Philharmonie in KölnKonzert von Anna Netrebko von Protesten begleitet

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Lautstark war der Protest vor der Philharmonie. 

Köln – „Weint ihr? Himmel, lass meine langen Qualen!“ Mit der Finalszene der Anna Bolena, unschuldig im Kerker isoliert, beginnt das Konzert der Anna Netrebko in der Kölner Philharmonie. Kein Ouvertüren-Warm up, kein leichtes Parlando mit Walzerschwung, gleich die ganz große Sangeskunst aus der Feder Donizettis, traditionell besetzt mit den prominentesten Ausnahme-Stimmen ihrer Zeit: Und dazu zählt Anna Netrebko auch im Hier und Jetzt, das stellte sie gleich klar.

Die angekündigte Demo gegen den Auftritt der Operndiva vor dem Eingang der Philharmonie entpuppte sich als freundliches Grüppchen von Aktivisten, die gerne ihre Meinung auf Plakaten und Spruchbändern mitteilen wollten. „Kein Applaus für Putins Propaganda“ forderten die Demonstranten auf selbst gemalten Bannern, als „Traumpaar der Propaganda“ wurde Netrebko mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov bezeichnet, auch Bilder von Netrebko neben Putin wurden gezeigt.

Halbleere Ränge

Zahlreiche friedlich falschparkende Einsatzwagen der Polizei, samt bereitstehender Beamter, deuteten an, dass hier mit einem größeren Auflauf gerechnet wurde – man weiß ja nie, wer kommt. Natürlich trugen die Demonstranten Umhänge in Flaggenfarbe der Ukraine, und auch ein Motorradgespann der russischen Marke Ural war als ein Zeichen für osteuropäische Affinität neben die Gruppe garniert.

Der eigentliche Protest fand im Konzertsaal statt beziehungsweise bereits beim Vorverkauf, denn die Philharmonie war nur gut halb gefüllt. Das mag zum einen an den exorbitanten Preisen gelegen haben, die der Veranstalter aufgerufen hatte. Allerdings waren genau die hochpreisigen Sessel sehr gut besetzt. Zum anderen hatte sich mancher Opernfreund vielleicht noch kurzfristig von der Diva abgewandt – das Privatgeschäft mit reduzierten Karten blühte vor der Halle.

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 Anna Netrebko mit ihrer Kollegin Elena Zhidkova (l.) und ihrem Ehemann Yusif Eyvazov 

Zurück zu Anna Netrebko als Bolena: Der Sprung ins kalte Wasser respektive in den kalten Kerker forderte ein ganzes Arsenal an kultivierter Stimmführung. Sanftes Piano, lange vom Orchester unbegleitete Passagen, getupfte Spitzentöne im gebremsten Aufschwung, rasantes Abbrennen hochemotionaler Ausbrüche mit exzellenter Technik, Stimmsitz und rundem Klang, ein noch gurrendes Vibrato, weit gespannte Legato-Bögen auf endlosem Atem, das muss eine gut eingesungene Diva ad hoc abliefern können. Und Netrebko kann es.

Ehemann Yusif Eyvazov betrat in der Rolle des Edgardo aus „Lucia Di Lammermoor“ die Bühne, fein im Frack, mit roten Bändchen an den Absätzen seiner Lackschuhe, wie Sporen ohne Dorn, ein Hingucker. Aber auch seine Stimme klingt kultivierter, sein Italienisch mühelos, er kennt sein verhältnismäßig kleines Repertoire perfekt.

Miete gespendet

Als die Philharmonie vor zwei Jahren für das Konzert angemietet wurde, konnte man die Entwicklungen nicht ahnen. Absagen konnte die Philharmonie jetzt auch nicht, spendet aber nun Erträge aus den Mieteinnahmen an Kölns Parnerstadt Dnipro. (HLL)

Der Mann aus Aserbaidschan lässt laufen, was die Stimmbänder so hergeben, ein Stimmprotz mit sattem Strahl, den er nur selten verbirgt. Ihm geht es weniger um Feinheiten in der Gestaltung, er singt Tenor – und das mit beeindruckender Lautstärke, aber ohne Enge in der Höhe, ohne Druck, für Tenorfreunde ein satter und besonders seltener Spaß.

Als Atempause für diese beiden Superstars war die Mezzosopranistin Elena Zhidkova mit einer Arie von Francesco Cilea zu hören, aber hauptsächlich vervollständigte sie die Szene aus Tschaikowskys „Pique Dame“, damit das Traumpaar ihr Finale im 1. Akt ausgestalten konnte. Das haben die beiden natürlich furios halbszenisch eingeprobt, und diese Szenen gelingen hinreißend.

Aufgewühlte Herzen

In Rot eröffnete Netrebko den zweiten Teil mit Wagner. Isoldes Liebestod mit seinen weit ausschwingenden Linien und seinen inwendig einbrennenden Motiven lässt sich die Diva nicht entgehen. Dafür rollt und zischt sie auch die Konsonanten, ohne die strenge Linie für den Text zu opfern. Dafür kann sie dem anschwellenden Sound ihres Orchesters lange gegenhalten.

Dabei handelt es sich um die Nordwestdeutsche Philharmonie, die sich relativ gut schlug in diesem Ritt durch die Opernliteratur. Dirigent Michelangelo Mazza, der jede Nuance, jeden Schleifer und besonders jede künstliche Verzögerung im Vortrag der beiden Protagonisten kennt, schaffte mit Kraft und jede Menge Fingerzeig das reich besetzte Orchester zu lenken.

Die Zugaben wie Leoncavallos „Mattinata“ und besonders „Granada“ zeigten, wie es auch laufen oder hinterher laufen kann – bei einer Gala der Stars spielt dies allerdings eine untergeordnete Rolle. Immer wieder stehende Ovation mit Bravi aus aufgewühlten Herzen.

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