Schau im Museum LudwigKünstler aus Lateinamerika zeigen „Antikoloniale Eingriffe“

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Mit Tonfiguren zum Anfassen will Paloma Ayala mit den Museumsbesuchern in Dialog treten.  

Köln – Andy Warhol erhält eine Guira, ein Schrapinstrument der lateinamerikanischen Musik. Pável Aguilar aus Honduras hat es ihm gewidmet. Auf einem Holzblock im Museum Ludwig liegt der hölzerne Percussion-Korpus und soll für die Annäherung des Besuchers mit einem Stoff sensibilisieren, der so vielleicht noch nicht im Blickwinkel war. Warhol zeigte in vielen seiner Arbeiten soziale Ungerechtigkeit und rassistische Gewalt auf. Das war neu. Für Aguilar ist das Anreiz, hier Station zu machen.

Raubskulpturen aus der Kolonialzeit

Mit einer Klangperformance eröffnet er auch die Schau „Hier und Jetzt“ im Museum Ludwig. Antikoloniale Eingriffe“, in der er zusammen mit seinen Künstlerkolleginnen Paloma Ayala, Daniela Ortiz und Paula Baeza Pailamilla kritische Blicke auf die Sammlung wirft – unter der Fragestellung „Wer nimmt im Museum Ludwig wie viel Raum ein und warum?“

Programm

Begleitend zur Schau fragen Kuratorin und Künstler in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste der Welt „Was sind koloniale Eingriffe?“ Es gibt Tanzworkshops, Lesungen, Seminare.

www.museum-ludwig.de

Auch Josef Haubrich widmet Aguilar ein Schrapinstrument. Im Begleittext erklärt der 33-Jährige, warum: Haubrich habe Bilder des Expressionismus, darunter der Brücke-Künstler, gesammelt. Damit werde ein „exotisierender Blick“ reproduziert, der nicht durch andere Perspektiven aus dem globalen Süden ergänzt werde.

Die Brücke-Maler nutzten als Modell immer wieder Skulpturen, die in der Kolonialzeit erbeutet worden waren. Sie fanden Einzug in die Bild- und Formsprache des Expressionismus. Aber ahnten sie, was sie da gerade malten, war ihnen die kulturelle Herkunft und Bedeutung bewusst?

Fragen der Restitution sind hochaktuell

Fragen, die heute auch vor dem Hintergrund der Provenienzforschung und Restitution immer drängender werden. Kuratorin Joanne Rodriguez hat daher die vier jungen Künstlerinnen und Künstler aus Lateinamerika eingeladen, die Exponate im Museum Ludwig zu beleuchten.

„Auslöschen oder Beseitigen, das ist hier nicht das Thema“, erklärt Museumsdirektor Yilmaz Dziewior. Vielmehr sollten die Fragestellungen der vier Künstler dabei helfen, die Werke im Museum in einen Kontext zu stellen.

Hermann Scherers expressionistische Holzplastik „Die Schlafenden“ zum Beispiel ist von einer Anmut, die nichts Böses vermuten lässt. Das Liebespaar verkörpert seit gut einem Jahrhundert das Träumerische. Ist es deswegen unschuldig? Pável Aguilar sieht das Problem, dass der darin verkörperte Primitivismus eine Idealisierung ist, in der keine Auseinandersetzung mit der Herkunft stattfand. Die achte Folge der Reihe „Hier und Jetzt“ ist interdisziplinär angelegt. Musik spielt ebenso einen Part wie die Töpferkunst. Paloma Ayala stellt für die Besucher Tonfiguren zum Anfassen her, die während der Ausstellung ergänzt und erweitert werden.

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Um Schokolade, verbunden mit ihrer zuckersüßen und bitterbösen Werbung, drehen sich die Videos der Mapuche-Künstlerin Paula Baeza Pailamilla. Sie tanzt im Marmor-Foyer und vor einem Schokoladenbrunnen. Auch die Sammlungs-Stifter Irene und Peter Ludwig handelten im Familienunternehmen Monheim in Aachen mit Schokolade.

Daniela Ortiz aus Peru engagiert sich für den antirassistischen und antikolonialen Diskurs. In ihren Bildern zeigt sie die eigene Perspektive auf Max Ernsts „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind“. Neben dem Gemälde verweist sie auf den Tod des neunjährigen Geflüchteten Jesús Ánder vor zwei Jahren in einer staatlich geführten Unterkunft im spanischen Pamplona. „Jesus’ Tod wurde offiziell als Suizid bezeichnet, und seine Organe wurden ohne Einverständnis seiner nach Kolumbien abgeschobenen Eltern zur Spende freigegeben“, erklärt Ortiz.

Bis 5. Februar, Di bis So 10–18 Uhr, Heinrich-Böll-Platz

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