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Abend im GürzenichMartin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre auf Lesereise in Köln

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Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter 

Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter 

Köln – Soll man jetzt enttäuscht sein? Oder soll man sich freuen? Enttäuscht, weil nicht genau das geliefert wurde, was in der Produktbeschreibung stand. Oder erfreut darüber, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Für den gleichen Preis gab es die doppelte Menge: vier Personen statt zwei. Dabei war ein ungewöhnliches Duo im Doppelinterview im Gürzenich angekündigt worden: Ende des letzten Jahres haben Benjamin von Stuckrad-Barre (46) und Martin Suter (73) gemeinsam „Alle sind so ernst geworden“ veröffentlicht. Ein Buch mit Gesprächen über Themen wie Gott, Geldscheine und Glitzer, zugleich Manifest einer Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Autoren.

Auf Lesereise touren der „Pop-Literat“ und der Grandseigneur des ironischen Feinsinns derzeit durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Donnerstag steht der ausverkaufte Gürzenich auf dem Plan. Der wilde Jubel, der den Protagonisten entgegenschallt, als sie die Bühne betreten, billigt ihnen einen hohen Sympathiegrad zu und verrät ein gerüttelt Maß an Vorfreude. Darauf, dass das, was der Mann aus Berlin und sein Co aus Zürich da so geistesfunkelnd aufs Papier gezaubert haben, live noch viel besser rüberkommt. Weil die zwei sich, in aller Freundschaft, gehörig auf die Schippe nehmen und gegenseitig einen überbraten werden.

Überraschende Gäste

Bingo! Noch vor dem besten aller möglichen Einstiege (dem Anfangskapitel, das schildert, wie sich Stuckrad-Barre und Suter in schreiend-scheußlichen Badehosen am Ostseestrand kennenlernen) gibt’s den ersten Schlagabtausch. Stuckrad-Barre: „Wir haben den ganzen Tag geprobt, aber live ist das ja immer ’n bisschen was anderes.“ Suter: „Es gibt Nachspielzeit!“ Stuckrad-Barre: „Ja, bis 22 Uhr, Schatzi, da hast du die Hose kalt am Bett.“ Das könnte gerne immer so weitergehen. Tut es aber nicht.

Stattdessen holt Stuckrad-Barre einen Gast auf die Bühne: „ein Freund, den ich sehr verehre, ein ganz wunderbarer, wunderbarer Mann, obwohl er in der SPD ist“. Was ihn aber nicht davon abhält, ein rotes T-Shirt überzuziehen, auf dessen Vorderseite „Der Mann, der die Aerosole tanzen lässt“, prangt und auf dessen Rückseite der Wahl-Slogan „Ihre Stimme für soziale Gerechtigkeit“ schmückt. Und Karl Lauterbachs klimaneutrale Kulis zu verteilen.

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Während Suter beim Plaudern mit dem Hansdampf in allen Impfgassen über Inzidenzwerte, Querdenker und Viren noch die ein oder andere Bosheit in Richtung Co abfeuern darf („Das Plastik geht raus, der Impfstoff bleibt hier, das ist doch deine Linie“), wird er bei Gast Nummer zwei, Podcast-König und Träger des Deutschen Comedypreises, Tommi Schmitt, sogar zeitweise vom Podium wegkomplimentiert. Was die Produktbeschreibung – „Erleben sie die Gespräche der beiden (d.i Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter) im September 2021 live auf den Bühnen in Frankfurt, Wien, Köln, Zürich, Hamburg und Berlin“ – nun wirklich nicht erahnen ließ. Immerhin: Die Gäste beweisen angemessene Schlagfertigkeit.

Um mit Stuckrad-Barre und Schmitt das Glanzkapitel „Siri“ aus dem Buch zu lesen, darf Suter zurückkehren, erst „Hochzeiten“ reduziert den Abend wieder aufs Wesentliche: die beiden Autoren von „Alle sind so ernst geworden“. Ob „Vier für den Preis von zweien“ tatsächlich ein Schnäppchen war oder eher eine Schnapsidee, muss jeder Besucher für sich entscheiden.

Martin Suter/Benjamin von Stuckrad-Barre: Alle sind so ernst geworden. Diogenes, 272 S., 22 Euro.

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