Interview mit Kölner Onkologe„Ziel ist es, die Chemotherapie überflüssig zu machen“

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Professor Michael Hallek 

  • Professor Michael Hallek ist Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln und des Centrums für Integrierte Onkologie Aachen Bonn Köln Düsseldorf.
  • Er leitet gemeinsam mit Professor Michael Baumann die Arbeitsgruppe „Große ungelöste Fragen der Krebsforschung“ der Nationalen Dekade gegen Krebs.
  • Diana Hass hat mit ihm über den aktuellen Stand der Krebsforschung gesprochen.

Was sind derzeit besonders innovative Ansätze in der Krebstherapie? Welche Richtungen werden verfolgt?

Michal Hallek: Im Moment ist die innovativste grundsätzliche Forschungsrichtung die Entwicklung neuer Immuntherapien. Und zwar in unterschiedlicher Weise. Einerseits gibt es zelluläre Immuntherapien. Dabei versucht man, T-Zellen des Patienten gegen den Tumor zu richten. Das sind genetisch veränderte T-Zellen, die sogenannten CAR (chimäre Antigen-Rezeptor)-T-Zellen. Diese erzielen sehr gute klinische Ergebnisse.

Die zweite Behandlungsmöglichkeit bildet eine ganze Gruppe neuer Medikamente, so genannte Checkpoint-Inhibitoren. Sie lösen eine starke Bremse in der Immunantwort von T-Zellen. Diese können dadurch dann wieder den Tumor bekämpfen. Tumorzellen haben häufig die Eigenschaft, dass sie diese Bremsen in T-Zellen aktivieren. Das heißt, T-Zellen in ihrer Umgebung werden inaktiviert. Diesen Effekt kann man aufheben durch diese Checkpoint-Inhibitoren.

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Diese Therapien werden also auch schon angewandt?

Ja. Diese beiden Ansätze haben in den letzten Jahren die Behandlung vieler Tumore wirklich verbessert. Der Fortschritt passiert derzeit in großer Geschwindigkeit, weil man ihren Einsatz jetzt bei immer neuen Erkrankungen testet von Blasenkrebs bis Darmkrebs, von Lungenkrebs bis Blutkrebs. Also bei ganz unterschiedlichen Krebsarten. Die Immuntherapien sind eine sehr hoffnungsvolle und innovative Behandlung geworden.

Welche weiteren Entwicklungen gibt es?

Wir verstehen immer besser, welche genetische Zusammenstellung ein Tumor hat. Aus diesem Wissen können wir neue Diagnostika entwickeln und zum Teil auch neue Medikamente. Je mehr Wissen wir über die Entstehung eines Tumors erlangen, desto besser können wir dann neue Antikörper herstellen oder neue, gezielte Medikamente, die die Tumor-Entwicklung bremsen.

Spielt dabei auch KI eine wichtige Rolle?

Das ist ein riesiges Forschungsgebiet. Mit Hilfe der KI versucht man zu verstehen, warum bestimmte Patienten auf eine Behandlung besonders gut reagieren und andere nicht. Oder warum Mutationen im Tumor entstehen. Durch Analyse von großen Datensätzen, auch mittels KI, erhält man neue Erkenntnisse. Ich halte das für die wichtigste Erkenntnisquelle der kommenden Jahrzehnte.

Die mRNA-Impfungen gegen Covid haben ja den Blick auf diese neue medizinische Technologie gelenkt, auf die auch Onkologen große Hoffnungen setzen. Was kann sie bewirken?

Biontech und einige andere Firmen wollten ja ursprünglich Medikamente gegen Krebs entwickeln basierend auf der mRNA-Technologie, weil man damit sehr effizient und gut Proteine im Körper herstellen lassen kann. Diese lösen dann eine Immunantwort aus.

Welche Hürden muss die mRNA-Technologie nehmen, um in der Krebstherapie eingesetzt werden zu können?

Anders als bei Viruserkrankungen, wo ja schon ein einziges Eiweiß, zum Beispiel das Spikeprotein von SARS-CoV2, genügt, um zumindest vorübergehend eine Immunantwort auszulösen, sind bei Tumoren unterschiedlichste Proteine gleichzeitig verändert. Sie sind meistens den körpereigenen Proteinen sehr ähnlich. Und sie werden im Prinzip vom Immunsystem toleriert. Es geht also darum, diese Toleranz zu durchbrechen. Das ist ganz anders als bei einem Virus, das neu in den Körper eindringt und dann als fremd erkannt wird. Die Proteine sind ja schon im Körper und werden akzeptiert, sonst könnte der Tumor gar nicht wachsen.

Diesen Zustand zu durchbrechen ist schwieriger. Man braucht eine starke Immunantwort gegen mehrere Moleküle. Diese Aufgabe ist wesentlich komplizierter und anspruchsvoller. Versuche, mit mRNA- oder Eiweiß-Impfungen eine Immunantwort bei einer Krebserkrankung zu induzieren, sind bislang meist gescheitert.

Wie schätzen Sie die Chancen der mRNA-Technologie in der Krebstherapie ein?

Ich glaube, wir brauchen noch ein paar Jahre Geduld. Klinische Studien mit dem Einsatz von mRNA-Technologien bei Krebs laufen zurzeit. Wir werden wohl noch die nächsten ein bis zwei Jahre abwarten müssen, um abschätzen zu können, ob diese Behandlungen auch bei Tumoren wirksam sind.

Aber durch die Erfolgsgeschichte der Entwicklung der Coronaimpfung wissen wir jetzt zumindest prinzipiell, dass man mit der mRNA-Technologie eine Immunantwort herstellen kann. Und wenn man dann die richtige Kombination von mRNA-Molekülen hat, also den richtigen Mix, kann das auch gelingen.

Es gibt ja prophylaktische Impfungen gegen Krebserkrankungen. Beispielsweise bei HPV. Wird so etwas in Zukunft häufiger möglich werden?

Wenn ein Tumor durch ein Virus ausgelöst wird – das ist nicht bei vielen Tumoren der Fall, sondern bei etwa 15 bis 20 Prozent – wird man dagegen impfen und schützen können. Immer wenn Viruserkrankungen ein Vorläufer sind für Krebserkrankungen, dann ist eine prophylaktische Impfung erfolgreich. Dies konnte bei HPV (menschliches Papillomvirus) gezeigt werden. Die therapeutische Impfung ist hingegen aus den genannten Gründen viel schwieriger, weil der Krebs sich im Körper schon ausgebreitet hat und das Immunsystem ihn toleriert.

Ist die Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren und CAR-T-Zellen weniger belastend als die klassischen Therapieformen?

Ja. Aber diese Therapien können auch Nebenwirkungen auslösen. Diese müssen wir Ärzte kennen und rechtzeitig gegensteuern – ein neues Gebiet. Ich habe allerdings gerade eben erst einen Patienten gesehen, der nichts von der Behandlung merkt. Auch das ist möglich.

Welche Rolle spielen OP und Bestrahlung jetzt und in Zukunft?

Die Operation, also die vollständige Entfernung des Tumors, ist immer noch eine der effizientesten Methoden zur Behandlung. Und zwar insbesondere dann, wenn der Tumor lokal begrenzt ist, also noch nicht gestreut hat. Dieses Verfahren wird bei soliden lokalen Tumoren immer eine große Rolle spielen. Es wird verfeinert werden durch weniger invasive Verfahren und verbesserte Techniken.

Auch bei der Strahlentherapie sehe ich nicht, dass sie eines Tages ganz ersetzt wird. Wir können immer präziser bestrahlen und manchmal gibt es Gebiete im Körper, in die man mit einer OP nicht so einfach gelangt, wie beispielsweise bestimmte Regionen der Lunge oder des Nervensystems. Da kann eine gezielte Bestrahlung manchmal extrem gut wirken. Ansonsten wird die Bestrahlung weiter eingesetzt werden als Baustein in den Kombinationstherapien, die wir immer häufiger machen. Krebsbehandlung ist ja heute nicht selten multimodal: Viele Verfahren werden zur gleichen Zeit eingesetzt um auch die Nebenwirkungen geringer zu halten. Da wird die Strahlentherapie einen hohen Stellenwert behalten.

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Wie steht es mit der Chemotherapie?

Die Chemotherapie ist das am wenigsten elegante Werkzeug. Ich bin ja medizinischer Onkologe und setze die Chemotherapie immer noch häufig ein. Aber eigentlich würden wir sie gerne ganz ersetzen, weil sie nicht sehr gezielt wirkt. Allerdings denke ich, dass das Verfahren in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren nicht komplett ersetzt werden wird und in der Lage ist, bestimmte Tumorerkrankungen zu heilen.

Das Ziel der Forschung ist dennoch, die Chemotherapie überflüssig zu machen durch gezieltere Therapien mit weniger Nebenwirkungen. Denn klassische Chemotherapie wirkt durch Zytostatika, also Zellgifte, und die sind nicht nur für den Tumor schädlich, sondern auch für viele menschliche Organe.

Wenn Sie auf die Entwicklung der Forschung schauen, sind Sie da optimistisch?

Ja unbedingt. Als ich vor 30 Jahren anfing zu arbeiten, konnten wir etwa ein Drittel der Patienten heilen. Heute heilen wir zwei Drittel. Die Heilungschancen bei Krebs haben sich also fast verdoppelt. Wir sehen auch immer mehr Patienten, die auch durch Einsatz der neuen Medikamente mit Krebs gut leben können. Dann wird Krebs zu einer chronischen Erkrankung, wie Diabetes oder Rheuma. Wir erleben wirklichen Fortschritt. Verbesserungen passieren dabei häufig in kleinen Schritten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Als ich vor 30 Jahren anfing, war der schwarze Hautkrebs, wenn er gestreut hatte, kaum behandelbar. Heute ist es so, dass nur noch selten jemand daran stirbt. Durch Immuntherapien des schwarzen Hautkrebs wurde die Behandlung komplett revolutioniert. Meine Vorhersage ist, dass durch weitere Forschung in der ganzen Welt weitere, große Fortschritte erzielt werden. Dann wird eine Krebserkrankung nach der anderen so langsam den Schrecken verlieren.

Wie ist Deutschland in der Krebsforschung aufgestellt vor allem bei der Entwicklung von Medikamenten?

Deutschland hatte mal vor Jahrzehnten den Ruf als Apotheke der Welt. Im Moment ist es so, dass die meisten Medikamente in den USA entwickelt werden und zunehmend auch in China, und wir sie dann reimportieren, obwohl manchmal die Entdeckungen der Grundlagenforschung, die dafür notwendig waren, in Deutschland und Europa gemacht wurden. Wir würden gerne – auch in der von der Bundesregierung initiierten Nationalen Dekade gegen Krebs – die Entwicklung von Medikamenten wieder nach Deutschland zurückholen. Das Beispiel von Biontech zeigt, dass wir sicher auch in Deutschland neue Medikamente entwickeln können.

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