Kölner KünstlerWarum Sigmar Polke noch immer große Bedeutung hat

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Werk von Polke

Das Werk "Tiger" von Gerhard Richter

Köln – Am Samstag würde Sigmar Polke 80 Jahre alt. Und viele Kunstfreunde gäben einiges dafür, um zu sehen, wo er jetzt als Maler, Fotokünstler, Alchemist stünde. Wäre er nicht 2010 im Alter von 69 Jahren in Köln gestorben. Bis zuletzt war sein Werk ungeheuer vital, sprühend, auch die hinreißende Retrospektive „Alibis“, die 2015 nach Stationen im MoMA und in der Tate Modern im Kölner Museum Ludwig zu sehen war, zeigte, dass da kein Zeichen von ermattetem Alterswerk zu spüren war.

Er blieb so, wie er begonnen hatte: Ein Revolutionär, immer für Überraschungen gut. Daher der Wunsch, ihn als 80-Jährigen zu sehen. Er hat sich von „höheren Wesen“ befehlen lassen: „rechte Ecke schwarz malen!“ oder nicht mehr Blumensträuße, sondern Flamingos zu malen. Damit sich selbst und das Künstlersein infrage gestellt.

Witzig und subversiv holte er mit seinem „Kapitalistischen Realismus“ die Kunst vom Sockel. Ein Chefironker der Szene, ein Bilderskeptiker und Chronist des deutschen Alltags, Maler durch und durch, aber auch am Fotokopierer ein Ass. Geistig-künstlerisch immer unterwegs, experimentierend, vielseitig, was sein Werk noch heute ungeheuer aktuell wirken lässt. Äußerst produktiv und dabei scheu und auf Distanz zum Kunstbetrieb.

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Unter dem Motto „Leicht kann jeder“

Im „Polke-Salon“ baten Stifterin Anna Polke und der Kunsthistoriker Christian Spies (Universität zu Köln) am 4. Februar zum ersten „Polke-Salon“. Gemeinsam mit dem Galeristen, Grafiker und Weggefährten Mike Karstens sollte unter dem Titel „Leicht kann jeder“ über die Entstehung von Grafik und Malerei in Polkes Werk gesprochen werden. Die Aufzeichnung soll demnächst auf der Homepage anna-polke-stiftung.com veröffentlicht werde. Dort fondet sich auch ein Flyer mit dem Programm für 2021. Weitere Gesprächsabende im April, Juni und September sind geplant: unter anderem mit Brice Curiger, Michael Oppitz und Alex Sainsbury. Wi

Im „Olymp der Kunst“ des beliebten Rankings „Kunstkompass“ steht Polke auf Platz drei der Weltkunst, hinter Andy Warhol und Joseph Beuys. Aber wo steht sein Werk heute? Verglichen mit dem Rummel, der um Beuys im Jubeljahr 100 Jahre Beuys getrieben wird, geht es für Polke eher still zu. Keine großen Ausstellungen direkt am Geburtstag, sieht am einmal von einer Foto-Schau im Kröller-Müller-Museum Otterlo, ab, das abe r momentan wegen Corona geschlossen ist. Keine Symposien oder Veranstaltungsreihen an diesem Wochenende. Rühmliche Ausnahme: Der neu eingerichtete „Polke Salon“, der vorerst online den Polke-Kosmos durchpflügt und mit „Leicht kann jeder“ startet. Der Salon ist ein Format der 2018 gegründeten Anna Polke Stiftung in Köln.

Die 56-jährige Schauspielerin, Fotografin und Filmemacherin Anna Polke, Tochter des Künstlers, hat die Stiftung gegründet. In dem Jahr, in dem ein anderes großes Polke-Projekt auseinanderbrach: Die unter dem Dach des Sigmar-Polke-Estate versammelte und von dem Galeristen David Zwirner vertretene Erbengemeinschaft zerstritt sich, wodurch die großen Projekte, ein Polke-Portal und ein Werkverzeichnis, ins Stocken gerieten. Das Portal gibt es noch im Netz, es wird aber seit Jahren nicht mehr aktualisiert.

Der Kunsthistoriker Stefan Gronert hält ein Werkverzeichnis, das sicherlich wichtig wäre, für illusori sch. Ein solches Verzeichnis würde „der Struktur von Polkes Werk und Leben“ widersprechen, sagte er dieser Zeitung und verwies auch auf „die mitunter chaotische Produktionsweise des Künstlers“. Polke hat Werke verschenkt und ohne Quittung aus dem Atelier verkauft, führte kein Buch. Polke habe aus Prinzip auch nie Werknummern vergeben „und den bürokratischen Gestus oder das quantifizierende Denken negiert“. Ganz anders als sein akkurat dokumentierender Kollege Gerhard Richter, dessen Werk schon zu Lebzeiten in mehreren Bänden veröffentlicht wurde.

Gronert, der früher beim Kunstmuseum Bonn arbeitete und jetzt für Fotografie und Medienkunst im Sprengel Museum Hannover zuständig ist, hat in der „Kunstchronik“ einen Aufsatz zur Polke-Forschung verfasst. Tenor: „Es gibt ein großes Interesse am Frühwerk, weniger am Spätwerk, da ist noch viel zu machen.“ Ausstellungen wie „Sigmar Polke. Die drei Lügen der Maler ei“ (Bundeskunsthalle, Bonn), „Alibis“ und „Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinen“ (Hamburger Kunsthalle) haben jeweils wie Katalysatoren für die Forschung gewirkt.

Gerade die angelsächsische Forschung habe sich, so Gronert, für Polkes Frühwerk interessiert, das als spezifisch deutsche Variante der Pop Art interpretiert werde. Die Hamburger Ausstellung von 2009 löste dann einen Recherche-Schub aus, der die Kunst der 1970er und das Film-Oeuvre Polkes breit würdigte. Anregend sei auch ein zweitägiges Kölner Symposium im Rahmen von „Alibis“ gewesen. Gronert hat als Juror für das Stipendium der Anna Polke Stiftung auch die aktuelle Forschung Blick: „Polke ist nach wie vor für junge Forscher ein interessantes Thema“. Bei der ersten Auslobung des Stipendiums 2019 bewarben sich Wissenschaftler aus Deutschland, den USA, Österreich und der Schweiz.

Was fehlt ist, so Gronert, eine Polke-Biografie. Lücken sieht er im Spätwerk. So ist der Einsatz von Kopierern und optischen Instrumenten bei Polke „nur in ersten Ansätzen“ erforscht. Für den gemeinen Ausstellungsflaneur bleibt am Horizont des Polkejahres immerhin eine „Produktive Bildstörung“. So heißt die Ausstellung, Start 13. November, die die Kunsthalle Düsseldorf mit der Anna Polke Stiftung organisiert und die Werke von Polke und Avery Singer konfrontiert. Vom 25. bis 27. November soll ein Festival in der Kunstakademie Düsseldorf die Schau mit wissenschaftlichen und künstlerischen Beiträgen begleiten. Na also.

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