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Thrombose nach Astrazeneca-ImpfungWie eine 27-jährige Bonnerin ums Überleben kämpfte

Lesezeit 8 Minuten
Intensivstation Corona

Symbolbild

  • An der Uniklinik Bonn werden seltene Thrombose-Fälle nach Corona-Impfungen behandelt.
  • Eine der Patienten dort war Patricia Pauls aus Bonn. Ihr Leiden begann mit starken Kopfschmerzen, Übelkeit und einem Kribbeln in den Händen.
  • Was folgte, war eine wochenlange Behandlung auf der Intensivstation.

„Ich bin den Ärzten an der Uniklinik Bonn sehr dankbar. Sie haben mir das Leben gerettet.“ Diese Aussage von Patricia Pauls (Namen geändert) lassen erahnen, was die 27-jährige Zahnärztin aus Bonn in den vergangenen Wochen durchgemacht hat. Rund fünf Wochen lag sie im Klinikum Bonn wegen einer Hirnvenen-Thrombose, auch Sinusvenen-Thrombose genannt, die sie sich laut ihrer Ärzte aufgrund einer Astrazeneca-Impfung am 12. März dieses Jahres zugezogen hat, drei Tage bevor die Bundesregierung den etwa einwöchigen Impfstopp für Astrazeneca anordnete.

„Eine Woche nach meiner Erstimpfung mit Astrazeneca nahm ich an einer Fortbildung teil. Plötzlich traten starke Kopfschmerzen, Übelkeit und ein ungewohntes Kribbeln in den Händen auf. Ich hatte kognitive Ausfälle, konnte minutenlang keine „Sch“- und „Ch“-Laute mehr sagen. Ich machte mir große Sorgen“, erzählt Pauls die mutmaßlich ersten Anzeichen ihrer impfbedingten Thrombose-Erkrankung. Direkt nach ihrer Fortbildung hat sich die 27-Jährige in die Neurologie der Uniklinik Bonn untersuchen lassen. Das Ergebnis nach Blutuntersuchung und MRT: Die Ärzte stellten eine selten auftretende Sinusvenen-Thrombose fest. Pauls sollte das Krankenhaus für rund fünf Wochen nicht mehr verlassen.

Nur ein Fall pro 100.000 Impfungen

„Die Sinusvenen-Thrombose ist eine sehr seltene Erkrankung: Wir sprechen hier von einer Häufigkeit in Deutschland von weniger als 1:100 000“, erläutert Johannes Oldenburg, Leiter des Instituts für Hämatologie und Transfusionsmedizin an der Uniklinik Bonn. Die Patienten, die Thrombosen nach der Verabreichung des Corona-Impfstoffes von Astrazeneca bekommen, haben allerdings ein völlig anders Krankheitsbild als die Fälle, die wir bisher kannten. Es handele sich um die sogenannten TTS-Fälle (Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom ), die einen ganz eigenen Mechanismus haben. „Es tritt ein eklatanter Mangel an Blutplättchen auf, eine sogenannte Thrombozytopenie, den wir bisher bei Thrombose-Fällen nach Impfungen nicht kannten“, so Oldenburg. „Zudem stellten wir eine fulminante lebensgefährliche Thrombose-Bildung fest, die sehr wahrscheinlich innerhalb eines Zeitraums von vier bis etwa 15 Tagen durch die Astrazeneca-Impfung ausgelöst wurde.“ Frau Pauls habe teilweise zehnmal weniger Thrombozyten im Blut gehabt als der Normalwert. „Für uns Ärzte war das auch Neuland, was die Behandlung sehr erschwerte und auch im Umgang mit den Patienten eine große Belastung war“, beschreibt Oldenburg die damalige Situation.

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Dramatische Situation auf der Intensivstation

Patricia Pauls dachte nach eigener Aussage des Öfteren an Aufgeben. „Das Schlimmste waren die Rückfälle. Nach einer Woche hatten mich die Ärzte mit Blutverdünnungsmedikamenten scheinbar stabilisiert. Doch dann bildeten sich neue Thrombosen.“ Pauls kam für zehn Tage auf die Intensivstation, wo die Ärzte der Uniklinik darum kämpften, die lebensgefährlichen Thrombosen-Bildungen zu durchbrechen. „Weil die Patientin in Lebensgefahr war, mussten wir die Dosis der Blut-verdünnenden Medikamente immer weiter steigern, teilweise bis auf das Fünffache der sonst üblichen Menge. Das waren schon dramatische Situationen“, blickt Johannes Oldenburg zurück. Patricia Pauls erinnert sich nicht mehr an alles auf der Intensivstation. Zwei, drei Tage seien wie weg, sagt sie. „Ich sehr starke Lähmungserscheinungen halbseitig und an den Händen. Meine große Angst war, dass davon etwas zurückbleibt und ich meinen Beruf als Zahnärztin nicht mehr ausüben kann.“ Zudem sei sie wegen des Lockdowns damals im März und April völlig isoliert gewesen. Kein Besuch war möglich, alles ging nur über das Handy.

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Nach zehn Tagen auf der Intensivstation in der Uniklinik Bonn wurde die Blutwerte endlich besser und Pauls wurde auf die Schlaganfallstation verlegt. „Ich war immer noch ans Bett gefesselt, hatte acht Kilo abgenommen und musste mich körperlich erst einmal wieder erholen. Am 26. April wurde Patricia Pauls aus der Klinik entlassen. Es folgte eine etwa dreiwöchige Reha-Phase. „Mit Kletterübungen, Nordic Walking und Schwimmen wurde ich wieder hoch gepäppelt. Dazu hatte ich eine psychologische Betreuung und eine begleitende Kunst-Therapie, um meine Feinmotorik zu schulen“, beschreibt Pauls die Zeit unmittelbar nach dem Klinik-Aufenthalt.

„Durch die Behandlung unserer insgesamt fünf Thrombose-Patienten in Bonn haben wir unheimlich viel gelernt und verbessern dadurch auch unsere Behandlungen stetig“, gibt sich Institutsleiter Johannes Oldenburg optimistisch. Man sei in ständigem Austausch mit dem Greifswalder Forschungsinstitut für Immunologie und Transfusionsmedizin, die den Krankheitsverlauf der TTS-Fälle in Verbindung mit den Astrazeneca-Impfungen erstmalig beschrieben habe, so Oldenburg weiter. „Wir kennen zwar noch nicht die genauen Zusammenhänge. Aber in dem Astrazeneca-Impfstoff wurden weit über der Norm viele Eiweißverunreinigungen festgestellt, die wahrscheinlich die Thrombose-Bildungen bei den betroffenen Impf-Patienten mit auslösen.“ Das könnte auch erklären, warum es beim „Johnson&Johnson“-Impfstoff zu weniger TTS-Fällen komme, da hier bisher deutlich weniger Verunreinigungen festgestellt wurden, gibt Oldenburg den aktuellen Kenntnisstand der Greifswalder Forscher wider.

Bei nochmaliger Impfung im großen Zwiespalt

Für Patricia Pauls hat sich das Leben wieder normalisiert. Sie ist heute nach eigener Aussage beschwerdefrei. „Über ein Wiedereingliederungsmodell werde ich auch bald angefangen, zunächst für ein paar Stunden am Tag wieder in meinem Beruf als Zahnärztin zu arbeiten.“ Organisiert und finanziell unterstützt werde das von der Krankenkasse, in Kooperation mit dem Arbeitgeber und den Ärzten. Darüber sei sie sehr glücklich, blickt die 27-Jährige wieder optimistisch in die Zukunft.

Ob sie sich noch mal gegen Covid-19 impfen lassen würde, wisse sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau. Zunächst einmal muss sie krankheitsbedingt sowieso ein halbes Jahr warten. Astrazeneca komme aber wohl nicht mehr in Frage, ist sich Pauls sicher. Bei dem Biontech-Impfstoff sehe es aber anders aus. Trotz ihrer Bedenken und Sorgen würde sie es wohl tun. „Als Zahnärztin habe ich gegenüber meinen Patienten eine Verantwortung – und auch gegenüber meinen Eltern. Aber wenn ich diesen Beruf nicht hätte, wüsste ich nicht, ob ich es noch mal machen würde“, sagt sie.

Was bei Komplikationen zu beachten ist

Das Landeszentrum Gesundheit (LZG) zählte zwischen dem 27. Dezember und 14. Juni insgesamt 188 Verdachtsmeldungen von Impfkomplikation im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Impfung. Bei 65 Verdachtsfällen wurde eine stationäre Behandlung im Krankenhaus erforderlich. Dem LZG wurden zwischen Ende Dezember und Mitte Mai insgesamt 37 Todesfälle übermittelt, „die in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung gegen COVID-19 standen“.

Diese Zahlen gehen aus einer Antwort des NRW-Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage des fraktionslosen Landtagsabgeordneten Frank Neppe hervor. Zum Vergleich: Bisher gab es in NRW rund 8,2 Millionen Erst- und fast 3,2 Millionen Zweitimpfungen. Der Antwort der Landesregierung zufolge wurden dem LZG zwischen Ende Dezember und Mitte Mai insgesamt 31 Todesfälle übermittelt, „die in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung gegen COVID-19 standen“. Dabei sei aber unklar, ob die Impfungen tatsächlich ursächlich für die Todesfälle sind. Für solche Bewertungen sei das Ehrlich-Institut zuständig.

Thrombose-Patienten mit dem Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms (TTS) nach Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff Vaxzevria von Astrazeneca wurden dem Paul-Ehrlich-Institut deutschlandweit bis zum 10. Juni in 114 Fällen gemeldet. 22 Personen sind an den Folgen des TTS – sprich, einer Sinusvenen- oder anderen Thrombosen – verstorben: 14 Frauen und acht Männer. Auch bei der Gesamtzahl der Fälle waren mehrheitlich Frauen betroffen (74). In 48 Fällen lag das Alter zwischen 20 bis 59 Jahren, die weiteren Patientinnen waren 60 Jahre und älter. Bei einem Fall gab es keine Information zum Alter. Nur bei knapp einem Drittel der Fälle (40) waren Männer betroffen. Bei 23 Patienten lag das Alter zwischen 20 und 59 Jahren, die weiteren Personen waren 60 Jahre und älter. In zwei Fällen gab es keine Altersangaben.

11 767 Menschen haben sich in dem genannten Zeitraum laut Landesregierung trotz Impfung mit dem Coronavirus infiziert. Es sei aber nicht in allen Fällen klar, ob die Geimpften schon einen vollständigen Impfschutz hatten. Zur Schwere der Erkrankungen enthält die Antwort keine Informationen.

An der Uniklinik Bonn betreuen Professor Johannes Oldenburg und sein Team aktuell fünf Patienten, die an einer Sinusvenen- oder anderen Thrombose nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin „Vaxzevria“ leiden. Wichtig bei Fällen, in denen schwere Impffolgen auftreten, ist die rechtzeitige medizinische Behandlung. Der leitende Arzt des Bonner Instituts nennt einige wichtige Empfehlungen für die Geimpften:

Nach einer Impfung kann sich in der Regel nach acht bis zwölf Stunden eine Impfreaktion einstellen, die bei etwa der Hälfte der Geimpften auftritt. Diese ist meist stärker nach der zweiten Impfung als nach der ersten. Diese normale Impfreaktion sollte dann nach drei Tagen wieder verschwinden.

Problematisch wird es, wenn nach dem vierten Tag bis zu vier Wochen nach der Impfung wieder Beschwerden auftreten. Das hat dann nichts mehr mit einer typischen Impfreaktion zu tun. Sondern das sind Nebenwirkungen, bei denen man den Hausarzt aufsuchen sollte. Insbesondere bei Astrazeneca muss man dann mit Hilfe des Arztes den Fall eines lebensgefährlichen, impfbedingten Mangels an Blutplättchen, verbunden mit einer starken Thrombosebildung (TTS) ausschließen – sprich, die Thrombozyten und die Gerinnungsparameter messen lassen. Wenn diese dann im normalen Bereich sind, hat man in jedem Fall schon mal die Gewissheit, dass es sich um kein TTS-Krankheitsbild handelt. Wenn es aber Anzeichen für eine TTS gibt, muss man sofort mit den erforderlichen Behandlungen beginnen, unabhängig davon, ob bereits Thrombose-Symptome einer TTS auftreten oder nicht.

Die Beschwerden können dabei sehr unspezifisch sein, weil die Thrombosen an unterschiedlichen Stellen auftreten. Beispiele sind Schwindel, starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, Übelkeit/Erbrechen, Luftnot, Schmerz in der Brust, Bauch oder Extremitäten. (mk/dhi) 

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