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Neue Netflix-Serie„Hollywood“ mischt Realität mit Märchenwelt

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"Hollywood"-Szene mit Jeremy Pope (als Archie Coleman) und Jake Picking (Rock Hudson).

„Bring mich ins Traumland“, lautet an Ernies Tankstelle in Los Angeles die Parole. Und damit ist nicht der schnelle Weg zum Starruhm gemeint, sondern der Schlüssel zu genussvollem Sex für Heteros wie Homos. Die Brigade attraktiver Tankwarte, gern rekrutiert aus Möchtegern-Stars, wirkt wie eine bizarre Fantasie in der siebenteiligen Netflix-Serie „Hollywood“.

Doch hat es diesen Lust-Service in der Traumfabrik der späten 40er Jahre tatsächlich gegeben. Was es hingegen nicht gab: den romantischen Outing-Moment, in dem Rock Hudson mit seinem Lebenspartner über den roten Teppich der Oscar-Gala schreitet. Aus diesem Spagat zwischen verblüffender Realität und kühner Fiktion, ausgedachten und tatsächlichen Figuren bezieht die Serie ihren einzigartigen Esprit.

Rassismus, Homophobie und krasses Macho-Regime

Ersonnen hat dieses Werk der Serien-Wunderknabe Ryan Murphy, der sich mit „Nip/Tuck“ „Glee“ und „American Horror Story“ einen Namen gemacht hat und bis 2023 für ein dreistelliges Millionensalär bei Netflix unter Vertrag steht. Offenbar ist er sein Geld wert. Hier tauchen Legenden wie Vivien Leigh und George Cukor (mit einer orgiastischen Pool-Party) auf, aber die Hauptrollen spielen erfundene Charaktere: der Kriegsheimkehrer und angehende Mime Jack Castello (David Corenswet), Drehbuchautor Archie Coleman (Jeremy Pope) und Regisseur Raymond Ainsley (Darren Criss).

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Deren Wege zum Ruhm sind mit Ressentiments gepflastert: Rassismus, Homophobie und krasses Macho-Regime in den Chefetagen der Studios. Schon in Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ oder Vincente Minnellis „Stadt der Illusionen“ hat sich Hollywood selbst den Spiegel eines menschenverachtenden Molochs vorgehalten.

Blick in utopische Horizonte

Unsere Helden wollen nun unter dem Titel „Meg“ ausgerechnet die (wahre) Story der Schauspielerin Peg Entwistle verfilmen, die sich 1932 vom Buchstaben „H“ des Hollywood-Schriftzugs über Los Angeles in den Tod stürzte. Eine Provokation für das Movie-Establishment. Erst recht, wenn die unselige Hauptfigur von einer Farbigen (Laura Harrier) verkörpert wird…

Es gibt Drama und Intrige, große Soli formatsprengender Kotzbrocken, aber eben auch den Blick in utopische Horizonte. So darf Avis Amberg (Patti LuPone) für ihren erkrankten Studioboss-Gatten Ace (Rob Reiner) die Leitung der Geschäfte übernehmen, während ausgerechnet Zapfsäulen-Zuhälter Ernie (charismatisch: Dylan McDermott) seinen Lebenstraum vor der Kamera erfüllt bekommt und den Mogul David O. Selznick spielt.

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Gewiss, Rock Hudson wurde tatsächlich auf Betreiben seiner Arbeitgeber mit seiner Sekretärin Phyllis Gates verheiratet, doch Ryan Murphy schlägt Hollywood hier mit dessen eigenen Waffen: Glamour, märchenhaftem Pathos und dem Griff nach den Sternen. Die schwarzweißen Filme im Film machen den maßlosen Melodramen der 30er und 40er alle Ehre, und alle Folgen übertrumpfen mit ihren fantastischen Sets und Hochglanz-Look die schnöde Wirklichkeit.

Da hat Ace Amberg einen fast so großen Läuterungsmoment wie Charles Dickens‘ hartherziger Scrooge, und ein besserer Cliffhanger als die verbrannten „Meg“-Filmrollen am Ende von Folge sechs wäre selbst Hitchcock kaum eingefallen.

Bleibt nur noch das große Oscar-Finale mit mächtigem Druck auf die Tränendrüse. Und wem hätten wir den Goldjungen für den besten Nebendarsteller gegeben: Ganz klar Jim Parsons als schwulem, mephistophelischem Agenten mit berüchtigter Besetzungscouch. Eine erfundene Gestalt? Nein, diesen Mann namens Henry Willson gab es wirklich. Typisch „Hollywood“.

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