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Kiepenheuer & WitschKerstin Gleba über den Wert von Büchern in Krisenzeiten

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Kertstin Gleba über unter anderen ihren Verlag Kiepenheuer & Witsch.

  • Die Umsatzrückgänge sind für alle Verlage dramatisch.
  • Durch die Lektüre von Büchern betritt man eine andere gedankliche Welt, das ist in der jetzigen Situation Flucht und Trost zugleich.
  • Das Gespräch mit Kerstin Gleba führte Dietmar Kanthak.

Köln – Frau Gleba, wie hart trifft die Krise Ihren Verlag?

Die Umsatzrückgänge sind für alle Verlage dramatisch.

Eigentlich müssten diese Zeiten des erzwungenen Daheimbleibens ja gute Zeiten für Bücher sein, oder?

Durch die Lektüre von Büchern betritt man eine andere gedankliche Welt, das ist in der jetzigen Situation Flucht und Trost zugleich und eröffnet Horizonte, Ausblicke, die in der Realität momentan ja schmerzhaft begrenzt sind. Schön finde ich die Idee eines Buchhändlers, der sein Schaufenster jetzt ausschließlich mit Büchern von über 1000 Seiten dekoriert, Lektüre, die einen durch die Zeit der Quarantäne trägt.

Buchhandlungen versuchen sehr einfallsre ich, trotz ihrer Schließung die Bestellung und Auslieferung aufrechtzuerhalten. Kann das den Ausfall der Laufkundschaft halbwegs kompensieren?

Von halbwegs kann man, fürchte ich nicht sprechen, dennoch ist es beeindruckend, mit welcher Energie und welchem Einfallsreichtum die lokalen Buchhändler ihre Kunden beraten und in Windeseile beliefern. Vielen Menschen ist vielleicht gar nicht bewusst, dass ihr Buchhändler nebenan über Nacht beinahe jedes Buch bestellen kann. Ein einzigartiger Service, den wir jetzt besonders wertschätzen sollten.

Bei der ausgefallenen lit.Cologne hätten viele KiWi-Autorinnen und Autoren auftreten sollen, für die zum Teil ja auch bundesweite Tourneen geplant waren. Wie sehr fehlen diese Veranstaltungen?

Massiv – den Besuchern des Festivals ebenso wie den Autorinnen und Autoren und auch uns als Verlag. Die lit.cologne ist Jahr für Jahr ein so ambition iertes, lebendiges Festival, das viele hochinteressante Begegnungen und Diskussionen ermöglicht, dem Publikum ebenso wie den Beteiligten. Und bietet den Autorinnen und Autoren und den Büchern eine Bühne, die weit in die Stadt hinein ausstrahlt.

Der Ausfall ist ein großer Verlust. Auch die abgesagten Lesereisen sind ein herber Schlag ins Kontor, für die Kultur vor Ort und nicht zuletzt für die Autorinnen und Autoren, die nicht nur die Möglichkeit verlieren, ihr Werk in der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern auch ihre Lesungshonorare.

Haben Sie eigentlich erwogen, in dieser Situation das Erscheinen einiger Frühjahrstitel, darunter zwei Bücher von Dave Eggers, zu verschieben?

Wir prüfen jeden einzelnen Titel und haben uns bei einem großen Teil der Frühjahrsbücher entschieden, sie trotz der widrigen Umstände auszuliefern. Der Weg zu den Lesern ist hürdenreicher, aber er ist nicht komplett verbaut.

Welche Möglichkeiten hat die Branche überhaupt, die Umsatzeinbrüche in Grenzen zu halten?

Indem wir den lokalen Sortimentsbuchhandel nach Kräften unterstützen, zum Beispiel mit unseren social media-Aktionen wie #findyourbookstore, und auf allen noch verfügbaren Wegen für unsere Bücher, für unsere Autorinnen und Autoren trommeln, weil wir davon überzeugt sind, dass sie ein großes Publikum verdienen.

In den letzten Wochen haben sich unglaublich tolle Formate für die Präsentation von Büchern in den sozialen Medien entwickelt und KiWi hat daran kräftig mitgewirkt: Autorenlesungen und –interviews und Literatursendungen im Livestream oder Buchclubs wie der Racquet Book Club von Andrea Petkovic, die mit ihren Fans auf Instagram zur Zeit „String Theory“ von David Foster Wallace diskutiert, ein unendlicher Spaß, klug und lustig.

Und der Versandhandel?

Amazon hat leider Bücher in der Priorität nach hinten geschoben und mt vorerst keine Bücherlieferungen mehr an, Kinderbücher ausgenommen. Die Kunden haben mit längeren Lieferzeiten zu rechnen und einige Bücher, auch Novitäten, werden vorerst überhaupt nicht über Amazon zu beziehen sein. Ein Jammer. Ein Hoch auf den lokalen Buchhandel.

Wie sieht Ihre Arbeit momentan aus – mehr unternehmerisches Krisenmanagement oder Pflege besorgter Autorinnen und Autoren?

Beides. Die Verunsicherung ist natürlich bei allen groß, gleichzeitig versuchen wir, durch kluges Handeln und Engerzusammenrücken gemeinsam durch die Krise zu kommen, das gilt für unsere Autorinnen und Autoren ebenso wie für unser Team und unsere Partner.

Es gibt ja auch Kritik an der fast vollständigen Erstickung des öffentlichen Lebens. Wie ist da Ihre Position?

Wenn ic h nach Italien oder Spanien schaue, bin ich dankbar für das kluge und beherzte Krisenmanagement unserer Regierung. Der Lockdown ist schmerzhaft, aber momentan das Gebot der Stunde. Natürlich ruht all meine Hoffnung auf raschen medizinischen Erkenntnisfortschritten und daraus abgeleiteten Maßnahmen, die die Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens in naher Zukunft möglich machen.

Sehen Sie bei aller Sorge auch Hoffnungszeichen am Horizont?

Ich hoffe, dass durch die gemachte Erfahrung der Wert der Solidarität noch einmal ganz neu mit Leben gefüllt wird. Bücher stellen die Frage nach unseren Werten aus den vielen verschiedenen Blickwinkeln und mit den unterschiedlichsten Mitteln, literarisch, philosophisch, politisch, alltagspraktisch.

Zur Person

Kerstin Gleba ist seit 2019 Verlegerische Geschäftsführerin des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch. Im Interview mit Hartmut Wilmes äußert sie sich zu den Folgen des Corona-Krise.

Bücher sind, jetzt in der Krise wie auch in der Zeit danach, in der wir uns von Grund auf neu sortieren werden müssen, unabdingbar, wenn es darum geht zu untersuchen, wer wir si nd, wer wir sein wollen - und was die Welt im Innersten zusammenhält.

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