Schau in BonnBundeskunsthalle beleuchtet Lebenswerk von Hannah Arendt

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Bonn – Vielleicht ist es etwas übertrieben, wenn der israelische Journalist und Autor Amos Elon einst über Hannah Arendt (1906-1975) meinte, das 20. Jahrhundert sei ohne sie gar nicht zu verstehen. Aber es ist etwas dran. Gibt es doch kaum ein großes politisches oder gesellschaftliches Ereignis, zu dem sie nicht Stellung bezogen hätte – beherzt, klug, mutig, kontrovers. Dabei war Arendts Agenda viel weiter gespannt, als ihre Begriffe „totale Herrschaft“ und „Banalität des Bösen“ es vermuten lassen.

Ihre literarischen Anfänge aber lagen bei Rahel Varnhagen, die in der Goethe-Zeit einen Salon führte und als Inbegriff einer geglückten jüdischen Emanzipation galt. Arendt sah das jedoch Ende der 1920er Jahre angesichts des Aufstiegs der Nazis skeptisch. Dennoch wurde ihr Varnhagen-Buch etwa von Käthe Hamburger kritisiert.

Hannah Arendt dpa

Hannah Arendt, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Soziologin

Exzellente Fotos, Filme und Audio

Mit Varnhagen und einem plüschigen Salon inklusive Goethe-Büste startet eine Schau in der Bundeskunsthalle, die in erster Linie aus Ton- und Schriftdokumenten sowie viel Text besteht, die Person Hannah Arendt aber anschaulich beleuchtet. Die im Deutschen Historischen Museum Berlin konzipierte Schau funktioniert dank der Exponate, exzellenter Fotos, Interviewfilmen und Hör-Nischen als begehbare Biografie. Besser kann man das nicht machen.

Seite an Seite liegen Joseph Goebbels Rede „Lenin oder Hitler“ (1926), Martin Heideggers Bekenntnis zum Nationalsozialismus (1933) und der Artikel über die Ausbürgerung des Ehepaars Arendt (1938) in der Vitrine. Mit 18 hatte sich die Studentin 1924 in ihren 35-jährigen, verheirateten Professor Heidegger in Marburg verliebt. Sie hatten eine Liaison. 1926 verließ sie ihn, ging nach Heidelberg, um bei Karl Jaspers zu studieren.

Erst 1943 von den Konzentrationslagern erfahren

1941 gelang Arendt und ihrem zweiten Mann Heinrich Blücher die Flucht über Lissabon nach New York, wo sie für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitschrift „Aufbau“ schrieb und etwa die Gründung einer jüdischen Armee gegen Hitler forderte. Nach dem Krieg sah sie den Zionismus kritischer.1950 trafen sich Arendt und Heidegger übrigens wieder. Sie verzieh ihm seine NS-Entgleisung. Bis zu seinem Tod korrespondierten die beiden über den Atlantik. Hauptsächlich über Aristoteles. Arendt las auch Proust, Kafka und Melville gerne, Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ inspirierte sie zu ihrem Werk über Totalitarismus.

Hannah Arendt rauchend an der University of Chicago    (1966). Foto: Deutsches Historisches Museum

Hannah Arendt rauchend an der University of Chicago    (1966). Foto: Deutsches Historisches Museum

1943 hatte sie erstmals von der Existenz des Vernichtungslagers Auschwitz erfahren. Sie wollte es zunächst nicht glauben. 1961 saß sie dann als Reporterin im Jerusalemer Prozess gegen Adolf Eichmann. Sie hat darüber geschrieben. Unter anderem: „Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse immer nur extrem ist, aber niemals radikal. Tief aber und radikal ist immer nur das Gute.“ Golo Mann kritisierte ihr Buch in der „Zeit“ unter dem Titel „Der verdrehte Eichmann. Überklugheit verstellte die Erkenntnis.“

Arendt mischt sich weiter ein, etwa in die Debatte um Rolf Hochhuths kirchenkritisches Stück „Der Stellvertreter“ (1963). Sie kommeiert den Einmarsch der Sowjets nach dem Volksaufstand in Ungarn, rügt, gerade US-Staatsbürgerin geworden, den Umgang der USA mit Bürgerrechten. Daniel Cohn-Bendits Studentenrevolte in Paris findet sie gut, die Kommilitonen in Deutschland sind ihr zu dogmatisch.

Die überaus anregende Schau endet nicht nur mit Arendts Pelzcape und Aktentasche, sondern auch mit einem sehr lesenswerten Netzwerk ihrer Freunde und Beziehungen.

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