Roman „Der Ursprung der Gewalt“Fabrice Humbert schildert die Hölle in Buchenwald

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Fabrice Humbert schildert die Hölle in Buchenwald

Der Autor Fabrice Humbert

Ein junger Deutschlehrer aus Paris befindet sich auf Klassenfahrt in Weimar. Da liegt es nahe, mit den Schülern einen Abstecher nach Buchenwald zu unternehmen. Als er eine Fotografie im Museum des Konzentrationslagers betrachtet, macht er eine unheimliche Entdeckung. Auf einem der Bilder des Lagerarztes Erich Wagner entdeckt er einen Häftling, der seinem Vater enorm ähnlich sieht.

Dieses Erlebnis steht am Beginn von Fabrice Humberts „Der Ursprung der Gewalt“ , der in Frankreich zu einem Sensationserfolg wurde. Innerhalb weniger Monate wurden 100 000 Exemplare verkauft. Humbert erhielt einen Literaturpreis nach dem anderen, und der Roman wurde mit Richard Berry und Lars Eidinger verfilmt. Nun liegt das 2009 erschienene Buch auf Deutsch vor.

Auf den Spuren einer Familiengeschichte

Die Ausgangssituation ist autobiografisch. Fabrice Humbert gehört zur Enkelgeneration, der Mann auf dem Foto entpuppte sich als sein Großvater, von dessen Existenz er nichts wusste. Auch der Vater hatte diesen Mann nie gekannt, der noch vor seiner Geburt deportiert worden war. Humbert erzählt die Geschichte seiner Familie, die genau genommen die Geschichte zweier Familien ist. Denn sein Vater wurde adoptiert.

Die Verbindung ergab sich aus der Affäre eines unwiderstehlichen jungen Mannes aus einer armen jüdischen Einwandererfamilie und der Frau eines wohlhabenden französischen Provinzpolitikers. Spielten Liebe und verletzter Stolz etwa eine Rolle bei der Deportation?

Der Autor recherchiert und liefert ein sattes Gesellschaftsporträt der Zwischenkriegszeit in Frankreich. Die Mischung aus Familiengeschichte und unbezähmbarer Leidenschaft liest sich gut, Humbert ist ein im besten Sinne professioneller Erzähler. Zum herausragenden Prosastück wird das Buch jedoch durch den Versuch, die Hölle von Buchenwald zu beschreiben.

Das Monster im Bilde: Der Henker von Buchenwald

Der Franzose holte sich zuvor den Segen von Jorge Semprún, der in Buchenwald inhaftiert war. Semprún hatte gefordert, dass die nachgeborenen Generationen nicht alleine die Erlaubnis, sondern sogar die Pflicht hätten, die Welt der KZs fiktional zu erforschen. Tatsächlich gelingt es Fabrice Humbert hinter den sachlichen Fakten der Grausamkeit einen Blick in den emotionalen Abgrund des Lagers zu werfen. Er beobachtet, wie der junge Mann, der sein Großvater war, die Strategien des Überlebens zu nutzen versteht und doch in einen unheilvollen Dialog mit dem Lagerarzt gerät.

Zur monströsen Gestalt im Hintergrund kristallisiert sich dabei Martin Sommer, der berüchtigte Henker von Buchenwald. Ein Totschläger und Sadist, der das Leiden seiner Opfer mit perverser Zärtlichkeit zu verlängern wusste. Wenn der ehemalige SS-Mann auch 1988 starb, so zeigt Fabrice Humbert, dass dessen Bestialität in uns weiterlebt, dass sie Teil der menschlichen Gattung ist.

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Wie elegant sich Humbert durch die Epochen des 20. Jahrhunderts und die Gegenwart bewegt, wie er Historie und aktuelle Beziehungsgeschichten zum Vater und zu seiner deutschen Geliebten schwerelos verbindet, das sichert ihm einen Platz in Frankreichs großer Romantradition. Humbert findet den Ton, um distanziert und doch nie kalt, über die Shoah zu schreiben.

Vor allem jedoch gelingt es ihm, hinter den Zahlen und historischen Fakten eine Ahnung davon zu geben, wie sich die Menschen gefühlt haben müssen, die in Buchenwald zu überleben versuchten.

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