Frank Schätzing„Wir haben die Chance, die Welt nach Corona besser zu machen“

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Der Kölner Autor Frank Schätzing

  • Mit dem Katastrophenroman „Der Schwarm“ wurde Frank Schätzing 2004 berühmt und gilt seither als kluger Analytiker von Katastrophenszenarien.
  • Mit Hartmut Wilmes sprach der Kölner Autor über die Corona-Krise und die Lehren, die man daraus ziehen sollte.

Köln – Die Bundeskanzlerin sieht Corona als größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich hab meine Probleme mit solchen Vergleichen. Aber de facto ist das eine Bedrohung, die es so nach dem Krieg nicht gegeben hat.

Man fühlt sich aufgrund von Kontaktsperren, Grenzschließungen und anderen Freiheitsbeschränkungen momentan massiver regiert als sonst. Stimmt das Maß der Maßnahmen?

Ja, denn wir haben es mit einer Gefahr zu tun, deren Verlauf wir nicht einschätzen können. Ein Virus lässt nicht mit sich reden. Sicher hätte man besser vorbereitet sein können. Literatur und Film sind ja nicht gerade arm an Virenszenarien.

Woran denken Sie da?

Der Film „Contagion“ von 2011 beschreibt ziemlich exakt, was gerade passiert, wenn auch drastischer. Deon Meyers Roman „Fever“ liefert das realistische Szenario einer Welt nach einer verheerenden Pandemie. Gespenstisch war übrigens, dass ich das Buch las, während es in China gerade dramatisch wurde. In den Nachrichten fiel das Wort Corona – ich blättere um, und da steht Corona. Aber ich finde schon, die Bundesregierung macht im Ganzen einen überzeugenden Job.

Also alles gut?

Nein. Nur muss man sehen, dass es für die jetzige Lage keinen Präzedenzfall gibt. So hangelt man sich notgedrungen von einer Wissenslage zur nächsten.

Frank Schätzing

Frank Schätzing wurde am 28. Mai 1957 in Köln geboren. Er war anfangs Führungskraft in der Werbebranche, zuletzt als Geschäftsführer der von ihm mitbegründeten Kölner Agentur Intevi.

1995 erschien sein erster Roman, der historische Köln-Krimi „Tod und Teufel“. Den Durchbruch brachte 2004 der Tiefsee-Katastrophenthriller „Der Schwarm“. Seine folgenden Romane waren „Limit“, „Breaking News“ und zuletzt „Die Tyrannei des Schmetterlings“ über Künstliche Intelligenz. Als Musiker legte Schätzing im vergangenen Jahr sein Debütalbum „Taxi Galaxi“ vor. (EB)

Das geht mit unerfreulichen Einschnitten in unsere Freiheit einher, geschieht aber ganz sicher nicht als mutwilliger Angriff auf verfassungsmäßige Rechte. Es ist schlicht das letzte Mittel, um eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern.

Aber hätte man das nicht klarer kommunizieren müssen?

Beim Umgang mit den Eckwerten hätte man sicher umsichtiger sein können. Erst war die Infizierten-Verdopplungsrate Maß aller Dinge, dann der Reproduktionswert, der unter eins zu sein hatte. Vieles klang, als würden die Maßnahmen danach deutlich gelockert. Dann hieß es, kein Grund zur Beruhigung. Wenig passierte. Fakt ist, das Virus wird bleiben. Aber wir können durch Zurückstellen unserer persönlichen Interessen sichern, dass jeder immer die Behandlung bekommen wird, die er braucht.

Dafür kann man den Menschen noch ein paar Wochen Lockdown mehr zumuten – nur falsche Hoffnungen ertragen sie nicht.

Mancher erlebt in dieser Zeit den Wert von Partnerschaft und Familie intensiver als sonst. Gibt es so etwas wie die heilsame Krise?

Ja – auch wenn’s zynisch klingt, denn erst einmal fordert die Krise Todesopfer. Aber historisch ist die Menschheit aus Krisen immer gestärkt hervorgegangen, weil die zerschlagenen Strukturen nicht mehr funktionierten und Kreativität und Gestaltungswille gefragt waren. Wir haben die Chance, die Welt nach Corona besser zu machen, als sie vorher war.

In Ihrem Buch „Der Schwarm“ hat gewissermaßen das vermüllte, leergefischte Meer zurückgeschlagen. Ist Corona, wie manche glauben, die Rache des geschundenen Planeten?

Nein, das ist esoterischer Kokolores. Ökosysteme sind weit davon entfernt, Rachepläne zu hegen. Darin spiegelt sich übrigens eine perfide Form menschlicher Überheblichkeit, uns nämlich als Abschaum der Schöpfung zu betrachten, der alles zerstört – also Negativ-Wichtigtuerei. So einflussreich sind wir nicht. Es hat immer Massensterben und Klimaänderungen gegeben. Vor dreieinhalb Milliarden Jahren haben Archaebakterien die Photosynthese erfunden und dabei so viel Sauerstoff freigesetzt, dass sie die Atmosphäre vergifteten. 80 Prozent aller damaligen Lebensformen gaben deswegen den Löffel ab.

Die Erde hat’s irgendwie überstanden. Würde sie auch die vorausgesagte Erwärmung überstehen?

Wenn wir 2050 bei drei Grad Erderwärmung landen, dann gäbe es keine Gewinner mehr. Dann haben Sie katastrophale Dürren und Hungersnöte, Massenmigration, Artensterben en gros, übersäuerte Meere. Dann werden Kipppunkte überschritten und Systeme irreversibel geschädigt. Allein wenn das grönländische Eis abschmilzt, steigt der Meeresspiegel um sieben Meter. Wenn aus den tauenden Permafrostböden massenhaft Methan freigesetzt wird, kann ein Klimaschock erfolgen, der über alles Vorstellbare hinausgeht.

Finstere Szenarien.

Aber wir tun gut daran, Sie ernst zu nehmen. Wir sehen ja, dass jetzt, wo das Virus uns mal eben den Motor abgestellt hat, vielerorts die Luft besser wird. Wir haben einen sehr verzeihenden Planeten. Ökosysteme regenerieren sich schnell. Aber man muss sie eine Weile in Ruhe lassen.

Zurück zu Corona. Muss man mit ähnlichen Epidemien künftig jährlich rechnen?

Glaube ich kaum. Das war nach der Spanischen Grippe nicht so, und Ebola, das ab 2014 in Afrika grassierte, wurde gar nicht erst zur Pandemie. Das haben wir schon wieder vergessen, weil es nicht in unsere Komfortzone störte. Fakt ist, wir leben im Zeitalter der Viren und Bakterien. Wir sehen nur die großen Tiere: uns, Hunde, Katzen, Elefanten, Eisbären. Aber die wahren Herrscher des Planeten sind immer noch die Kleinsten.

Welche Lockdown-Lockerung sehnen Sie am stärksten herbei?

Mir persönlich fehlen die Restaurants, die Konzerte. Aber das kann man sich noch eine Weile versagen. Insgesamt finde ich, dass die Menschen die Situation bewundernswert schultern. Die Frage ist, ab wann ein Kollaps des Wirtschafts- und Sozialsystems größere Schäden verursacht als das Virus selbst. Da beginnt das ethisch schwierige Abwägen. Andererseits haben wir Zeit gewonnen, die wir nutzen können.

Wofür?

Um die Weichen zu stellen für systemumwälzende Innovationen in der Energiewirtschaft, der Mobilität – Künstliche Intelligenz, Klima- und Umweltschutz versprechen ein breites Jobangebot in neuen Branchen. Und wir sollten als reiches Land endlich ein menschenwürdiges System für die Alten- und Krankenpflege aufbauen. Es mangelt uns gerade an vielem – aber nicht an einer Agenda für die Zeit nach Corona.

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