„Hits & Hymnen“ in BonnHaus der Geschichte zeigt den Soundtrack Deutschlands

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Haus der Geschichte Hits und Hymnen 2

Lauschen und lernen: Eine Besucherin in der faszinierenden Bonner Ausstellung „Hits & Hymnen“.

Bonn – „Wir bitten Sie um Verständnis, wenn sich der Beginn der Veranstaltung etwas verzögert“, sagt der NDR-Moderator geduldig. Sprechchöre, Pfiffe, Tumulte. Die Uraufführung von Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ steht auf der Kippe. Während der Radiosprecher ruhig um Geduld bittet, sagt jemand auf der Bühne der mit 1060 Plätzen ausverkauften Hamburger Ernst-Merck-Halle: „Ich bitte jetzt uns das Konzert machen zu lassen.“ „Die rote Fahne runter, die rote Fahne runter“, ruft ein Sänger, mehrere Kollegen treten schluchzend ab, wie der „Spiegel“ später berichtet. Pfiffe, Raunen, Tumult.

Nach rund 20 Minuten bricht das Funkhaus die Liveübertragung ab. Man entscheidet, einen Mitschnitt der Generalprobe zu senden. Komponist Henze verlässt die Ernst-Merck-Halle durch den Hintereingang.

Der Sympathisant der Außerparlamentarischen Opposition (APO) hat sein Oratorium dem Guerilla-Führer Che Guevara gewidmet. Jemand hat ein Porträt von Che an das Dirigentenpult gepinnt, NDR-Programmdirektor Franz Reinholz reißt es runter. Die Polizei schreitet ein. Es ist der 9. Oktober 1968.

 „Macht kaputt, was euch kaputt macht“

1968 nimmt die Protestkultur in West- und Ostdeutschland mit E-Gitarre, Klampfe und rauen Songs Anlauf, um einige Jahre später mit der Hausbesetzerszene und RAF-Sympathisanten „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und Freiheit für Bommi Baumann zu fordern oder sich als Punk-Szene mir der Polizei in West und Ost anzulegen . 1968 liegt die Verwüstung der Berliner Waldbühne nach einem Konzert der Rolling Stones drei Jahre zurück – im Westen beruhigen die Gemüter, im SED-Staat, der zuvor die Beatmusik noch gefördert hatte, wird sie nun verboten. Staatsratsvorsitzender Erich Honecker: „Der schädliche Einfluss solcher Musik auf das Denken und Handeln von Jugendlichen wurde grob unterschätzt.“ Die DDR setzt auf linientreue Liedermacher wie Bettina Wegner. Aber auch auf die ist nicht Verlass. Als Wegner 1968 Partei für den Prager Frühling ergreif, wird sie wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu einer Freiheitsstrafe verdonnert.

Und wie heißt der Hit des Jahres der Revolten? „Mama“ von Heintje. Eine der vielen Überraschungen, in der Ausstellung „Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschichte“, mit der das Bonner Haus der Geschichte am Mittwoch wiedereröffnet wird. Im dritten Anlauf, nun aber in voller Pracht, eine großartige Schau über die Macht der Musik und die Klänge der Macht.

Die Pudhys und Nena

Schon im Entree mischt sich der Sound. Man hört „Mama“, „99 Luftballons“ und „I Can’t Get No Satisfaction“, „Bella Ciao“ und den „Sonderzug nach Pankow“, die inoffizielle Hymne von 1948 „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ von Karl Berbuer (erst seit 1952 hat die Bundesrepublik eine offizielle Nationalhymne) und die WM-Hymne von 2006: „’4, „’74, ’00, 2006“ der Sportfreunde Stiller. Ein Musikkarussell empfängt den Besucher mit einem Hit pro Jahrzehnt inklusive Dokumentation und Interviews. Die Puhdys sind ebenso dabei wie Helene Fischer, „Bravo“-Covergirl Nena, die Scorpions mit der Wende-Hymne „Winds of Change“.

Die Ausstellung

Mit 500 Objekten und 150 Musikstücken wird das  schier uferlose Thema dokumentiert. Die Schau ist ab Mittwoch geöffnet und läuft bis zum 10. Oktober. Der Besuch ist nur nach Anmeldung für  bestimmte Zeitzonen möglich. Anmeldung unter 0228 9165353. Eintritt  frei. (t.k.)

In vier Kapiteln erschließt die Ausstellung das schier uferlose Thema. Da ist etwa die Musik als Vehikel für den Protest. Und am Anfang sieht man die Halbstarken – mit Moped statt Harley, Kofferradio statt Ghettoblaster. Auf den Ohren Chuck Berry, die Beatles und Stones. 1967 reist die Bonner Schülerin Annette Quadvlieg nach Essen zum Beatleskonzert, hält mit Schönschreibschrift das Erlebte fest. Ein rührendes Beispiel der Beatlemania. Im Osten schneidet ein Fan Bob Dylans Konzert auf der Treptower Wiese mit, lässt die Aufnahme im Westen pressen und bringt sie mit eigenem Cover in der DDR unter die Leute.

Höhepunkt der Schau ist ein Konzertraum, in dem vier Grenzen überschreitende Musikevents effektvoll gefeiert werden: Bruce Springsteens Konzert 1988 in Ostberlin, ein Auftritt des 1976 aus der DDR ausgebürgerten Liedermachers Wolf Biermann und das Phänomen Udo Lindenberg inklusive Sonderzug nach Pankow im Modell, Bühnenoutfits und die E-Gitarre, die er 1987 Honecker übergibt.

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Dazu Gänsehaut mit einigen Takten aus Beethovens Siebter: Die wurde am 12. November 1989 beim Einheitsfest unter Daniel Barenboim in der Berliner Philharmonie gegeben. DDR-Bürger hatten freien Eintritt.

Vor dem Abpfiff der Schau gibt es Fußball-Hymnen. Man verlässt die Ausstellung summend und bester Laune.

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