Netflix-Doku-Serie „Becoming“Wo Michelle Obama wie ein Popstar gefeiert wird

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Michelle Obama in einer Szene der neuen Netflix-Serie

  • Die Netflix-Doku-Serie „Becoming“ begleitet Michelle Obama auf Lesereise durch die USA.
  • Ein allzu kritisches Porträt darf man hier jedoch nicht unbedingt erwarten.
  • Martin Schwickert über die Serie und die ehemalige First Lady

Stellt ein Autor sein neues Werk auf einer Lesereise vor, so trifft er meistens in lokalen Buchhandlungen oder Bibliotheken auf seine Zuhörerschaft. Wenn eine Frau wie Michelle Obama mit ihrer Autobiographie „Becoming“ auf Tour geht, füllt sich eine ganze Sportarena mit jubelnden Fans.

Wie ein Popstar wird die ehemalige First Lady 2018 gefeiert, wenn sie von Oprah Winfrey angekündigt in ihrer Heimatstadt Chicago die Bühne betritt. Die Menschen stehen stundenlang an, um ihre Ausgabe signieren zu lassen und einen Moment der Aufmerksamkeit ihres Idols zu erhaschen. Und Michelle Obama gibt ihnen genau diese Aufmerksamkeit, denn sie weiß sehr genau, welche Bedeutung die kurze Begegnung für ihr Gegenüber hat. In ihrer Dokumentation „Becoming“ begleitet Regisseurin Nadia Hallgren die ehemalige Präsidentengattin auf einer Buchtour in 34 Städte kreuz und quer durch die USA. In Auftrag gegeben wurde der Film von der Produktionsfirma „Higher Ground“, die von den Obamas gegründet wurde und mit Netflix einen Exklusiv-Deal abgeschlossen hat.

Kein allzu kritisches Porträt

Ein allzu kritisches Porträt darf man hier also nicht unbedingt erwarten. Aber nur auf den ersten Blick wirkt die Dokumentation wie das filmische Bonusmaterial zur Autobiografie. Hallgren konzentriert sich auf jene Michelle Obama, die nach acht Jahren als First Lady neue Wegen für ihre politische Arbeit sucht. Die Buch-Tournee ist für sie auch eine Möglichkeit sich endlich wieder unter das Volk zu mischen. Zurück zur Basis und zurück zur eigenen Herkunftsgeschichte. „Ich bin eine ehemalige First Lady der Vereinigten Staaten und eine Nachfahrin von Sklaven“ erklärt sie und schaut auf ihr Leben zurück, in dem sie sich den rassistischen Beschränkungen nicht beugen wollte.

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Die Studienberaterin an der Schule riet der jungen Michelle trotz herausragender Zensuren davon ab, sich in Princeton zu bewerben. Sie schaffte es dennoch und war eine der wenigen Afroamerikanerinnen auf dem renommierten College, genauso wie danach als Jura-Studentin in Harvard. Später als Rechtsanwältin in einer angesehenen Kanzlei lernte sie Barack Obama kennen. Der junge, gut aussehende Praktikant hatte große Träume und politische Ambitionen. Für Michelle war er aber vor allem auch eine Herausforderung, die sie nur zu gerne annahm. Auch heute blitzt in den Augen der 56jährigen noch die Energie der engagierten Kämpferin durch, die an neuen Herausforderungen weiter wachsen will.

Vom Verfall der politischen Kultur

Dabei hat sie vor allem eine junge Generation im Fokus, der aufgrund ihrer sozialen oder ethischen Herkunft die Wege zum beruflicher Aufstieg und gesellschaftliche Teilhabe nach wie vor versperrt ist.

Als Barack Obama 2009 sein Amt antrat, verkündeten viele Kommentatoren vorschnell das Ende der rassistischen Ära in den USA. Im Film gesteht Michelle Obama, dass sie erhebliche Zweifel daran hatte, ob das Land reif war für einen afroamerikanischen Präsidenten. Die Geschichte scheint ihrer skeptischen Einschätzung Recht zu geben. Auch wenn der Name „Trump“ wie Voldemort in „Harry Potter“ gemieden wird, macht der Rückblick schmerzhaft den Verfall der politischen Kultur im heutigen Amerika deutlich.

Nur einmal nimmt Michelle Obama indirekt auf den Amtierenden Bezug: „Wenn man Präsident der Vereinigten Staaten ist, sind Worte wichtig. Man kann Kriege auslösen und die Wirtschaft zerstören. Es ist zu viel Macht, um nachlässig zu sein“. Unwillkürlich denkt man dabei an einen US-Präsidenten, der im Kampf gegen eine Pandemie seinen Bürgern die Injektion von Desinfektionsmitteln empfiehlt.

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