Humanitäre Katastrophe drohtMindestens tausend Tote bei Erdbeben in Afghanistan

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Erdbeben Afghanistan dpa 220622

Afghanen betrachten die Zerstörung durch das Erdbeben in der ostafghanischen Provinz Paktika. 

Islamabad/Gardez – Bei einem verheerenden Erdbeben im Osten Afghanistans sind mindestens tausend Menschen ums Leben gekommen. Die Rettungskräfte und Bewohner in dem entlegenen Katastrophengebiet mussten sich nach dem nächtlichen Beben am Mittwoch zudem um hunderte Verletzte kümmern, wie die Behörden mitteilten. Die Taliban-Führung bat Hilfsorganisationen um sofortige Unterstützung, „um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern“.

Die EU stellte Hilfslieferungen in Aussicht, die Bundesregierung sprach den Betroffenen ihr Mitgefühl aus. Das Beben hatte nach Angaben der US-Erdbebenwarte USGS eine Stärke von 5,9. Es ereignete sich demnach gegen 01.30 Uhr Ortszeit an der Grenze zu Pakistan. Ein zweites Beben der Stärke 4,5 ereignete sich laut USGS fast am selben Ort zur selben Zeit. Die Erschütterungen waren bis in die rund 200 Kilometer entfernte Hauptstadt Kabul sowie im 480 Kilometer entfernten Lahore in Pakistan zu spüren. Die Opferbilanz stieg ständig an.

Noch Menschen unter Trümmern verschüttet

Kurz nachdem die Marken von hundert und 250 Todesopfern überschritten worden waren, sprach der Vize-Minister für Katastrophenschutz, Scharafuddin Muslim, in einer Pressekonferenz von mindestens 920 Todesopfern und 600 Verletzten. Schließlich wurden allein aus der Provinz Paktika mindestens tausend Todesopfer gemeldet. Und die Opferzahl steige weiter, erklärte der Leiter der dortigen Informations- und Kulturbehörde, Mohammed Amin Husaifa. „Die Menschen graben ein Grab nach dem anderen.“ Außerdem seien immer noch Menschen unter Trümmern verschüttet. Fotos in Online-Netzwerken zeigten zahlreiche eingestürzte Häuser in ländlichen Gebieten.

Jakub Mansor, ein Stammeschef aus Paktika, schilderte der Nachrichtenagentur AFP am Telefon, dass die überlebenden Einwohner selbst Hilfe organisierten und Verletzte abtransportierten. Anas Hakkani, ein hochrangiger Vertreter der radikalislamischen Taliban, erklärte, die Regierung helfe „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“. „Wir hoffen, dass die internationale Gemeinschaft und die Hilfsorganisationen unserem Volk in dieser furchtbaren Lage ebenfalls helfen“, fügte Hakkani hinzu. „Wir rufen die Hilfsorganisationen auf, den Opfern des Erdbebens sofortige Hilfe zu leisten, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern“, schrieb der afghanische Vize-Regierungssprecher Bilal Karimi im Onlinedienst Twitter.

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Der Leiter der Johanniter-Hilfsprogramme in Afghanistan, Louis Marijnissen, erklärte, das Katastrophengebiet sei „sehr gebirgig und schwer zugänglich“. Seine Hilfsorganisation werde nun schnell mobile Kliniken dorthin schicken. Die Bundesregierung sprach „dem afghanischen Volk ihr tiefes Mitgefühl aus“. „Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer und bei den vielen Verletzten“, twitterte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Der pakistanische Regierungschef Shehbaz Sharif erklärte, er sei „tief betrübt“ über die Katastrophe. Sein Land bemühe sich um Hilfe für Afghanistan. Der Sondergesandte der Europäischen Union für Afghanistan, Tomas Niklasson, schrieb auf Twitter, die EU stehe „bereit, Nothilfe zu koordinieren und zu liefern“. Die UNO schickte nach eigenen Angaben mehrere Teams in die betroffenen Gebiete.

Papst Franziskus sagte in Rom, er bete für die Erdbebenopfer und sei in Gedanken bei „den Verletzten und den anderen Betroffenen“. Erdbeben sind in Afghanistan und vor allem in der Bergkette Hindukusch keine Seltenheit. Wegen der mangelhaften Bausubstanz vieler afghanischer Häuser sind die Schäden oft verheerend. Hinzu kommt nun, dass die humanitäre Lage in Afghanistan infolge des Abzugs der westlichen Truppen und der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban vor knapp einem Jahr ohnehin katastrophal ist. Es fehlt etwa an Lebensmitteln und Medikamenten.

Nach Angaben von Hilfsorganisationen und den Vereinten Nationen benötigt Afghanistan Milliardensummen, um die humanitäre Lage zu stabilisieren. Hilfsorganisationen mahnen außerdem seit längerem an, dass das Land bessere Vorkehrungen für Katastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen und Erdrutsche treffen müsse. (AFP)

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