Abgrundtief gutWie in „Richard Drei“ in Köln aus Richard eine Frau wird

Lesezeit 3 Minuten
Richard Drei

Yvon Jansen brilliert in „Richard Drei“

Köln – „Der Idealfall wäre, dass das Publikum nicht mehr über Geschlechterzuordnung nachdenkt“ hatte sich Regisseurin Pinar Karabulut für ihre Fassung von Shakespeares „Richard III.“ im Gespräch mit der Rundschau gewünscht. Dass das nicht geklappt hat, lag bei der Premiere im Depot 1 vor allem an der phänomenalen Yvon Jansen in der Titelrolle. In einer an Cameron Diaz erinnernde Optik hält sie lässig alle Fäden der Hosen, die auf jeden Fall sie anhat, in der Hand. Sie zündelt und züngelt, lässt in furioser Weise die Lebensentwürfe der Kontrahenten in Rauch aufgehen.

Viel mehr Raum für Frauen geschaffen

Shakespeare erzählt die Geschichte eines Mannes, der seine männliche Verwandtschaft nach und nach umbringt, um schließlich selber auf dem englischen Thron sitzen zu können. Um daraus eine Rolle für eine Frau zu kreieren, wurde Katja Brunner beauftragt, einen neuen Text zu verfassen. Während der Plot nah bei der Vorlage bleibt, werden Werte von gegenwärtigen Diskussionen um Positionen und Geschlecht geprägt – in einer Sprache, die mal mit Jelinekschen Kaskaden erschlägt, mal mit Wortneuschöpfungen, hippen Verknappungen und kryptischer Syntax an der Unverständlichkeit vorbeischrammt.

Auf einen Blick

Das Stück: Shakespeares Klassiker neu (aber nicht besser) erzählt – mit einer Frau als Bösewicht.

Die Regie: Gleichzeitig überdreht sowie auf Schauwerte setzend und doch berührend.

Die Ensemble: Yvon Jansen trägt diesen Abend - und wird dabei von ihren Kolleginnen und Kollegen hervorragend unterstützt. (HLL)

Aber Brunner macht nicht nur aus Richard eine starke Frau, sondern lässt auch den anderen weiblichen Figuren, die bei Shakespeare eher am Rand vegetieren, weitaus mehr Raum. Und so nehmen es Nicola Gründel (als Witwe von Richards Bruder), Sabine Waibel (als Witwe des ehemaligen, von Richard getöteten Thronfolgers), Lola Klamroth (als Richards Mutter) mit der Machthungrigen auf. Doch was will man – oder wie es im Stück immer wieder heißt „mensch“ – ausrichten gegen eine, die, nachdem sie etwa den Tod des Königs und seiner Söhne verantwortet hat, der trauernden Witwe vorschlägt, ihr die noch verbliebene Tochter zur Gefährtin zu geben. Perfider geht’s kaum. Aber am Ende gibt es bekanntermaßen für niemanden in diesem Königreich ein Pferd, nicht mal ein metaphorisches.

Ein Geschlecht auf dem absteigenden Ast

Richards Virilität geht in Karabuluts Inszenierung auf Kosten der „cojones“ der anderen männlichen Figuren, die munter auf der Grenze zwischen metrosexuell und queer tänzeln. Schon im gefilmten Vorspann dürfen sie unter Beweis stellen, dass sie in jedem New Yorker Ballroom eine gute Figur machen würden – und das nicht nur wegen der Outfits (Kostüme: Claudia Irro), die sich auch in 80er-Jahre-Videoclips gut gemacht hätten.

Wenn Nikolaus Benda, Benjamin Höppner und Alexander Angeletta dazu in einem Einschub darüber philosophieren, wann denn das Kavaliersdelikt aus der Mode gekommen sei, ist das nur noch ein letztes verzweifeltes Aufbäumen eines Geschlechts auf dem absteigenden Ast. Ihnen Wege aus dem Dilemma zu zeigen, sehen weder Brunner noch Karabulut als ihre Aufgabe.

Das könnte Sie auch interessieren:

Stattdessen bereiten sie Yvon Jansen die ganz große Bühne – die diese hervorragend zu nutzen weiß. In diesem an Ritterburgen eines Kinderzimmers erinnerndes Szenario (Bühne: Michela Flück) sitzt jeder ihrer Blicke, jeder ihrer Schritte – und man fragt sich, warum man Jansen nicht viel häufiger in großen Rollen wie dieser erleben darf.

Wie so oft ist Karabuluts Regie am besten dann, wenn sie Jansen wie unter dem Brennglas agieren lässt. Und dann zeigt sich, dass all das bonbonfarbene, popkulturelle Allerlei auf der Bühne und in den bisweilen blutrünstigen Filmchen auf Leinwänden links und rechts der Szene, nicht unbedingt von Nöten sind.

Aber wunderbar schmückendes Beiwerk für einen interessanten, vielleicht etwas langen, aber bei der Premiere heftig bejubelten Theaterabend.

Rund drei Stunden (inkl. Pause). Wieder am 28./ 29.4., 7.5., sowie 24./25.5., jeweils 19.30 Uhr, 8.5., 16 Uhr. Karten-Tel.: 0221/221 28400.

Rundschau abonnieren