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FaktencheckWas ist dran an den ominösen Inseraten von Ungeimpften?

Lesezeit 5 Minuten
Stellenanzeigen Ungeimpfte

In mehreren Zeitungen wurden angebliche Stellengesuche von Ungeimpften aus Pflegeberufen veröffentlicht. 

  • Es gibt Hinweise, dass viele der Stellengesuchen falsche Angaben enthalten.
  • Ein Faktencheck.

Vom 16. März 2022 an gilt in Deutschland eine „einrichtungsbezogene“ Corona-Impfpflicht: Ab dann muss das Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen eine Impfung oder Genesung vorweisen oder ein Attest, mit dem eine Impfung ausgeschlossen wird – sonst drohen Tätigkeitsverbote. Manche befürchten, dass das zu einer Kündigungswelle und Personalmangel in Krankenhäusern und Pflegeheimen führen könnte.

Um das zu belegen, werden nun vermehrt Zeitungsseiten mit angeblichen Stellengesuchen von ungeimpften Mitarbeitenden aus diesen Bereichen in den sozialen Netzwerken (archiviert) verbreitet. Zeigen diese Inserate einen Trend?

Bewertung

Die Seiten mit vielen Stellengesuchen sind kein Beleg für eine angebliche Kündigungswelle aufgrund der Impfpflicht. Vielmehr gibt es Hinweise, dass unter den Inseraten viele mit falschen Angaben sind. Die Impfquote unter Beschäftigten etwa in Krankenhäusern ist vergleichsweise hoch. Personalmangel gibt es Fachverbänden zufolge trotzdem.

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Fakten

In einigen Zeitungen – zumeist Anzeigenblättern – sind in den vergangenen Tagen und Wochen viele Stellengesuche veröffentlicht worden, in denen Menschen angeben, im Gesundheitsbereich zu arbeiten, ungeimpft zu sein und nach anderen Jobs zu suchen. Über 100 solcher Inserate veröffentlichte am 22. Januar 2022 etwa der „Oberlausitzer Kurier“, ein Anzeigenblatt aus dem sächsischen Bautzen.

Was fällt an den Inseraten auf?

Neben dem fast immer verwendeten Hinweis, dass man „ungeimpft“ sei, gibt es bei einigen der Anzeigen im „Oberlausitzer Kurier“ schon auf den ersten Blick Hinweise darauf, dass es sich um Fälschungen handelt. So ist in einem Inserat eine Mobilfunknummer angegeben, die auf „1234567890“ endet. Diese Reihenfolge ist nicht nur höchst ungewöhnlich – die Nummer ist auch zu lang, denn laut Bundesnetzagentur gibt es unter dem verwendeten Nummernteilbereich 0160 stets nur sieben oder acht weitere Ziffern.

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Eine andere Nummer, die sowohl ein angeblicher Rettungssanitäter als auch eine angebliche Hebamme in ihren Inseraten angeben, ist hingegen zu kurz und daher nicht authentisch. In einem Inserat fehlt gleich jede Kontaktmöglichkeit – auch eine Chiffre, mit der über das Anzeigenblatt Kontakt aufgenommen werden könnte, gibt es nicht. Eine angebliche Festnetznummer aus der Region in einer weiteren Anzeige endet auf „0815“, ist aber gar nicht vergeben, wie ein Anruf zeigt.

Auch ein Journalist des Rundfunks Berlin-Brandenburg berichtet, dass er mehrere der Inserate telefonisch geprüft habe. Bei seinen Versuchen habe er jedoch niemanden hinter den einzelnen Anzeigen erreichen können. Das Ergebnis seiner Stichprobe: Nicht vergebene Nummern, niemand hebt ab, eine Person legt sofort wieder auf.

Wer steckt hinter den angegebenen Telefonnummern und Kontaktdaten?

Das ist schwer zu sagen, da die Inserate anonym sind. Aufgeben kann ein solches Inserat in der Regel jeder und jede – auch online. Auf der Seite des „Oberlausitzer Kurier“ lässt sich unter anderem das gewünschte Erscheinungsdatum wählen. Eine Prüfung auf Authentizität gibt es bei Zeitungsannoncen in der Regel nicht.

Gibt es Hinweise auf eine Absprache hinter den Inseraten?

Tatsächlich hat es bei Anzeigen aus anderen Zeitungen und Regionen Hinweise darauf gegeben, dass sich Menschen über den Messengerdienst Telegram (hier und hier) dazu verabredet haben, gemeinsam Inserate zu schalten – etwa in Bayern, Sachsen und Thüringen. Wie das Portal „T-Online“ berichtet, wird auf Telegram zudem für Ende Januar eine Aktion mit Inseraten in der Tageszeitung „Heilbronner Stimme“ in Baden-Württemberg geplant. Diese betonte bereits, die Anzeigen prüfen zu wollen.

Die Zeitungen „Fränkischer Tag“ aus Bamberg und „Freie Presse“ aus Chemnitz berichten ebenfalls über ungewöhnlich viele Inserate in ihren Blättern und Hinweise auf Fälschungen beziehungsweise Absprachen. Die „Freie Presse“ berichtet, dass ein Angerufener angab, seine Nummer sei fälschlich oder missbräuchlich verwendet worden – er habe mit der Anzeige gar nichts zu tun.

Belegen die Anzeigen, dass die Impfpflicht die Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen gefährdet?

Dieser Schluss lässt sich aus den kursierenden Zeitungsseiten nicht ziehen. Es ist unklar, wie viele der Anzeigen gefälscht sind und wie viele tatsächlich von Menschen stammen, die wegen der Impfpflicht das Gesundheitswesen verlassen wollen. Auch der Umstand, dass Inserate offenbar zum Teil koordiniert geschaltet werden, spricht dagegen, die Anzeigenseiten als repräsentativ für einen Trend im gesamten Gesundheitswesen zu interpretieren.

Wie hoch ist eigentlich die Impfquote im medizinischen Bereich?

Beschäftigte in Krankenhäusern sind im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung zu einem überdurchschnittlichen Anteil gegen Corona geimpft. Zu diesem Ergebnis kamen unabhängig voneinander Umfragen des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).

Nach den Ergebnissen der krankenhausbasierten Online-Befragung des RKI waren Mitte November des vergangenen Jahres 92 Prozent des Krankenhauspersonals in Deutschland vollständig gegen Covid-19 geimpft, 16 Prozent hatten bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten. Vier Prozent des teilnehmenden Personals war zum Zeitpunkt der Umfrage unvollständig geimpft, weitere vier Prozent komplett ungeimpft.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Krankenhausumfrage im Auftrag der DKG: Demnach sind im Schnitt 90 Prozent der Beschäftigten in patientennahen Bereichen mindestens zweimal geimpft. Besonders hoch ist die Quote in der Pflege mit 95 Prozent.

Regional kann es aber durchaus starke Abweichungen geben: Die sächsische Landesregierung gab den Anteil der Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen mit einer Grundimmunisierung mit Stand vom 1. Dezember für ganz Sachsen nur mit rund 59 Prozent an. Im Landkreis Bautzen, wo der „Oberlausitzer Kurier“ erscheint, waren es nur 54 Prozent. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wurde am 10. Dezember vom Bundestag beschlossen. Möglich ist, dass die Quote seitdem gestiegen ist. Gegenüber dem MDR sprach das sächsische Sozialministerium Mitte Januar von einer Impfquote im gesamten Gesundheits- und Pflegebereich von etwa 65 Prozent.

Was sagen Krankenhäuser und Fachverbände?

Trotz der bundesweit betrachtet hohen Impfquote erwarten viele Krankenhäuser infolge der einrichtungsbezogenen Impfpflicht personelle Einschränkungen. 85 Prozent der Kliniken mit einer Impfquote von weniger als 85 Prozent rechnen nach der DKG-Umfrage mit Beschränkungen. Bei Krankenhäusern mit mehr als 95 Prozent Impfquote sind es noch 42 Prozent. Das zeige, wie dünn die Personaldecke in den Kliniken insgesamt ist und wie sehr schon relativ geringe Fluktuationen zu Problemen bei der Patientenversorgung führen können, erklärt die DKG.

Fast zwei Drittel der Krankenhäuser würden bereits jetzt überdurchschnittlich viele Ausfälle verzeichnen. Der Vorstandsvorsitzende der DKG Gerald Gaß sagt dazu: «Die Personalausfälle sind aktuell ein deutlich größeres Problem als in normalen Jahren.» Medien berichten auch über einzelne Fälle von Pflegekräften, die den Beruf aufgrund der Impfpflicht aufgeben wollen.

Neben der DKG geht auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) in Berlin davon aus, dass die Pandemie die Personalsituation verschärft hat. Exakte Daten gibt es aber nicht. (dpa)

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