur Architektur studiert, dann ein paar Monate in England gearbeitet, anschließend einen Job als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dresden angenommen.

1995 kreuzten sich die Wegevon Dorit und Martin

Martin Richter (56) kommt dagegen aus dem norddeutschen Kiel, wo die Zurückhaltung angeboren scheint. Auch er stammt aus einer Architektenfamilie, auch er trat in die Fußstapfen seiner Vorfahren und studierte Architektur in Karlsruhe, bekam dort seinen ersten Job. Auch sein Leben erhielt im November 1989 eine neue Wendung. Durch eine Nachricht im SWR, an die er sich noch genau erinnern kann: „Achtung, auf der A9 kommt ihnen die DDR entgegen.“

Einige Monate später fuhr er in die Gegenrichtung, saß bald in einem Architektenbüro im heruntergekommenen Schloss Radeberg, in einer Stadt, die er damals schlicht als dunkel erlebte. Hier plante er mit seinen Kollegen die Sanierung von Bautzen und Pirna, beide Städte sind heute sächsische Schmuckstücke. 1995 kreuzten sich die Wege von Dorit und Martin.

Er arbeitete inzwischen im Architekturbüro „Wörner & Partner“ in Dresden, wollte dort endlich selbst bauen. Sie sammelte während des Studiums Praktikumserfahrungen. Er hat ihr gleich gefallen, aber gefunkt hat es erst einige Zeit später. Gemeinsame Sommerabende in Dresdner Biergärten und im Szeneviertel Neustadt brachten das Glück. Sie entdeckten, dass viele ihrer Ansichten ähnlich waren, dass sie vor allem einte, dass sie gestalten wollten, Städte entwickeln. Im Osten gab es dafür ein großes Betätigungsfeld. Beide sind heute noch sicher, dass diese Ähnlichkeit, trotz verschiedener Herkunft, die wichtigste Basis für ihre Ehe wurde.

Offene Neugier gegenüber dem Westen

Dorit Richter war sich gar nicht sicher, dass es mit einem Partner aus dem Westen funktioniert. Sie hatte vorher schon einen Freund von dort, sie nennt das heute „meine Westerfahrung“. Und die war nicht gut. Ständig musste sie verteidigen, was da im Osten gelaufen war, von Augenhöhe konnte keine Rede sein. „Martin war da ganz anders. Er hatte nichts Rechthaberisches und ein unbedingtes Interesse am Osten“, meint sie. Er nennt es selbst „offene Neugier“. Beide hatten sie sich viel zu zeigen und zu erklären. Und, so viel Schmalz muss sein, beide mögen Udo Lindenbergs „Mädchen aus Ostberlin“.

Martin Richter glaubt, noch einen weiteren Aspekt gefunden zu haben, warum es funktioniert in seiner Ehe und warum sie sich beide wohlfühlen in Dresden. Er zögert ein wenig mit diesem Bekenntnis, aber dann sagt er klar: „Wir denken beide ostdeutsch.“ Oha, ein Wessi denkt ostdeutsch? Sie überlegen jetzt beide noch einmal, ob sie das so stehenlassen wollen. Aber dann sind sie sich sicher. Ja, das ist es. Sie können sich zusammen riesig freuen über jeden ostdeutschen Erfolg. Über eine Firmengründung, über ein neues Architekturprojekt, über einen Ost-Fußballtrainer, der es im Westen geschafft hat. Martin Richter hat genau registriert, dass Karsten Neitzel, der ehemalige Fußballer von Dynamo Dresden, den Club Holstein aus seiner Heimatstadt Kiel vor Jahren in der dritten Liga etabliert hat.

Architekturbüro in Dresden zu bekannter Adresse geworden

Dorit Richter, die nicht mehr als Architektin arbeitet, sondern im Büro für Kommunikation und die für die überlebenswichtigen Architekturwettbewerbe zuständig ist, kann jedenfalls viele spannende Projekte vorzeigen. Aber es kommt noch besser. Das Architekturbüro „Wörner, Traxler, Richter“ aus Dresden, das inzwischen zu den großen in Deutschland gehört, eröffnete kürzlich in München eine Außenstelle. Das ostdeutsche Denken führt über die Freude an Erfolgen hinaus. Martin Richter hat mit seinen Partnern der zweiten Generation seit der Gründung eine weitreichende Entscheidung getroffen. Sie haben zwei junge ostdeutsche Architekten zu Partnern berufen, um den nächsten Generationswechsel vorzubereiten.

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Lebt Familie Richter ohne Sorgen? So ist es nicht. Es macht ihnen seit Jahren zu schaffen, dass sie auf den Baustellen im Westen und von der Familie immer wieder darauf angesprochen werden, was denn da im Osten los ist mit den Rechten, wie es sich denn in Dresden lebt, wenn Pegida durch die Straßen zieht. Immer wieder müssen sie erklären, dass es ihnen gut geht in Sachsen und der Osten keineswegs durchweg braun ist. Aber Dorit Richter gesteht auch, dass sie zeitweise schon besorgt war, ob ihr Martin die Lust verliert in Sachsen.

Blick auf die Entwicklung im Osten

Wegzuziehen mag sie sich nicht vorstellen, es ist doch längst ihre gemeinsame Heimat. Dorit Richter weiß aber auch, dass sie vorsichtig sein müssen mit ihrem Urteil. Ihnen geht`s schließlich gut. Martin Richter hingegen macht Mut, wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf die Menschen zugeht, mit ihnen diskutiert, wie er kämpft. Und beide Richters verbinden mit Corona sogar eine Hoffnung. Vielleicht finden Ost und West dadurch besser zueinander, es ist schließlich die erste gemeinsame Krisenerfahrung.

Bleibt die Frage, mit welchem Selbstverständnis die Kinder leben. Tochter Leonie ist 18, hat gerade ihr Abitur bestanden und will wie die Eltern Architektur studieren. Philipp ist 15 und geht noch zur Schule. Beide sind in Dresden aufgewachsen und, so betont ihre Mutter, sehr an Ostthemen interessiert. Gemeinsam guckt die ganze Familie Fernsehserien wie „Weißensee“, und sie diskutieren darüber. Manchmal staunen sie, wenn die Mutter von den blauen Halstüchern erzählt, den Ermahnungen ihrer Eltern, in der Schule bloß kein falsches Wort zu sagen und von der ersten freien Debatte in der Schule, die sie erst mit 16 erlebte. Spannend, klar.

Aber anders ist es, wenn ihr Vater von seiner Jugend erzählt. Seine jungen Jahre in Kiel vor 40 Jahren sind Leonie und Philipp aus Dresden näher als die ihrer Mutter. Die Jugend des Vaters hat einfach mehr mit ihrem eigenen Leben zu tun.

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