Migrations-Hotspot Gran CanariaWerden die Kanaren zum Gefängnis Europas?

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Hafen von Gran Canaria

Flüchtlinge sitzen nach ihrer Rettung im Hafen von Arguineguin in Gran Canaria.

Die letzten 27 Lagerbewohner wurden aus dem „Hafen der Schande“ im Süden Gran Canarias per Krankenwagen evakuiert. Es waren jene Bootsmigranten, bei denen eine Coronainfektion festgestellt worden war. 

Sie wurden aus dem Hafen im Ort Arguineguín, der zur Touristengemeinde Mogán gehört, in ein abgeschottetes Quarantänequartier auf Gran Canaria gebracht wurden. 

„Lager der Schande“ sorgt für internationale Empörung

Zuvor hatten zahlreiche Busse jene knapp 500 irregulären Immigranten abtransportiert, die seit Tagen, in Einzelfällen sogar seit Wochen, auf der Hafenmole ausharrten. Damit erfüllte die spanische Regierung ihr Versprechen, dieses provisorische Elendscamp zu räumen. 

Das „Lager der Schande“ hatte für internationale Empörung gesorgt, weil dort zeitweise mehr als 2500 Menschen auf engstem Raum festgehalten worden waren. Die Bilder von Menschen, die auf der Hafenmole kaum Platz hatten, sich zu bewegen und wie Vieh hinter Zäunen eingesperrt waren, waren sicherlich nicht die beste Tourismuswerbung für die Urlaubsinseln.

Ein Teil der Migranten wurde nun in Hotels untergebracht, die auf der Ferieninsel wegen der coronabedingten Tourismuskrise leerstehen und von der Regierung angemietet wurden. Andere zogen in ein Zeltlager ein, das auf einem Militärgelände in der Nähe der Inselhauptstadt Las Palmas installiert wurde. In den kommenden Wochen sollen weitere ungenutzte Militärkasernen zu Aufnahmelagern umgebaut werden.

Der neue Brennpunkt Europas

Gran Canaria und die Nachbarinseln, die vor Westafrika im Atlantik liegen, waren in den letzten Monaten zum neuen Migrationsbrennpunkt Europas geworden. Im Oktober und November waren mehr als 14.000 Flüchtlinge und Migranten in Booten angekommen. An manchen Tagen musste die Küstenwacht innerhalb von 24 Stunden mehr als 1000 Menschen retten.

Seit Januar wurden auf den Kanaren insgesamt über 20.000 „Boatpeople“ registriert. Rund zwei Drittel der Ankommenden stammen nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes Unhcr aus Nordafrika, vor allem aus Marokko. Ein Drittel kommt aus den westafrikanischen Armutsländern Senegal, Mauretanien, Elfenbeinküste und Gambia. Sie alle hoffen auf ein besseres Leben in Europa. 

Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Immerhin gab es in den letzten Tagen eine leichte Entspannung in der Migrationskrise. Die Zahl der Bootsankünfte verringerte sich drastisch. Möglicherweise bremst momentan der politische Druck, den Spanien und die EU auf die Transitländer Marokko, Mauretanien und Senegal ausüben, die Bootsabfahrten von der afrikanischen Küste.

Oder ist dies nur die Ruhe vor dem Sturm? Die spanische Auslandsaufklärung warnt, dass Zehntausende von Migranten an der westafrikanischen Küste auf ihre Chance warten. 

Der kanarische Regierungschef Ángel Víctor Torres zeigte sich unterdessen erleichtert, dass das unwürdige Hafenlager im Süden Gran Canarias endlich geräumt worden ist. Seit Wochen hatte er Spaniens Regierung, welche für die Migrationspolitik zuständig ist, bedrängt, diese erbärmliche Situation zu beenden. 

Fremdenfeindlichkeit ist gewachsen

„Es ist unabdingbar, dass wir diese Personen, die ihr Leben auf der gefährlichen Atlantikroute riskieren, menschlich behandeln“, sagt Torres, ein Sozialist, der die Bevölkerung zu Solidarität und Toleranz aufrief. Für Fremdenfeindlichkeit, die in den letzten Monaten auf den Kanarischen Inseln gewachsen ist, sei kein Platz. Vor allem Spaniens rechtspopulistische Partei Vox macht Stimmung gegen die Ankommenden und spricht von „Migranteninvasion“. 

Allerdings teilt Torres den Ärger vieler Menschen auf den Inseln über die Blockadepolitik der spanischen Mitte-links-Regierung von Premier Pedro Sánchez. Denn Madrid kündigte an, dass es vorerst keine Überführung von irregulären Einwanderern aufs spanische Festland geben werde, um keinen „Sogeffekt“ zu schaffen. Herrschen auf den Kanaren also bald unhaltbare Zustände wie auf der griechischen Insel Lesbos?

Auf Lesbos hängen tausende Flüchtlinge und Migranten in einem Aufnahmelager fest. Vor allem, weil sich Athen weigert, die Menschen aufs griechische Festland zu bringen, solange nicht über Asylantrag oder Abschiebung entschieden ist.

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Auf Gran Canaria, Teneriffa und Fuerteventura, wo derzeit große Aufnahmelager für Tausende von Menschen gebaut werden, bahnt sich nun eine ähnliche Situation an. Für die Kanaren könnte dies zu einer harten Belastungsprobe werden. Inselpräsident Torres warnt, dass diese Strategie, die Migranten auf den Ferieninseln festzuhalten, nicht lange gutgehen werde. Denn dies werde weder von der Bevölkerung noch von den Migranten akzeptiert. Torres: „Wir dürfen nicht zum Gefängnis Europas werden.“ (ze)

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