Abo

Netflix-Serie „Freud“Der Psychoanalytiker löst das Rätsel brutaler Verbrechen

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

Robert Finster verkörpert den jungen Sigmund Freud in der neuen Netflix-Serie „Freud“. 

  • In der neuen Netflix-Serie „Freud“ löst ein junger Sigmund Freud Verbrechen im Wien von 1886.
  • Das erwartet den Zuschauer...

Kapitelüberschriften wie „Katharsis“, „Totem und Tabu“ oder „Verdrängung“ klingen verdächtig nach Bildungskanal, führen jedoch in der neuen Netflix-Serie „Freud“ eher in die Irre.

Den Erfinder der Psychoanalyse nämlich sieht man hier zwar meist mit tintenschwarzen Fingern, aber eher selten am Schreibtisch. Marvin Krens österreichisch-deutsch-tschechischer Achtteiler schickt den jungen Nervenarzt im Wien von 1886 vielmehr vor allem in eine Mordserie, die den Gräueln von Londons Jack the Ripper krude Paroli bietet.

Der Regisseur

Marvin Kren, 1980 in Wien geboren, ist Regisseur und einer der drei Drehbuchautoren von „Freud“. 2010 lief sein Langfilmdebüt „Rammbock“ als „Kleines Fernsehspiel“ im ZDF. Für seine Gangsterserie „4 Blocks“ bekam er 2018 den Deutschen Fernsehpreis für die beste Regie. (EB)

Alles zum Thema Netflix

Salonlöwen als Bestien

Leichte Mädchen oder junge Adelsfräulein werden hier von den Spitzen der Gesellschaft gemeuchelt oder verstümmelt, von Medizinern, Offizieren, Opernsängern. Salonlöwen als Bestien. Sigmund Freud kommt ins Spiel, weil der kriegstraumatisierte Inspektor Kiss von dessen Hypnose-Ansatz immerhin mehr hält als von der seinerzeit noch gängigen Brachialpsychiatrie.

Der 30-jährige Doktor aber hat vor allem deshalb Erfolg, weil er auf einer Wellenlänge mit dem ebenso genialen wie schönen Medium Fleur Salome liegt, das freilich von einem ungarischen Grafenpaar (Anja Kling und Philipp Hochmair) ferngesteuert wird. „Trance“ wird bald zum Zauberwort, denn Fleur kann offenbar in diesem Ausnahmezustand den verdorbenen Kern der Mörder sowie deren Taten erkennen.

Zwischen „Sherlock“ und „Dracula“

Düsternis ist hier Programm. Unter bleigrau dräuendem Himmel wirkt der schwarzbärtige Seelenarzt (Robert Finster) wie ein asketischer Märtyrer auf einem Gemälde von El Greco. Hufklappern in dunklen Gassen, Männerschweiß in engen Kaschemmen und Nebelschwaden vor den bizarr bevölkerten Innereien des Wien-Kanals – an Schaueratmosphäre mangelt es fürwahr nicht. Und in den halluzinierten wie realen Metzeleien fließt das Wiener Blut in Strömen.

Im Motivkreis zwischen „Sherlock“ und „Dracula“ droht das Kerngeschäft des Titelhelden bisweilen arg aus dem Blick zu geraten. Zum Glück nicht immer: Im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, wo Professor Meynert noch mit Fesselungen und Wassergüssen therapiert, gilt der junge Kollege als Scharlatan. Doch wenn er das Bewusstsein als zitternde Flamme beschreibt, die alle schummrigen Kammern des Unterbewussten nie ganz erhellen kann, blitzt seine gleißende Intelligenz immerhin auf. Und das Thema verdrängter Seelenwunden wird besonders im Verhältnis zu Inspektor Kiss (brillant: Georg Friedrich) behandelt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ansonsten freilich ist der junge Gelehrte vor allem auf einer grell illuminierten Horror-Achterbahn festgeschnallt und erlebt Loopings zwischen Kokainrausch, Okkultismus und Exorzismus. Wenn der eigentlich artig verlobte Doktor sich nicht gerade mit Fleur in Betten oder auf Fußböden wälzt. Ella Rumpf wirft sich als laszives Medium in eine faszinierende Tour de Force, spielt sowohl die dämonische Macht ihres Wissensvorsprungs wie auch das Leiden unter ihrer Gabe aus.

Robert Finster kocht derweil in der Titelrolle mimisch eher auf Sparflamme, verströmt aber immerhin nobles Charisma und eine Art melancholisch umflorte Entschlossenheit. In den acht knapp einstündigen Folgen überdreht Regisseur Marvin Kren manchmal die Effektschraube ins Groteske und strapaziert dramaturgische Klischees: Hinter jeder Tür lauert eine böse Überraschung, und allzu oft verschwimmen Albtraum und Wirklichkeit. Dennoch hält Kren die Spannung dank unheimlicher Milieumalerei und gekonnter Thrillereffekte meist aufrecht. Und die letzte Episode zeigt sogar, wie aus dem Detektiv wider Willen irgendwie doch der berühmteste aller Seelenärzte werden könnte.

Rundschau abonnieren