Ian Gillan von Deep Purple„Tragisch, dass die USA so einen grausamen Präsidenten hat“

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Ian Gillan

Ian Gillan bei einem früheren Interview in Frankfurt

  • Ian Gillan von der Band Deep Purple spricht über das neue Album „Whoosh!“ und Donald Trump

Die Gruppe Deep Purple, das sind im Jahr 2020 immer noch: Ian Gillan, Roger Glover, Ian Paice, Steve Morse and Don Airey.  Die britische Band ruht sich auf ihrem 21. Studioalbum „Whoosh!“ kein bisschen auf den Lorbeeren aus. Das neue Album erscheint am 7. August, am 1. Juli 2021 ist ein Konzert in Bonn geplant. Steffen Rüth erreichte den Sänger Ian Gillan (75) telefonisch in dessen Haus an der englischen Südküste.

Ian, wie ist die aktuelle Lage?

Ich kann mich nicht groß beklagen. Ich habe einen Garten, in dem ich mich ein bisschen beschäftige, ich bin gesund und am Leben. Das reicht mir für den Moment.

Im neuen Song „Throw My Bones“ singen Sie „I don’t know what lies ahead“, also: Ich weiß nicht, was vor mir liegt. Sie sind 75, was bedeutet diese Aussage?

Tja, mein Freund, das bedeutet, dass auch ich keine Glaskugel habe (lacht). Ich kann nicht in die Zukunft schauen.

Würden Sie das gern tun?

Wenn du weißt, was passiert, dann wird es nicht mehr passieren. Eben weil du dann den Verlauf der Geschichte ändern würdest. Das ist das grundlegende Problem mit Zeitmaschinen.

Enthält der Song etwa eine philosophische Grundierung?

Nun, ich bin fasziniert von der Besessenheit der Menschen, die Zukunft kennen zu wollen. Ohne diesen Drang wären sämtliche Religionen niemals so erfolgreich geworden.

Früher warfen die Schamanen Tierknochen und sagten Ereignisse voraus. Daher kommt auch der Titel des Songs.

Und wenn Sie jetzt Ihre Knochen werfen würden?

Das könnte ich sagen, dass in diesem Jahr keine Tournee von Deep Purple mehr stattfinden wird. Aber sobald man uns wieder auf die Bühne lässt, werden wir explodieren.

Nach „Infinite“ von 2017 und der Welttournee „The Long Goodbye“ wurde spekuliert, Sie würden kein Album mehr aufnehmen. Hatte die Band ebenfalls Zweifel?

Bei uns liefen vor etwa drei Jahren gesundheitlich einiger Dinge nicht besonders gut. Inzwischen geht es allen wieder besser, die Energie kam nach und nach zurück. Bei uns ist alles eine Frage der Energie. Niemand will nur 50 Prozent sehen oder hören von dem, was wir eigentlich können.

Wie justieren Sie Ihre Energie?

Bei Deep Purple ist es zum Glück so, dass wir unsere Batterien aneinander aufladen. Wir heizen uns gegenseitig an.

Als Produzent haben Sie zum dritten Mal Bob Ezrin verpflichtet. Was sind seine Qualitäten?

Bob ist unser Navigator. Er sagt uns vor jedem Album: „Jungs, ich will keine Songs hören, ich will Musik“. Deshalb ist „Whoosh!“ einmal mehr das Resultat unserer Abenteuerlust, unserer Vielschichtgeit und unserer Dynamik.

Und das funktioniert?

An manchen Tagen passiert überhaupt nichts, doch an anderen Tagen spielen wir sechs Stunden am Stück und geraten in einen richtigen Rock’n’Roll-Rausch.

So wie in „Man Alive“ mit seinem minutenlangen Intro?

Genau. Bob hat uns die Spielfreude aus den späten Sechzigern zurückgegeben. Damals entstand unsere Musik aus dem puren Vergnügen heraus.

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Wir rebellierten gegen die Musikindustrie, die uns in Schubladen stecken wollte. Aber Definitionen wie „Hard Rock“, „Classic Rock“ oder „Rock’n’Roll“ repräsentierten uns nie.

Was war damals Ihr Plan?

Wir waren Rebellen, die Funk, Rock, Soul, Country und Klassik auf eigene Weise interpretiert haben. Und heute gibt es für uns erst recht keine Regeln mehr. Wir machen Musik, weil wir es lieben. Wenn die Energie kommt,  passieren spontane Ausbrüche, in diesen Momenten sind wir eine Atommacht.

Worum geht es in „Drop The Weapon“? Die Nummer klingt wie ein Anti-Waffen-Song, andererseits schimpfen Sie über Hippies und Flower Power.

Flower Power war eine fantastische Idee, aber leider nur in der Theorie. In einer Gesellschaft, in der jeder ausschließlich Liebe und Frieden im Herzen trägt, bräuchte man tatsächlich keine Waffen. Nur sind eben nicht alle Menschen ausschließlich rein und gut.

Sind Sie Schachspieler?

Ich bin nur durchschnittlich begabt, aber ich liebe das Spiel, es ist toll für deinen Geist. Ich finde, niemand sollte für ein politisches Amt kandidieren, bevor er nicht die Mitgliedschaft in einem Schachverein nachgewiesen hat. Manche dieser Idioten, die derzeit an der Macht sind, können rein gar nichts antizipieren – und versagen auch deshalb ständig aufs Neue.

Sollte Trump Schach lernen?

Bei ihm ist es zu spät. Ich empfinde es als tragisch, dass ein Land wie die Vereinigten Staaten so einen grausamen und ungebildeten Präsidenten hat. Was für ein Versager. Man mag ihn schon gar nicht mehr attackieren, weil er sich ständig selbst zerlegt.

Sie sind seit gut 50 Jahren Sänger von Deep Purple. Wie schauen Sie auf Ihre Karriere?

Mit Demut. Ich habe einen ziemlich netten Job, oder? Yeah, was soll ich groß darum herumreden? Ich bin ein glücklicher Mann. Aber ich habe mich auch nie gescheut, hart für dieses Glück zu arbeiten.

Können Sie das näher erläutern?

Bevor ich bei Deep Purple anfing, verbrachten Roger Glover und ich endlose Stunden und Tage damit, unser Handwerk zu lernen, die Kunst des Songschreibens, des Spieles. Wenn du Maler werden willst, musst du ja auch wissen, wie man den Pinsel auswäscht.

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