Kölner Autorin zu CoronaTicker-Sucht. Zahlen zählen. Küchenschublade aufräumen

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Husch Josten

Die Kölner Autorin Husch Josten

Köln – Von der Arbeit im Home-Office können dieser Tage viele ein Lied singen. Die Schriftstellerin Husch Josten („Land sehen“, „Hier sind Drachen“) beschreibt auf sehr poetische Weise, wie das Corona-Virus plötzlich die Kontrolle über ihren Alltag übernommen hat.

Abwarten

Heute in der Küchenschublade gefunden: Fahrradschlüssel vom 2016 gestohlenen Rad. Zerbeulte Pfefferminz-Packung. Ein gebrauchtes Ticket für die Métro. 

Paris? Die virale Ewigkeit her: drei Wochen. Im Zug saß ein Mann mit Atemschutzmaske, Skibrille, die Lederjacke bis übers Kinn geschlossen. So viel Nervosität muss man mit Optimismus begegnen, daher, nach getaner Arbeit, Steak frites in der vollbesetzten Lieblingsbrasserie in Saint Germain. Köstlich. Die Kellner ratlos, schulterzuckend. Könnte schwierig werden demnächst. Oder auch nicht. Abwarten. Paris im Fast-Frühling. Warm. Sonnig. Freunde schicken Fotos vom Karnevalsausklang in der Heimat, von der Nubbelverbrennung in der Kölner Südstadt. Ein bisschen Wehmut, dazu Rotwein.

Zwei Tage später zurück am Rhein. Hochwasser. Enten, Kopf über Wasser, quaken auf den nicht abgetauchten Ästen der Weide am Ufer. Lastkähne fahren noch. Von der Rutsche am Spielplatz ist nur das obere Drittel zu sehen. Sie saust in braunes Nass. Zu viel Regen. Die Innere Kanalstraße sackt ab. Liebe Deine Stadt.

Ins Büro. Lesungen vorbereiten. Der steigenden Nervosität draußen mit Optimismus drinnen begegnen. Die nächsten Termine sind noch nicht abgesagt. So schlimm wird es nicht werden. Oder doch. Abwarten. Meint auch die Bürogemeinschaft. Jeder sitzt an seinem Schreibtisch, Abstand, die Kaffeemaschine funktioniert sowieso gerade nicht.

Die Kinder, paar Tage später, von ihren Auslandsaufenthalten zurück zu Hause. Endlich. Beruhigend. Zu Hause kochen für Freunde. Das Treffen wichtig, es geht um ein Kultur-Projekt, das jetzt erheblich wankt — der Nervosität (oder der Vernunft?) wegen. Die eigenen Lesungen sind inzwischen abgesagt.

Nur eine hat noch stattgefunden, vor einhundert statt zweihundertfünzig Zuhörern. Immerhin. Am Eingang stand Desinfektionsmittel. Das Publikum war auf Abstand platziert, Mundschutz trug keiner. Manche lachten über die Panik.

Jetzt, beim Abendessen zu Hause: keine Umarmungen, jeder passt auf sein Glas auf, wo sonst schon mal alles durcheinander geht. Aber jetzt? Zusammen am Tisch sitzen und reden, Lösungen suchen, dringend benötigte Lösungen suchen, das wird wohl noch gehen? Oder? Im Zweifel.

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Halbwissen, Wissen, Unsicherheit, Sicherheit, Meinung, Gegenmeinung. Unvernunft, Vernunft, Erregung, Gelassenheit, Ignoranz, Mission. Verschwörungstheorien, Experten, Zahlen, Kurven, Ängste, Existenzen. Dinge überschlagen sich. Man ändert selbst jeden Tag die Meinung: neues Phänomen der Zwangsläufigkeit.

Der Corona-Ticker, auf jedem Kanal, verheißt nur ein Gutes: Dass Trump über sein Krisenmanagement stürzen könnte.

In Paris jetzt Ausgangssperre. Wir sind im Krieg, sagt der Präsident, und in Köln ist Frühling. Rhein im Bett. Kirschbäume in voller Blüte. Magnolien dazu. Sonne. Warm. Alles fühlt sich nach Mai an, dem Lieblingsmonat. Die Kanzlerin erklärt, die Lage sei ernst. Um Leben und Tod gehe es, sagt der Ministerpräsident. Die Bürogemeinschaft verwaist. Alle zu Hause. Abends klatschen für die Helfer. Morgens kochen für die Suppenküche der Obdachlosen. Spaziergehen fühlt sich verwegen an. Die Stadt in anderem Licht, die Schiffe scheinbar langsamer. Spießergleich bin ich zornig über Unbeirrte, die picknicken, grillen, zusammensitzen und kein bisschen Nervosität zeigen. Zornig über die Übernervösen, die für meine pflegebedürftigen Eltern weder Desinfektionsmittel noch Klopapier übrig gelassen haben. Gedacht, die leeren Regale seien ein viraler Gag. Die Franzosen hamstern Wein, liest man. Ach. Paris. Ich hoffe, dass Regen statt der Ausgangssperre kommt.

Ticker-Sucht. Zahlen zählen. Küchenschublade aufräumen. Lesungsabsagen für Mai im Postfach. Weiterschreiben. Das Métro-Billet wie ein Souvenir auf meinem Schreibtisch. Optimismus und Panik seien derzeit zwei Seiten derselben Medaille, sagt die Schwägerin am Telefon. Optimismus? Abwarten. 

Husch Josten  

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