Schauspiel KölnStefan Bachmann holt „Nathan den Weisen“ in die Gegenwart

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Nathan der Weise

Jana Findeklee und Joki Tewes entwarfen Bühne und Kostüme.

Köln – Das ist Nachhaltigkeit: Zwei Stücke werden mit der selben Besetzung im selben Bühnenbild gespielt. Was auf den ersten Blick wirkt wie eine pfiffige Sparmaßnahme des Intendanten Stefan Bachmann, ist letztlich ein großartiger Einfall des Regisseurs Stefan Bachmann: Es verdeutlicht die Parallelen zwischen „Vögel“, das er zum Saisonstart 2019 inszenierte, und „Nathan der Weise“, mit dem er jetzt die aktuelle Spielzeit eröffnete.

Verblüffende Parallelen

Sowohl in Gotthold Ephraim Lessings Klassiker von 1779 als auch in Wajdi Mouawads Werk von 2017 gehören Menschen einer anderen Religion, einer anderen Ethnie an, als sie es und auch ihre Umwelt bisher gedacht haben. Aber während David in „Vögel“ an der Erkenntnis, kein Jude zu sein, zerbricht, lösen sich im „Nathan“ durch die finale Enthüllung eine ganze Reihe von Problemen in Wohlgefallen auf – und wird Lessings Botschaft der „Ringparabel“ unterstrichen: Keine Religion ist besser als die anderen, der Glaube an einen bestimmten Gott steckt nicht in den Genen.

Auf einen Blick

Das Stück Eine sicher überkonstruierte Geschichte mit einer zeitlosen Botschaft.

Die Regie Stefan Bachmann holt den „Nathan“ bildstark in die Gegenwart, trifft aber nicht nur gute Entscheidungen.

Das Ensemble Der anspruchsvolle Text wird von (fast) allen „geknackt“. (HLL)

Die Linie dieses im 18. Jahrhundert revolutionären Gedankens zieht Bachmann bis in die Gegenwart, in der Rassismus, Antisemitismus und religiöser Wahn als Begründung für alltägliche Gewalt und Kriege herhalten.

So zeigt er den Tempelherrn (Alexander Angeletta) als einen dieser von Albträumen geplagten Soldaten, von denen zuletzt erst im Rahmen des Abzugs aus Afghanistan zu hören war. Der Klosterbruder (Lena Kalisch, die auch den Derwisch spielt) könnte einem Dan Brown-Thriller entsprungen sein. Sultan Saladin (Kais Setti mit Bülent-Ceylan-Gedächtnisfrisur) chargiert zwischen Shishabar und tumbem Machtmenschen.

Komplizierte Geschichte

Im Jerusalem des 12. Jahrhunderts rettet ein christlicher Tempelherr, dem zuvor der Sultan das Leben geschenkt hatte, die Ziehtochter des Juden Nathan aus dessen brennendem Haus. Der Liebe zwischen dem Mächen und dem jungen Mann scheint spätestens dann nichts mehr im Wege zu stehen, als herauskommt, dass sie von christlichen Eltern stammt. Was aber wiederum eine Bestrafung Nathans durch den christlichen Patriarchen nach sich ziehen könnte, da es Juden verboten ist, Christenkinder anzunehmen. Eine letzte Volte enthüllt, dass Recha und ihr Retter nicht nur denselben, sondern auch noch einen muslimischen Vater haben. (HLL)

Lola Klamroth spielt Recha als eine im Feuer schwer verletzte junge Frau, die sich unter Mühen zurück ins Leben kämpft – wodurch noch klarer wird, dass sie den Tempelherrn als Mann an ihrer Seite nicht braucht. Margot Gödrös ist als Engel mal Kommentorin, mal innere Stimme des Tempelherrn. Und bei Martin Reinkes Patriarch wird jedes Wort mit Borgia-Gift getränkt – ein Kabinettstück für sich.

Ein ebensolches: Die Ringparabel, die Bruno Cathomas’ kluger, besonnener Nathan so erzählt, als würde er sie sich gerade im Moment ausdenken. Und genauso wie Melanie Kretschmann kommen Cathomas die gedrechselten Verse Lessings wie selbstverständlich über die Lippen. Ein Genuss, ihnen zuzuhören.

Kretschmann gibt zum einen die Dienerin Daja als eifernde Jungfer, die für den Glauben Grenzen überschreitet. Leider meinte jemand, ihrer Sittah einen überstarken Hauch von Sexkitten zu verpassen. Schade, denn bei Lessing trägt diese die Züge einer modernen Powerfrau, die ihren Bruder Saladin nicht nur im Schach schlägt.

Ob die philosophierende Tafelrunde nötig ist, denen Regie und Dramaturgie unter anderem Worte von Carl Hegemann, Klaus Theweil oder dem Marquis de Sade in den Mund legen, bleibt die Frage. Steht nicht schon genug bei Lessing?

Wenn sich am Ende das Ensemble an den Händen hält und lautstark bei Udo Lindenbergs „Wir ziehen in den Frieden“ mitsingt, ist man über diese „Let the sunshine in“-Attitüde zunächst vielleicht irrtiert. Letztlich freut man sich aber über die Idee, dass die Hoffnung niemals stirbt.

125 Minuten, wieder am 25. (20 Uhr) und 26.9. (18 Uhr).

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