Philosoph Pfaller im InterviewWenn Design schneller rostet als das Auto

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Als die Formen noch beinahe zeitlos schön waren: Ein Cadillac Eldorado Brougham von 1957

  • Der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat schon in seinem Buch „Erwachsenensprache“ geistreiche Gegenwartskritik geübt.
  • Anlässlich seines aktuellen Werks „Die blitzenden Waffen“ beantwortet er die Fragen von Hartmut Wilmes.

Ihr Buch über die „Macht der Form“ (Untertitel) konstatiert eine „Formvergessenheit“ der Gegenwart. So dominiere in der aktuellen Kunst der Inhalt derart, dass die Betrachtung der Werke gegenüber dem Lesen des Katalogs kaum Erkenntnisgewinn bringe. Sind die „blitzenden Waffen“ heute also Museumsstücke?

Es gibt zum Glück schon auch noch anderes. Es ist die Vorherrschaft der Kuratoren innerhalb eines bestimmten Sektors der Kunst, die gegenwärtig zu dieser Inhaltslastigkeit führt. Die Kuratoren geben Themen vor, und wenn man dabei sein will, muss man ihnen folgen. Zugleich aber gibt es ein ganzes Spektrum aktueller Kunst, das sich der Aufmerksamkeit der Kuratoren sowie dem von ihnen vorgegebenen Korsett entzieht. Dort sehe ich schon erhebliches Blitzen.

Ihr Buchtitel bezieht sich auf ein Zitat des antiken Rhetorikers Quintilian. Der forderte vom Redner, nicht nur mit scharfen, sondern auch blitzenden Waffen zu kämpfen. Bei wem haben Sie zuletzt so eine brillante Klinge bemerkt?

Der österreichische Experte für öffentliche Gesundheit Martin Sprenger, dessen Rat in Corona-Fragen die österreichische Bundesregierung eingeholt, aber nicht befolgt hatte, kritisierte die nach seiner Ansicht übertriebenen verordneten Isolationsmaßnahmen mit den Worten „Wir fahren mit Schneeketten auf trockenen Straßen.“ Eine, wie ich finde, sehr gelungene Metapher. Dass so etwas nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich und gefährlich ist, war in Österreich, wo jeder Schneeketten hat, sofort allen blitzartig klar.

Sie deklinieren Ihr Thema durch unterschiedlichste Bereiche, von Mode über Dialogwitz bis zum Autodesign. Sieht man da die Tendenz zur SUV-Trutzburg, kann man an der Verführungskraft der Form zweifeln, oder?

Das Problem scheint mir sogar noch gravierender zu sein, da ja auch die übrigen Autos derzeit meist ziemlich hässlich sind. Wie vor kurzem David Staretz in der „auto revue“ bemerkt hat, herrscht eine Art Wegwerfdesign ohne „Altersbestand“ und „Patinierungstauglichkeit“ vor; ein hastiges Übergestalten, das schnelle Effekte zu erhaschen versucht, aber dann meist schon beim zweiten Hinsehen anödet.

Wie Adolf Loos richtig erkannte, veraltet solches Design schneller als das Material seiner Produkte. Dinge, die gestalterisch schon tot sind, fahren dann noch jahrelang auf unseren Straßen herum – sofern die geplante Obsoleszenz sie nicht ähnlich schnell erledigt.

Sie sprechen ja auch vom „gewissen Etwas“ einer gerade nicht makellosen Schönheit im Gegensatz zu deren „Optimierung“ durch Operationen. Glauben Sie, dass dieses Geschmackspendel irgendwann wieder zurückschlägt?

Es wäre jedenfalls für das Glück der Menschen heilsam, würden sie Schönheit wieder wie früher als den Charme einer Maskierung begreifen und sie nicht, wie gegenwärtig, als eine Wahrheit auffassen, für die der Körper – bis hin zu den Genitalien – einstehen muss.

Eine andere Form-Krise stellen Sie bei der Höflichkeit fest, der heute eher das Image einer veralteten, leicht heuchlerischen Galanterie anhaftet. Zu Recht?

Höflich zu sein bedeutet auch, mit anderen, die vielleicht anderer Meinung oder anderer Hautfarbe oder anderen Geschlechts sind, überhaupt erst einmal sprechen zu können. Das sollten wir in einer Zeit, in der jeder dem anderen schnell den Mund zu verbieten versucht, wertschätzen. Im übrigen muss man bei allen politischen Kämpfen zwischen dem Feind, den es zu besiegen, und der Beute, die es zu erobern gilt, unterscheiden.

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Die Ranküne gegen die Höflichkeit ist typisch für eine Bourgeoisie, deren bürgerliche Revolution gescheitert ist. Die siegreiche französische Bourgeoisie hat sich bekanntlich die Höflichkeit, die Galanterie und die Kochkunst des besiegten Adels sozusagen als Beute zu eigen gemacht. Die Deutschen aber behaupteten von da an, die Franzosen hätten nur heuchlerische „Zivilisation“, während sie selbst wahre „Kultur des Herzens“ besäßen.

Schon in „Erwachsenensprache“ haben Sie untersucht, wie sich durch zunehmende Mimosenhaftigkeit der Individuen der öffentliche Raum verändert habe. Welche Folgen hat das für die Form des zivilen Miteinanders?

Wenn Menschen weniger auf Formen achten und mehr auf Inhalte oder auf das, was ihnen an sich selbst wesenhaft vorkommt, dann begegnen sie einander im öffentlichen Raum nicht mehr gleichsam schauspielerisch, als Rollen oder Masken, sondern platzen stattdessen mit ihrer vermeintlichen inneren Wahrheit (zum Beispiel mit ihrer Befindlichkeit, ihrer Herkunft oder ihrer gefühlen sexuellen Identität) heraus. Und die anderen spüren sie dann sofort auf der eigenen Haut. Das ist, wie ich glaube, einer der Gründe für die gestiegene Verletzlichkeit im Umgang.

Urbanität ist ein weiteres Schlüsselwort bei Ihnen. Taugt die (post)moderne Stadt noch als Laufsteg für formale Finesse?

Es ist jedenfalls berührend, wie sehr selbst kleine italienische Städte mit ihren Plätzen einem ein glückliches Gefühl von Welt vermitteln können. Davon sollten wir zu lernen versuchen. Das ist freilich nicht alleine eine Frage der Architektur, sondern ebenso sehr auch der ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen. Die Menschen brauchen dazu nicht nur gut proportionierte Plätze und Cafés, sondern auch leistbare Mieten, etwas Muße und Lust, miteinander in Austausch zu treten.

Für ein Buch, dem es gerade nicht um den bittersten Ernst geht, ist die Corona-Krise vielleicht nicht der ideale Hintergrund. Oder womöglich doch?

Auch wenn die Gefahren des Virus sowie die durch die Gegenmaßnahmen verursachten Schäden noch spürbar sind, scheint mir Corona als Thema bereits überholt. Ich glaube, es gibt nun ein verbreitetes Bedürfnis, die Fragen, die das nackte Leben und seine Erhaltung betreffen, hinter sich zu lassen, und sich wieder den Dingen zuzuwenden, die das Leben lohnend machen.

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