„Die Zeit wird immer wertvoller“Tom Jones über sein neues Album und das Älterwerden

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Tom Jones in seiner Wahlheimat London.

Tom Jones in seiner Wahlheimat London.

  • Seit den Sechzigerjahren ist Tom Jones ein unverwüstlicher Garant für Hits.
  • Mit mittlerweile 80 Jahren veröffentlicht er sein mehr als würdiges Spätwerk „Surrounded By Time“.
  • Steffen Rüth sprach per Videoschaltung mit dem Waliser.

Mr. Jones, geht es Ihnen gut? Ich kann mich nicht beklagen. Außer über das Wetter. London hat einen richtig fiesen und kalten Winter hinter sich. Ich habe ja viele Jahre lang in Los Angeles gelebt, war aber immer unterwegs. Wenn ich nach Hause kam, war das immer wie ein Urlaub für mich.

Vermissen Sie das Reisen und die Bühne sehr?

Yeah, das ist Mist für mich mit diesem Virus. Ich lebe ganz schön isoliert in meiner Wohnung in London. Das Haus verlasse ich nur, wenn ich zu den Dreharbeiten von „The Voice UK“ fahre, wo ich in der Jury sitze.

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Sind Sie denn schon geimpft?

Ja klar, schon lange. Mit den Impfungen sind wir Briten wirklich auf Zack, das muss man mal sagen. Ich bin durch damit. Meine erste Impfung habe ich kurz vor Weihnachten bekommen, die zweite am 6. Januar. Das ist ein wundervolles Gefühl, wenn man weiß, man stirbt jetzt nicht mehr daran.

Ihr Album hat den Titel „Surrounded By Time“, also „Umgeben von der Zeit“. Nimmt man die Zeit anders wahr, wenn man älter wird?

Oh ja. Die Zeit wird werthaltiger und wertvoller, als sie es vielleicht früher einmal war. Kein Tag ist mehr selbstverständlich. Das Stück „I’m Growing Old“ vom neuen Album bekam ich angeboten, als ich 31 war. Ich fand die Nummer damals schon super und versprach dem Songschreiber, sie zu behalten und eines Tages aufzunehmen. Jetzt bin ich reif für „I’m Growing Old“.

Das Album „Surrounded by Time“

„It“s Not Unusual“, „Delilah“, „Kiss“ oder „Sex Bomb“ – die großen Hits des seit 1963 aktiven Ausnahmesängers aus Wales sind so legendär wie stilistisch vielfältig.

Sein neues Album ist eine echte Wundertüte. Die Spannbreite reicht von der bissig-satirischen Spoken-Word-Nummer „Talking Reality Television Blues“ (im Original von US-Folksänger Todd Snider), über die von Michael KIwanuka und Paul Butler komponierte Gitarrensoulnummer „I Won“t Lie“ bis zu den rührend einfühlsamen Lebensabendliedern „I“m Growing Old“ und „Lazarus Man“. Und Sir Tom singt das alles mit der über die Jahre dunkler gewordenen Stimme eines Mannes, der alles gesehen hat. (sr)

Ab 23.April, Universal.

Haben Sie Angst, dass Ihnen die Zeit davonläuft?

An schlechten Tagen habe ich das. Wegen Corona konnte ich ein Jahr nicht auftreten und werde, selbst wenn alles optimal läuft, nicht vor Ende dieses Jahres wieder auf Tournee sein können. Das sind zwei Jahre. Für einen 80-Jährigen ist das eine Ewigkeit.

Sie gingen aber auch locker noch für Mitte, Ende 60 durch.

Naja, ich bin schon deutlich langsamer als früher. Ich renne nicht mehr durch die Gegend, auch auf der Bühne nicht. Aber ich habe einen Fitnesstrainer, den ich regelmäßig sehe. Der Kerl nimmt mich so richtig hart ran: Laufen, Fahrrad fahren und Boxen – er lässt sich immer etwas Neues einfallen.

Sie boxen?

Ja! Boxen ist sogar mein Lieblingssport. Seit der Pandemie treffen wir uns allerdings nicht mehr im Gym. Er hat mir einen Hometrainer besorgt, der steht im Schlafzimmer, und puh, er steht da nicht nur, sondern er wird auch benutzt. Zusätzlich mache ich jeden Tag Klappmesser und Liegestützen.

Nicht nur Ihr Körper, auch Ihre Stimme ist prächtig in Schuss, oder?

Gott sei es gedankt. Mein Vibrato ist so stark wie eh und je. Meine Stimme ist immer noch bärenstark und sehr lebendig. Die Pause konnte meinen gesanglichen Fähigkeiten zumindest bisher nichts anhaben.

Hat sich Ihre Stimme mit den Jahrzehnten überhaupt verändert?

Sie ist tiefer geworden. Ich übe natürlich das Singen jeden Tag bei mir daheim. Ein Leben ohne Singen kann ich mir nicht vorstellen. Tina Turner sagte vor einigen Jahren in einer Talkshow, dass sie nicht einmal mehr zuhause singen würde. Das kann ich nicht verstehen. Mensch, Tina. Meine Frau hat immer genau gewusst, wann es wieder Zeit für mich ist, auf Tournee zu gehen. Je länger ich am Stück zu Hause war, desto mehr habe ich gesungen.

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Fand Ihre Frau das gut?

Es war ihr lieber, wenn ich den Showman draußen ließ (lacht). Wenn ich einen neuen Song lernte, musste ich ihn natürlich unzählige Male vor mich hinsingen. Sie meinte dann immer: „Tommy, kannst du das Mistding immer noch nicht auswendig?“

Sie waren 57 Jahre lang, bis zu ihrem Tod 2016, mit Ihrer Frau Linda verheiratet.

Bei uns war es das Gegenteil von Samson und Delilah. Wir haben uns gegenseitig Kraft gespendet. Als meine Frau im Sterben lag, hat sie mich praktisch dazu genötigt, weiter zu singen. Ich war erst zögerlich, aber sie sagte, ich dürfe nicht mit ihr zusammen untergehen. Ihre große Angst war es, dass ich an ihrem Sterben ebenfalls zu Grunde ging. Sie flehte mich an, doch an unsere schönen Zeiten zurückzudenken. Aber als ich sie verlor, schien es mir, als verlöre ich mit ihr auch meine eigene Stärke, meinen Lebensmut. Ich sah sie dann immer vor mir, wie sie mich anlächelte und „Du musst stark sein, Tommy“ zu mir sagte. So gut es geht, halte ich mich an ihre Worte.

Wie ist das Leben als Witwer?

Einsam. Und es wird nicht besser durch die Pandemie. Unser Sohn schaut ein bisschen nach mir.

Sie sind seit Jahren Jurymitglied bei „The Voice UK“. Macht Ihnen die Arbeit mit den jungen Leuten Spaß?

Ich liebe es. Eine Menge Kids sprechen mich auf der Straße an und sagen, dass sie meine Ratschläge toll fänden. Letztens erst kam ein kleines, schüchternes Mädchen und meinte: „Ich mag The Voice, aber dich liebe ich am allermeisten“. Ich denke, ich komme in der Show ehrlich und sympathisch rüber, und versuche ernsthaft, aber ohne ihnen falsche Hoffnungen zu machen, diesen jungen Sängerinnen und Sängern zu helfen.

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