Neue Netflix-Serie „Damengambit“Von einer Frau, die die Männerwelt schachmatt setzte

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Damengambit

Anna Tylor als Beth Harmon in einer Szene der Serie „Damengambit“

Frauen und Schach – eine unmögliche Verbindung? Der russische Schachweltmeister Garri Kasparow würdigte 1990 das Talent der aufstrebenden ungarischen Spielerin Judit Polgár (Jahrgang 1976), fügte aber hinzu: „Aber letzten Endes ist sie eine Frau.“ Die unvollkommene Ausstattung der weiblichen Psyche erlaube keine Großtaten auf dem Schachbrett. „Keine Frau hält einen richtig langen Kampf aus.“ Später verlor Kasparow gegen Polgár, vielen anderen Großmeistern erging es ähnlich. Sie wurden Opfer von Polgárs von leiser Aggression gespeister Spielkunst. Der britische Großmeister David Norwood nannte sie ein „süßes Monster mit rotbraunen Haaren“.

Es begann im Keller eines Waisenhauses

Garri Kasparow gehört zu den Beratern der Netflix-Serie „Das Damengambit“, im US-amerikanischen Original „The Queen’s Gambit“. Der Siebenteiler basiert auf Walter Tevis’ gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1983. Scott Frank hat ihn perfekt adaptiert. Die britisch-argentinische Schauspielerin Anya Taylor-Joy verkörpert Beth Harmon, die nach dem Tod ihrer Mutter in den 1950er Jahren in einem Waisenhaus in Kentucky aufwächst und sich zu einem Star der internationalen Schachszene entwickelt. In den 1960ern wird sie mit ihrem härtesten Gegner konfrontiert: dem charismatischen Russen Vasily Borgov (Marcin Dorocinski). Im Kalten Krieg kommen auch Bauern, Dame und König zum Einsatz.

Die junge Beth (fantastisch: Isla Johnston) entdeckt ihr Talent im Keller des Waisenhauses, ihr erster Lehrer ist der Hausmeister Shaibel (Bill Camp). Ihr Weg zu Erfolg und Ruhm ist vollgestellt mit Hindernissen: zum Beispiel mit dem weit verbreiteten Vorurteil (siehe oben), Frauen könnten die 64 Felder des Schachbretts nicht kompetent bespielen. Viele externe Faktoren verbünden sich gegen Beth. Am intensivsten jedoch muss sie sich mit sich selbst auseinandersetzen. Sie wehrt sich verbissen gegen innere Dämonen: Folgen einer unglücklichen Kindheit, des Todes der Mutter und der katastrophalen Ehe der Adoptiveltern. 

Beth als junge Frau verbindet Spielintelligenz, Schönheit und Glamour mit Aggression, Wutanfällen, Trübsinn, Medikamenten- und Alkoholsucht. Die Oberfläche zeigt einen amerikanischen Traum in hinreißender Garderobe. Darunter entfaltet sich ein zäher Kampf ums Überleben.

Das muss man spielen können. Taylor-Joy (24) ruft scheinbar mühelos alle Facetten ihrer Figur ab. Wenn sie in San Francisco, Mexiko-Stadt oder Paris vorm Schachbrett sitzt und ihr Gegenüber fixiert, sieht sie aus, als wolle sie Marschflugkörper mit nuklearen Sprengköpfen abfeuern. Marcin Dorocinski als Borgov ist ihr ebenbürtig, auch er ein Virtuose der visuellen Verunsicherung. Die chronologisch und mit Rückblenden erzählte Lebensgeschichte der Beth Harmon beleuchtet auch ihre Beziehungen zu Männern. Sie fühlen sich von der distanzierten Sinnlichkeit der jungen Frau angezogen, müssen im Kontakt mit Beth aber immer auch die Geduld und Nachsicht eines selbstlosen Psychotherapeuten aufbringen. Keiner (außer einem, aber der ziert sich) ist in der Lage, das emotionale Vakuum aufzufüllen, unter dem Beth leidet.

In einer überraschenden Szene zum Schluss der Serie wirkt sie zum ersten Mal richtig glücklich und entspannt: ausgerechnet im winterlichen Moskau, im Kreis alter weißer Männer, die draußen sitzen und Schach spielen. Sie erkennen die Großmeisterin aus den fernen USA und laden sie auf ein Spiel ein. Das kalte Russland als Hort von Menschenfreundlichkeit und Geborgenheit – ganz anders als das paradoxerweise in warmen Tönen gezeichnete Amerika.

Es war zu erwarten: „The Queen’s Gambit“ hat eine Schach-Welle ausgelöst. Auf Instagram wird Beth Harmon als feministische Ikone gefeiert. Schachspiele verkaufen sich blendend, Online-Schach boomt. Vielleicht spiegelt sich diese Entwicklung in naher Zukunft auch in den Sportstatistiken wider. Frauen gehören nach wie vor nicht zu den Top-Spielern.

Nachdem Judit Polgár 2014 das Ende ihrer Karriere erklärt hatte, schaffte es nur noch die Chinesin Hou Yifan (26) in die Top 100 der Welt.

„Das Damengambit“ („The Queen’s Gambit“) läuft beim Streaming-Anbieter Netflix.

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