Nach illegalem „Leak“Wie das Recht auf Abtreibung die USA spaltet

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Demo zu Abtreibungen

Teilnehmer einer Demo in Seattle 

Washington – Vor 16 Jahren, als Senator der Demokraten, hatte ein gewisser Joe Biden zum Thema Abtreibung eine deutliche Meinung. Er könne sich nicht damit anfreunden, dass jede Frau ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch haben solle, formulierte der praktizierende Katholik Biden damals. Doch heute, als Präsident der USA, sieht er diese Debatte ganz anders.

Nachdem durch eine historische Indiskretion jetzt bekannt wurde, dass der oberste Gerichtshof in Washington mit seiner konservativen Mehrheit in Kürze das seit 1973 geltende freizügige Abtreibungsrecht – besser als „Roe gegen Wade“-Urteil bekannt – außer Kraft setzen will, beklagte Biden: Nun müsse man fürchten, dass die Republikaner auch andere etablierte Grundrechte der Bürger streichen würden.

Eine Kritik an dem bisher beispiellosen Vorgang, den Entwurf eines im Gremium intern kursierenden Richterspruchs vorzeitig durch einen illegalen „Leak“ dem US-Magazin „Politico“ zuzuspielen, vermieden sowohl der Präsident wie auch seine Stellvertreterin Kamala Harris bei ihren Auftritten.

FBI sucht Informanten

Obwohl die internen Sicherheitskräfte des „Supreme Court“ nun mithilfe des FBI nach dem bisher anonymen Informanten fahnden, den Beobachter unter den Mitarbeitern eines den Demokraten nahestehenden Richters vermuten, gab es zu dem eindeutigen Rechtsbruch von Biden kein Wort.

Stattdessen verschickte die Parteiführung der Demokraten noch am gleichen Tag einen Spendenaufruf per Massen-E-Mail an Millionen Unterstützer, um von der Kontroverse auch finanziell zu profitieren. Denn bleibt die von Bidens Vorgänger Donald Trump installierte konservative Mehrheit am Obersten Gericht bei ihrer Absicht, „Roe gegen Wade“ nach einem halben Jahrhundert außer Kraft zu setzen, hätte dies massive reale Folgen für einen großen Teil der Frauen im Land.

Abtreibungsrecht

Eine Demonstration für das Abtreibungsrecht 

Die Hälfte der 50 US-Bundesstaaten würde in einem solchen Fall den Zugang zu Abtreibungskliniken entweder ganz verbieten oder strikt regulieren. 16 Bundesstaaten und der District of Columbia mit dem Regierungssitz Washington haben hingegen eigene Vorschriften, die das Recht auf Abtreibung explizit festschreiben. Diese Erlasse würden – kippt im Sommer „Roe gegen Wade“ – dann gegen den höchstrichterlichen Spruch verstoßen und vermutlich zum Gegenstand neuer Verfahren.

Dies alles zeigt, warum das ungewöhnliche „Leak“ so heftige öffentliche Reaktionen hervorgerufen hat. Seit Bekanntwerden der Nachricht am Montag gab es anhaltende Proteste vor dem Gerichtsgebäude von Befürwortern und Gegnern der geltenden Abtreibungsregelung. Die Debatte bietet nun den US-Demokraten die Gelegenheit, in der Zeit bis zu den Kongress-Zwischenwahlen im November – wo ihnen Umfragen zufolge der Verlust der Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus droht – die Basis zu mobilisieren, der derzeit Wahlmüdigkeit zugeschrieben wird.

Keine klaren Mehrheiten

Eine wirklich glasklare Mehrheit für das Recht auf Abtreibung gibt es Erhebungen zufolge in den USA nicht. Eine repräsentative Erhebung aus dem Dezember 2021 zeigte, dass sich 52 Prozent der Befragten dafür aussprechen, Schwangerschaftsunterbrechungen in den meisten oder allen Situationen weiter als rechtmäßig anzusehen. 45 Prozent wollen, dass das wegweisende „Roe gegen Wade“-Urteil nicht angetastet wird.

Doch dass die konservative Mehrheit am Obersten Gericht ihnen diesen Gefallen tut und damit aufgrund der nun sich abzeichnenden Protestwelle einknickt, ist eher unwahrscheinlich. Der von Richter Samuel Alito formulierte Urteilsentwurf, dem Berichten zufolge intern fünf der neun Richter zugestimmt haben, bezeichnet mit klaren und scharfen Worten die Aufhebung des derzeit geltenden Abtreibungsrechts als lange überfällige Aktion.

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