In Zeiten der ShitstormsHätte Schmidt noch eine Chance?

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Harald Schmidt, Entertainer, sitzt bei «Gysi & Schmidt: Der ntv Rückblick» im Bricks-Club.

Köln – Wie ein solcher Witz heute wohl ankäme? „Die Jüdische Gemeinde hat aufgerufen: Morgen, 17 Uhr, Demo vor dem FDP-Hauptquartier in Berlin.“ Das sagt Harald Schmidt vor gut 20 Jahren in einer Folge seiner „Harald Schmidt Show“ auf Sat1. Die Pointe zündet beim Publikum nicht gleich, erst auf die Nachfrage von Sidekick Manuel Andrack kommt der Witz an: „Nennt sich das FDP-Hauptquartier?“ Lachen, Applaus. Dann reitet Schmidt auf dem Hauptquartier-Gag ein bisschen herum, setzt schließlich noch einen drauf: „Wie heißt es denn, Guido-Bunker oder was?“

Harald Schmidt, der große Vorreiter. Vorbild für die nachfolgende Generation an Kabarettisten, Showmastern, Entertainern, für die Böhmermanns, Eckarts und Pufpaffs, um nur drei zu nennen. Schmidt, der König der politisch unkorrekten Pointe – eine Legende. Wie aber würde er heute beim Publikum ankommen, und vor allem: Wie würde die Netzgemeinde auf seine Hitler-Witze und Nazi-Anspielungen reagieren?

Heute wäre seine Late-Night-Show nach einer Woche eingestellt worden, hat Schmidt selbst vor zwei Jahren dem ORF gesagt. Da waren die Debatten um Dieter Nuhr schon voll entbrannt, und die weitere Entwicklung bestätigt offenbar Schmidts These: Seit vergangenem Jahr tobt der Sturm um Lisa Eckharts angeblich antisemitische Witze, und aus dieser Ecke ist sie bis heute nicht herausgekommen.

Mit der Boshaftigkeit eines zerstörungswütigen Kindes

Würde Schmidt heute mit dem Vorwurf konfrontiert, neonationalistisches Gedankengut zu verbreiten? Oder rassistisches? In einer anderen Sendung, auch aus der Sat1-Phase bis 2003 und auf Youtube verfügbar, zelebriert er ausgiebig das sogenannte N-Wort, das schon damals als rassistisch identifiziert war. Zwar entspinnt sich zwischen Andrack und Schmidt ein Dialog über das Sagbare und das Unsagbare, aber das ändert nichts daran, dass Schmidt mit der Boshaftigkeit eines zerstörungswütigen Kindes das Wort wieder und wieder ausspricht. Damals war es „Dirty Harry at his best“, heute ist das Bewusstsein für die Grenzen des Sagbaren so weit gewachsen, dass wohl keine Sendeanstalt die knapp acht Minuten ausstrahlen würde.

Aber ist Schmidt nicht Satiriker, und darf Satire nicht, um mit Kurt Tucholsky zu sprechen, alles? Diese Frage wird Schmidt heute noch in fast jedem Interview gestellt. Beim SWR antwortet er im Januar: „Ich wäre vorsichtig. Ich muss wissen, wer mein Zielpublikum ist.“ Weite Teile der Menschheit seien nicht „satiretauglich, weil sie nicht damit aufgewachsen und nicht darin trainiert“ seien.

Ohne Weiteres lässt sich das in Richtung Mohammed-Karikaturen interpretieren, vor allem, wenn er hinzufügt: „Ich kann den Märtyrer spielen und mich mit den Kreisen anlegen, die nicht so firm darin sind. Daran habe ich kein Interesse.“ Und noch eine Grenze zieht er: „Ich würde keine Witze über den Holocaust machen“, sagt er 2019 im Gespräch mit der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“.

Schmidt war lernfähig

Das klingt nicht nach dem Berufszyniker, als der Schmidt immer noch firmiert, obwohl seine Late-Night-Show am Quotenhimmel verglüht ist und er stattdessen auf dem „Traumschiff“ angeheuert hat oder auf der Theaterbühne steht. War der Zynismus lediglich Teil eines Kostüms wie die Mütze des Kreuzfahrtdirektors Oskar Schifferle?

Auf jeden Fall liebt er es immer noch, sein Publikum mit bösen Pointen vor den Kopf zu stoßen – Gags über die deutsche Nazi-Vergangenheit macht er auch heute, wenn auch nicht mehr so exzessiv . Aber schon 2004 stellte er in einer Show klar, auf welchem Boden er sich bewegt: „60 Jahre nach Kriegsende wird in Deutschland wieder gewählt“, sagt er, um kurz darauf Amerika zu danken für die Demokratie und die Freiheit, Witze über Hitler und Nazis zu machen.

Die Vorlagen für seine Show hat Schmidt im US-Fernsehen gefunden; David Lettermann war das große Vorbild. Von ihm hat er das Spiel mit Tabus übernommen, und dabei sind ihm Gags unterlaufen, die schon Mitte der 1990er-Jahre in ihrer Geschmacklosigkeit schwer erträglich waren.

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Er ist kritisiert und verklagt worden, er ist vor laufender Kamera abgestraft worden. Aber Schmidt war lernfähig, und da war es sicher ganz hilfreich, dass es noch keine sozialen Medien gab. Und keine Shitstorms, in deren Getöse untergeht, wenn jemand Fehler eingesteht und um Verzeihung bittet – und wegen denen der Versuch, sich neu auszurichten, fast unmöglich wird.

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