Buchkritik zu „Überleben“Tsitsi Dangarembga liefert einen fesselnden Afrika-Roman

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Dangarembga, Tsitsi_(c)Hannah Mentz_quer

Tsitsi Dangarembga 

Köln – Im rosa Rüschenzimmer riecht es muffig nach Staub und Schimmel. Auch wenn der Raum nur eine von vielen Stationen in Simbabwes Hauptstadt Harare ist, die die Antiheldin Tambudzai in Tsitsi Dangarembgas Roman „Überleben“ durchläuft, bleiben solche Eindrücke haften. Die Autorin, Filmemacherin und Aktivistin, die am Sonntag, 24. Oktober, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird, tupft ihre Bilder im tagebuchartigen Erzählstrang nicht pittoresk: Blut fließt. Derbes Straßenleben brüllt und gackert. Es wird gedeckelt und geschlagen, aber – alles das fesselt.

Socken für Soldaten

Die Chance, Afrika etwas besser kennenzulernen, serviert Dangarembga dem Leser nicht gerade auf dem Silbertablett. Zeitweise sind Tambudzais Reflexionen schwer nachvollziehbar. Sie lassen einen Kosmos erahnen, in dem Positionen aus dem mühsam erkämpften Status im Bildungsbürgertum direkt neben dem Wissen der „nganga“ (spirituelle Heiler“) rangieren. Tambudzai, die aus einem Dorf stammt, in die es sie nicht zurückzieht, lebt in ständigem Gewissenskonflikt. Immer wieder wird ihr Stolz mit Füßen getreten. Zumal von einer Weißen wird sie übervorteilt, mit der sie in der Schule war – immer unter ungleichen Bedingungen.

Virulent sind die postkolonialen Verwerfungen, die mit der Protagonistin durchlebt und gelitten werden. Als junge Frau war sie es, und nicht ihre weißen Mitstudentinnen, die Socken für rhodesische Soldaten strickte. Als das Land noch nach Cecil Rhodes, dem britischen Unternehmer und Politiker, „Rhodesien“ benannt war. In der Hochphase des Kolonialismus galt er als führender Akteur des Wettlaufs um Afrika.

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Die Unabhängigkeit, die Simbabwe 1980 erhielt, um dann von Robert Mugabe fast vier Jahrzehnte – zuletzt offen als Diktator – regiert zu werden, streift die Geschichte nur wie ein Grundwabern. Irgendwo zündelt immer ein kriegerischer Konflikt. Gewichtiger ist die Frage, wie eine gebildete Frau dort überhaupt Karriere machen kann. Tambudzai fällt in Trance, leidet am Trauma, schiebt manchmal solchen Kohldampf, dass sie einzelne Blätter aus dem Gemüsegarten der Vermieterin klaut. Am Tiefpunkt des beruflichen Scheiterns, bringen Mutter und Schwester ihr einen Sack Maismehl vorbei. Ihn rührt Tambudzai nicht an, scheint er sie doch wie die eigene Herkunft zu verfolgen, bis Ungeziefer sich darüber hermacht.

Ein Land, das wirtschaftlich am Boden liegt

Arbeits- und Perspektivlosigkeit führen im zermürbenden Prozess dazu, den eigenen Werdegang in einem Land zu hinterfragen, das zwar reich ist an Bodenschätzen, wirtschaftlich aber daniederliegt. Um mobil zu sein, quetscht sich Tambudzai mit unzähligen anderen in rostzerfressene Minibusse. Das Gedränge, das die Autorin beschreibt, verzichtet auf Folklore, schildert menschliche Abgründe, die keiner Gesellschaft fremd sein dürften. Ein Lichtblick für Tambudzai sind ihre Lady Di-Schuhe, die sie von einer Verwandten aus Europa geschenkt bekam.

Nach mancher durchlittenen Krise und Neuanfängen arbeitet sie in einem Tourismusprojekt mit ökologischem Touch. Das verschafft ihr finanzielle Unabhängigkeit, bringt sie aber in Konflikt mit der Familie . Mit beißender Abscheu reagierte die Mutter auf die „feine englische Art“ der Tochter. Just diese öffnet ihr Türen bei Touristen, die Geld für Tanz und Trommeln werfen und als Höchstmaß ihrer Wertschätzung einmal sogar deutsche Weihnachtsplätzchen an Tambudzai verschenken.

Auf Kosten der Träume

Melancholisch stimmt das Buch, zeigt es doch, wie der Kampf ums „Überleben“ auf Kosten der Träume geht. Die Intensität der Erzählung führt dazu, dass man nachfragt, mehr wissen will. Womöglich hilft das, mehr Aufmerksamkeit auf die ganze Kolonialgeschichte zu lenken. Den „Platz an der Sonne“, wie ihn Kaiser Wilhelm für sein Reich anstrebte und zu einer aktiven Politik in Afrika überleitete, gibt es auch für die Romanfigur: Es ist Tambudzais kleines Büro mit Blick auf den sich stapelnden Zivilisationsmüll. Aber auch das ist nur eine Station.

Tsitsi Dangarembga, Überleben. Aus dem Englischen von Anette Grube, Orlanda, 371 S., 24 Euro.

Lesung in Köln: Dienstag, 26. Oktober, 20 Uhr, auf Einladung des Literaturhaus im Depot 1, Schanzenstraße 6-20.

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