„Falstaff“-Premiere in KölnSaufen bis der König kommt – ein Abend für alle Sinne

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Köln – Man sieht sie schwitzen und spucken, und das Bier, das sie sich reichlich in den Kopf schütten, spritzt nicht nur auf den Boden – aber als Zuschauer erlebt man Jan Bosses „Falstaff“ im Depot 1 des Schauspiels nicht aus der sicheren Distanz der Tribüne. Nachdem man sich wie im Bierzelt einen Platz gesucht hat, das Kölsch vor sich, das einem beim Hereinkommen in die Hand gedrückt wurde, sitzt man mitten in der Action. Und mit Verve und einer überbordenden Spielfreude tobt das Ensemble durch das Publikum, agiert, chargiert und trägt seine Scharmützel in greifbarer Nähe aus. Und es ist eine wahren Lust, ihnen bei diesem Treiben zuzuschauen – in so geringem Abstand kann man Bruno Cathomas und Co. ansonsten nicht bei der Arbeit erleben. Fast möchte man sagen, dass es egal ist, was sie da spielen. Aber auch nur fast.

Vom saufenden Helden und seiner Clique

Jan Bosse hat zusammen mit Gabrielle Bußacker die beiden Shakespeare-Stücke „Heinrich IV – Teil 1 und 2“ zu diesem „Falstaff“-Abend verdichtet und erzählt die Geschichte des saufenden und raufenden Titelhelden (Bruno Cathomas) und seiner Clique (Justus Meier, Kristin Steffen), unter die sich auch Kronprinz Hal (Katharina Schmalenberg) gemischt hat – ein junger Mann, der so gut es geht versucht, sich vor seinen Pflichten als Thronfolger zu drücken.

Auf einen Blick

Das Stück: Der Rüpel Falstaff wird aufgerieben in den Ränken um den Königsthron.

Die Regie: Jan Bosse setzt auf das Wechselbad zwischen Überwältigung und Ernüchterung.

Das Ensemble: Sensationell – nicht mehr und nicht weniger! (HLL)

Aber während diese wilde Truppe in der Kneipe der Wirtin Quickly (Peter Knaack) die alkoholgeschwängerte Nacht zum übermütigen Tag macht und dabei krachende Rocksongs (Musik: Arno Kraehmann und Caroline Bigge, die auch selber mitspielt) zum Besten gibt, formieren sich die einstigen Unterstützer (Stefko Hanushevsky, Yuri Englert, Justus Meier) des Königs Heinrich IV. (Jörg Ratjen wie Ozzy Osbourne im Abendkleid) zu einer Allianz, die einen der ihren auf dem Thron sehen will.

Doch Heinrich kann seinen Sohn zur Staatsräson bringen, es geht in die Schlacht – und mit der Niederlage der Rebellen werden die Zuschauer in die Pause entlassen.

Die erste Hälfte ist krawallig, die zweite eher trocken

Doch in der zweiten Hälfte herrscht Katerstimmung allerorten: im Publikum, das nun auf den herkömmlichen Sitzen Platz nehmen muss, von denen aus die Bühne noch einmal weiter entfernt scheint. Und erst recht im Stück: Statt den Sieg zu feiern, ringt der König mit dem Tod. Und nach dessen unvermeidlichem Ende mausert sich der zuvor lebenslustige Hal zu einem moralinsaurer Heinrich V. – der als erste Amtshandlung seinen Freund Falstaff, Kumpanen inklusive, in die Verbannung schickt. „Berauscht Euch!“ ruft Falstaff den Anwesenden als letzten Ratschlag auf seinem Weg in die ewige Verdammnis zu. Genießt so lange es dauert, scheint er sagen zu wollen.

So wie Jan Bosse das Publikum in der krawalligen ersten Halbzeit aufgepeitscht hat, spitzt er die Geschichte in der ernüchternden, fast schon trockenen zweiten Hälfte auf dieses dramatische Ende zu. Wer will, mag da Parallelen zu Corona ziehen – allein das Konzept entstand Jahre vorher (die schon für September 2020 angesetzte Premiere musste pandemiebedingt verschoben werden).

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Auch wenn hier bisweilen über Gender-Grenzen hinweg agiert wird, so ist das keinem Politikum, sondern eher dem Spaß am Verkleiden geschuldet. Während Pınar Karabulut ganz bewusst Yvon Jansen als Richard III. besetzte, denkt man an diesem Abend keinen Moment lang darüber nach, warum Peter Knaacks Quickly oder Yuri Englerts Worcester trans oder nicht-binär sein könnten. Oder warum Katharina Schmalenberg den Prince of Wales gibt. Das ganze Ensemble spielt so mit- und hinreißend, dass man zwischenzeitlich das Nachdenken vergisst.

Die Empfehlung also lautet: hingehen – und sich dann auch an einen Tisch direkt in der Mitte setzen. Da kann es einem zwar passieren, dass Bruno Cathomas dich für ein kleines Tänzchen von deinem Platz hochzerrt. Aber keine Angst, er führt gut.

195 Minuten (inkl. Pause). Wieder am 21., 22. und 30.6. (nur Restkarten) sowie am 1.7. und 2. und 3.9., Karten-Tel.: 0221−221 28400

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