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Jüdisches LebenWas die Jubiläums-Schau im Kölner Kolumba zu bieten hat

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Titusbogen mit dem Siegeszug der Römer mit Kulturgeräten aus dem Tempel in Jerusalem.

Köln – Am Ende der Treppe steht eine seltene Bank: Südhessen, um 1750, Holz, geschnitzt, gedrechselt; Korbgeflecht. Als Beschneidungsbank hat sie einen festen Platz im jüdischen Ritual. Auf die eine Seite setzt sich der Pate, der Sandak, mit dem acht Tage alten Jungen. Der zweite Platz symbolisiert die Anwesenheit des Propheten Elias. Er soll das Kind vor Gefahren schützen.

Seitlich der Bank – eine Leihgabe des Jüdischen Museums in Berlin – hängt ein Bild des in Köln verstorbenen Malers Frederic Matys Thursz. Er hat es 1972 seinem künstlerischen Vorbild Mark Rothko gewidmet – abstrakter Expressionist und Wegbereiter der amerikanischen Farbfeldmalerei mit Wurzeln in der jüdischen Kultur. Als Rothko einmal gefragt wurde, was Thema seiner abstrakten Quadrate sei, nannte er Asche, Knochen, Schädel, Verstümmelung, Konzentrationslager.

In der Ausstellung „In die Weite. Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland“ bildet die Gegenüberstellung von Alltagsgegenständen, Werkzeugen sowie rituellen Utensilien mit der Kunst der Moderne einen fortlaufenden Spannungsbogen. Als „Experiment“ bezeichnen die Ausstellungsmacher des Miqua, LVR-Jüdischen Museums des Landschaftsverbands sowie des Kunstmuseums Kolumba des Erzbistums ihre Schau, die ab morgen im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ bis Mitte August zu sehen ist. Dritter Partner im Projekt ist die ehemalige Synagoge Niederzissen aus dem Kreis Ahrweiler.

„Köln hat für ein Jahr ein Jüdisches Museum und wir haben das Ziel, es zu füllen“, freut sich Stefan Kraus, Direktor des Kolumba. Der eigene Fundus wurde umgeräumt und in Bezug zu den Exponaten des Miqua-Museums gesetzt. Es gibt 100 internationale Leihgaben. Die prominenteste, eine Abschrift des Judenedikts Kaiser Konstantins des Großen von 321 (siehe Kasten), stammt aus der Biblioteca Vaticana. Das Spektrum reicht vom Gipsabdruck des „Siegeszugs der Römer mit den Kulturgeräten aus dem Tempel in Jerusalem“ vom Titusbogen in Rom bis zur „Regenbogenfahne mit Davidstern“ des queer-jüdischen Vereins Keshet Deutschland.

„In Zeiten wachsender Intoleranz und antisemitischer Anfeindung will die Ausstellung Aspekte des jüdischen Lebens, Geschichte und Kultur vergegenwärtigen“, so Kraus. In der ungewohnten Verbindung von historischer und ästhetisch-künstlerischer Annäherung entschieden sich die Kuratoren bewusst gegen eine chronologische Herangehensweise oder gar Neufassung der 1963 im Stadtmuseum gezeigten „Monumenta Judaica“, welche den Untertitel „2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein“ hatte.

„Das kann keiner lesen, das ist Latein, dröges Zeug“, fasst Kunsthistoriker Marc Steinmann die Gefühlslage vieler Besucher früherer Museumskonzepte zusammen. Die jetzige Konzeption setze darauf, dass anhand der Ausstellungsstücke Geschichten erzählt werden können. Herzstück der Schau sind die Funde aus Niederzissen im Brohltal. Dort lebten einmal 600 Juden, die unter anderem mit Vieh handelten. Bei Renovierungsarbeiten auf dem Dachboden der ehemaligen Synagoge trat ein Genisot zum Vorschein, ein verstecktes Depot zur Aufbewahrung unbrauchbar gewordener Schriften und Ritualobjekte wie kleine Gebetsmäntel, Beutel oder Wickelbänder. Im Kolumba ist nun ein Großteil der religiösen Texte und rituellen Gegenstände in Archivkartons in einem Industrieregal gelagert. Vereinzelte Einblicke gibt es in Schaukästen, in denen solche Schätze wie ein Heiratsvertrag oder ein Frakturtext von Schillers Glocke mit Eselsohren liegen. Ein gebastelter Papierhut steht neben einem ausgedienten Tora-Wimpel. Der Ort ist bewusst gewählt: über der Kapelle von Sankt Kolumba. Früher war hier einmal das Pfarrarchiv.

Im versteckten Depot, das angelegt wurde, da das Papier und einzelne Werkzeuge wertgeschätzt wurden und nicht weggeschmissen werden sollten, schlummerten einzigartige Geschichten. Wie der Brief, den Schmuel Doderer am 15. November 1807 aus dem Militär-Zeltlager über die Kälte des Napoleonischen Kriegs auf Hebräisch seinen Eltern im Brohltal schrieb. Dazu gab es eine bunte Zeichnung. Es ist eines der frühsten Dokumente eines jüdischen Soldaten. Die linksrheinischen Gebiete, also auch Niederzissen, gehörten seit 1802 zu Frankreich. Auch Juden wurden zum Militärdienst verpflichtet. Kurator Marc Steinmann und seine Kollegen sprechen von Stichworten, die sich durch die Zettel und Relikte wie ein roter Faden ziehen: Feste, Lebenszyklen, Vaterland. Gut 600 Juden, die unter anderem mit Vieh handelten, lebten in Niederzissen. Judaistin Christiane Twiehaus ist begeistert über die Kassette mit 20 Fotos, die Synagogen im Großherzogtum Baden zeigen. Eindringliche Zeugnisse für die Synagogenarchitektur des ausgebenden 19. Jahrhunderts.

Einen anderen Aspekt jüdischen Lebens greift John Elsas in seinen Collagen auf: den Humor. Mit 75 entdeckte der Bankier seine Passion für die Kunst. Aus Schnipseln und mit Aquarell fertigte er über 25 000 Collagen. 18 000 konnte seine Tochter Irma, die später in Theresienstadt starb, vor den Nazis retten. Knittelverse stehen unter den Figuren und Scherenschnitten wie in dem vom 17. November 1929. Unter einem muffig wirkenden grauen Männchen mit Bauchansatz und hängenden Schultern ist zu lesen: „Heute werde ich den Hitler wählen, denn er kann uns doch schöne Märchen erzählen.“

Ältestes Zeugnis über jüdisches Leben in Köln

Der römische Kaiser Konstantin der Große gestattete in seinem Edikt aus dem Jahr 321 die Heranziehung der Kölner Juden zum Munizipaldienst. Städten war es damit erlaubt, auch Juden in den Rat zu berufen. Es ist davon auszugehen, dass es zu dem Zeitpunkt bereits eine größere jüdische Gemeinde in Köln gab. Wahrscheinlich lebten schon bald nach Gründung fester Römerlager an Rhein und Donau auch Juden als Handwerker und Kaufleute dort . Das Gesetz ist jedoch die früheste schriftliche Quelle zur Existenz von Jüdinnen und Juden nördlich der Alpen. Zumal in der Karolingerzeit war die Lage der Juden günstig, denn sei hatten das Recht freier Religionsausübung und waren in der Berufswahl nicht eingeschränkt.

Die Kreuzzüge brachten dann erste Judenverfolgungen mit sich. Ziel war es, die Stätten des Wirkens Jesu im Heiligen Land von den Moslems, den „Ungläubigen“ zu befreien. Doch der Weg ins Heilige Land war sehr weit und beschwerlich. Folglich richtete sich der Hass zunächst auf Nicht-Christen im eigenen Land, auf die Juden. Entlang der Kreuzfahrer-Route wurden jüdische Gemeinden überfallen, ausgeplündert, Hunderte wurden getötet. Das wiederholte sich im zweiten Kreuzzug und es traten Beschuldigungen auf, die immer wieder bis in die Neuzeit Pogrome rechtfertigen sollten: Juden verwendeten Christenblut, um für das Pessachfest Mazzen zu backen und sie setzten sich in den Besitz einer geweihten Hostie, um den „Leib Christi“ zu schänden und zu quälen. (EB)

Thomas Otten, Kurator des Museumsprojekt Miqua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier, hebt die Aspekte des gemeinsamen Lebens von Christen und Juden in Köln, das Nebeneinander, die Ähnlichkeiten von Ess- und Trinkgeräten hervor. Bei den Domgrabungen seien Funde geborgen worden, die wichtige Erkenntnisse über das jüdische Viertel in Köln gäben. Zum Beispiel aus dem liturgischen Zentrum im Gottesdienst, der Bima, also dem Platz in der Synagogen, von dem aus die Tora verlesen wird und dem Toraschrein: In den Vitrinen liegen nun Fragmente der Bima aus der Kölner Synagoge, datiert auf 1270-80, oder ein Kronenfragment des Toraschreins (vor 1349), auf dem Tuffstein sind noch Reste der Vergoldung zu erkennen.

Es gibt einige Aspekte des gemeinsamen Lebens von Juden und Christen: Die Ausstellung zeigt Knochenteile, aus denen in einem jüdischen Haushalt christliche Rosenkränze für die Christen gefertigt wurden. Doch bekommen Pogrome Tradition und Diffamierungen werden Programm: „Das Christentum hat bei der Findung der eigenen Identität immer auch wieder den Antijudaismus befeuert“, sagt Otten. Im Spätmittelalter blühen Gräuelgeschichten von Brunnenvergiftern, Pestverbreitern und Ritualmorden auf. Ein Siegel zeigt einen Pfandleiher mit verulkenden langem Judenhut, der eine Sau an den Hinterläufen hält. Die kotet ihm ins Gesicht. In Bremen war der Pfandleiher gezwungen mit diesem Siegel zu beurkunden.

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Immer wieder richtet sich der Blick auf persönliche Schicksale. In Rebecca Horns „Berlin Earthbound“, der Installation mit „vogelfreiem“ Koffer, wird der rote Faden zum Davidstern. In einer Vitrine liegt das Manuskript vom „Roman eines Schicksallosen“, den der ungarische Schriftsteller Imre Kertéz schrieb. Er wurde im Juli 1944 als 14-Jähriger aus einem Bus heraus verhaftet und schildert als jugendlicher Ich-Erzähler arglos staunend die faschistische Vernichtungsmaschinerie. In einer anderen Vitrine liegt eine Pappschachtel für 12 Karteikarten: Arnold Schönbergs Zwölftonbox. Die Karteikarten ermöglichen 48 Reihenformen der Zwölftontechnik für die Oper Moses und Aron .

Miqua-Kolumba, bis 15. August 2022, täglich außer dienstags von 12 bis 17 Uhr, Klumbastraße 4. Führungen sind von 12 bis 17 Uhr möglich und mit Kolumba telefonisch unter 0221/93 31 93-32 zu vereinbaren oder per E-Mail: dl@kolumba.de

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