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Anstieg der FallzahlenTrifft das Coronavirus als nächstes die Kinder?

Lesezeit 3 Minuten
Kinder beim Coronatest

Kinder beim Coronatest (Symbolbild)

  • Der Anstieg der Corona-Fallzahlen setzt sich fort – und besonders jüngere Altersgruppen sind verstärkt betroffen.
  • Auch die Begleiterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen werden schlimmer.
  • Wird es nun Zeit, den Kinderschutz in der Pandemie in den Vordergrund zu heben?

Berlin – Während man zu Beginn der Corona-Pandemie noch davon ausging, dass Kinder und Jugendliche weniger stark von Infektionen betroffen sind, ändert sich das spätestens seit dem Auftauchen der Variante B.1.1.7. Jetzt leiden auch immer mehr Kinder und Jugendliche unter „Long Covid“ – unter diesem Begriff werden die langfristigen Folgen von Corona-Erkrankungen zusammengefasst. Studien ergaben, dass etwa jeder Zehnte nach einer Ansteckung mit dem Virus noch Wochen später unter Symptomen wie Müdigkeit und Kurzatmigkeit, aber auch unter kardiologischen und neurologischen Problemen leidet. Dies kann auch nach einem eher milden Verlauf der Erkrankung der Fall sein.

Selbst 18-Jährige in der Klinik

Auf „Long Covid“-Erkrankungen spezialisiert ist zum Beispiel die Median-Klinik in Heiligendamm an der Ostsee. Auch hier werden die Patienten immer jünger: Laut Chefärztin Jördis Frommhold werden zunehmend 20- bis 30-Jährige stationär aufgenommen und im letzten Monat auch zwei 18-Jährige. Die Anfragen nach Reha-Angeboten für pädiatrische Patienten häuften sich. Die Klinik stünde auch bereit, Jugendliche ab 14 Jahren in Begleitung eines Erziehungsberechtigten aufzunehmen.

Man müsse insgesamt von der Vorstellung Abschied nehmen, dass junge Menschen nicht erkranken können, so Frommhold. Dies habe sich mit der Variante B.1.1.7 geändert. Auch schwache Symptome sind potenziell höchst problematisch: So könnten beispielsweise auf Konzentrationsprobleme bei Schülern schlechte Schulleistungen folgen, die wiederum die Wahl des Studiums oder des Berufs beeinflussen.

Die Firmen Biontech und Pfizer hatten Ende März berichtet, dass sie mit Studien zu Wirkung und Sicherheit ihres Corona-Impfstoffs bei Kindern bis einschließlich elf Jahren begonnen haben. Das aktuelle Vakzin ist bislang für Jugendliche ab 16 Jahren bedingt zugelassen. Studien für die Altersgruppe 12 bis 16 laufen bereits.

Depressionen bis zur Suizidgefahr

Aber auch jenseits der unmittelbaren Folgen des Virus warnen Experten vor hohen gesundheitlichen Risiken für Kinder und Jugendliche während der Corona-Krise. So seien diese deutlich häufiger als vor dem Lockdown in Notaufnahmen von Kinder- und Jugendpsychiatrien (KJP) vorstellig. Schwere Depressionen, Angststörungen, akute suizidale Gefährdungen und andere Krankheitsbilder hätten bei ihnen vor allem ab dem vierten Quartal 2020 zugenommen, wie jetzt Anfragen der Zeitung „Die Welt“ bei deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrien ergaben.

Der Ärztliche Direktor der KJP am Uniklinikum Tübingen, Tobias Renner, sagte, im vierten Quartal 2020 sei seine Notfallversorgung „so stark beansprucht wie nie zuvor“ gewesen. Es habe „eine Steigerung der Aufnahmen von mehr als 30 Prozent“ gegeben. Die Notfallquote habe 86 Prozent betragen. „Das heißt, 86 Prozent der stationär behandelten Kinder und Jugendlichen kamen in der akuten Krise.“ Die meisten seien „akut suizidgefährdet“ gewesen.

Reta Pelz, Chefärztin in der KJP der Mediclin-Klinik in Offenburg, sagte: „Seit Januar sind wir durchweg um 110 bis 120 Prozent überbelegt.“ Die Schwere der Störungsbilder habe ebenfalls deutlich zugenommen: „Kinder, die aus einer tiefen Traurigkeit nicht mehr rauskamen, die keinen Grund zum Weiterleben, keine Perspektive entwickeln können, sahen wir mehr als sonst.“

Essstörungen nehmen stark zu

Zugleich wird der Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen während der Corona-Krise problematisch gesehen. „Fast jedes zehnte Kind unter 14 Jahren, das bisher normalgewichtig war, hat im vergangenen Jahr Übergewicht entwickelt“, sagte der Vorsitzende der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Berthold Koletzko, der „Welt am Sonntag“. Besonders betroffen seien Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

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Gleichzeitig wirken sich das fehlende Sportangebot und die mangelnde Tagesstruktur auch auf die seelische Gesundheit der Heranwachsenden aus. „Viele beschäftigen sich den ganzen Tag mit ihrem Gewicht und haben so stark Angst zuzunehmen, dass sie eine Essstörung entwickeln“, sagte die Direktorin der Aachener Uniklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Beate Herpertz-Dahlmann. Allein im vergangenen Quartal sei die Zahl der Magersüchtigen um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen: „Viele Patienten befinden sich in einem beängstigenden Zustand.“ Neben Magersucht litten viele unter Essattacken oder Bulimie. (mit dpa/kna)

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